Keine israelische Regierung stand so weit rechts und so weit entfernt von liberalen Idealen wie jene Koalition, die Langzeit-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in den kommenden Wochen bilden will. Dementsprechend trüb ist die Laune bei jenen Israelis, die sich als säkular, links, palästinensisch oder feministisch definieren.

An Itamar Ben-Gvir scheiden sich die Geister: Für seine Anhänger (Bild) ist er ein Held, für viele in den USA und im arabischen Raum ein Gefahr für die internationalen Beziehungen.
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"Überrascht hat mich das Wahlergebnis nicht, aber geschockt bin ich trotzdem", sagt Ravit, eine Philosophiestudentin aus Jerusalem, die ihre Stimme der Arbeiterpartei gegeben hat. Die frühere Regierungspartei, aus der etwa der von Rechtsextremen ermordete Ministerpräsident Yitzhak Rabin hervorging, ist jetzt nur noch mit vier Sitzen im Parlament vertreten.

Problematische Religiöse Zionisten

Doch auch die diplomatischen Beziehungen Israels stehen auf der Probe. Dabei geht es weniger um Netanjahu oder die beiden ultraorthodoxen Parteien, die aus heutiger Sicht Teil der Koalition sein werden: Der Fokus liegt auf der rechtsextremen Partei Religiöse Zionisten, die eine klar rassistische, antiarabische Politik verfolgt. Sie würde am liebsten die Oslo-Abkommen rückgängig machen und der Palästinenserbehörde jede Kontrolle über das Westjordanland nehmen.

Jüdische Siedlungen auf palästinensischem Gebiet gelten laut internationalem Recht zwar als illegal, die Religiösen Zionisten setzen sich aber für einen massiven Ausbau der Landnahme ein. Was mit den dort lebenden Palästinensern geschehen soll, erklären sie nicht. Sie deuten aber an, dass "alle Araber, die Steine werfen, des Landes verwiesen werden". Wobei die Rechtsextremen unter "Israel" stets auch das Westjordanland mitmeinen. Seit den Wahlen ist das Bündnis unter Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir drittstärkste Kraft im Parlament und beansprucht wichtige Ministerämter für sich.

Kritik auch aus den USA

In den USA bereitet das auch vielen israelfreundlichen Politikerinnen und Politikern Sorge. Das Gedankengut der Religiösen Zionisten, und hier vor allem ihres rhetorischen Aushängeschilds Gvir, widerspricht fast allem, was sich etwa die Demokratische Partei auf ihre nahostpolitische Fahne geheftet hat. Es hat Tradition, dass sich die US-Diplomatie bei Israel-Besuchen zur Zweistaatenlösung bekennt, auch wenn Präsident Joe Biden auf seiner jüngsten Visite bereits einschränkend gesagt hat, dass eine solche Lösung in absehbarer Zeit nicht realistisch sei.

Eine Regierungsbeteiligung der Rechtsextremen würde ein solches Bekenntnis absurd erscheinen lassen – zumal die USA als wichtigster finanzieller Förderer Israels ja indirekt selbst den Siedlungsausbau subventionieren –, und das in Zukunft wohl mehr denn je. Es sind aber genau diese Siedlungen, die eine mögliche Zweistaatenlösung untergraben.

Bereits vor der Wahl äußerten prominente Senatorinnen und Senatoren in den USA offen ihre Haltung zu Ben-Gvir. Der Vorsitzende des Senatsausschusses für Außenpolitik, Bob Menendez, hatte sich diesbezüglich sogar persönlich vor der Wahl an Netanjahu gewandt. Eine Koalition mit Ben-Gvir könnte Washington veranlassen, seine Haltung zu Israel zu überdenken – so soll Menendez laut einem Investigativbericht des israelischen Journalisten Barak Ravid sein israelisches Gegenüber gewarnt haben. Nach der Wahl sprachen amerikanische Diplomatinnen und Diplomaten im Vertrauen zudem über einen möglichen Boykott Ben-Gvirs. Einen solchen Schritt erwägen auch europäische Diplomatenkreise, wie DERSTANDARD erfuhr.

Kritik und Drohungen aus der arabischen Welt

Die Krönung der Rechtsextremen durch Netanjahu belastet aber auch die teils erst jungen diplomatischen Beziehungen mit manchen Staaten der arabischen Welt. Sie stoßen sich zwar weniger an menschenrechtlichen Verstößen seitens der israelischen Armee, dafür umso mehr an möglichen Einschnitten in der Religionsfreiheit von Musliminnen und Muslimen in Israel und den Palästinensergebieten. Ben-Gvir macht keinen Hehl daraus, was er von den Vereinbarungen bezüglich der für den Islam heiligen Al-Aksa-Moschee in Jerusalem hält. Er spricht sogar davon, dort einen neuen jüdischen Tempel zu errichten. Bei den ultraorthodoxen Parteien, seinen wahrscheinlich künftigen Koalitionspartnern, macht er sich damit keine Freunde: Für sie ist das Betreten des Tempelbergs schon allein aus religiösen Gründen tabu.

Um an der Macht zu bleiben, läuft Netanjahu sogar Gefahr, sich seinen größten außenpolitischen Erfolg zu verwässern: die Unterzeichnung des sogenannten Abraham-Abkommens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und anderen Staaten der arabischen Welt. Bei seinem ersten Israel-Besuch traf der Außenminister der Emirate, Abdullah Bin Said, auch (Noch-)Oppositionschef Netanjahu, um ihn zu warnen: Sollte er Ben-Gvir in die Regierung holen, dann würde das die Beziehungen mit den Emiraten beeinträchtigen. (Maria Sterkl, 4.11.2022)