Ein Tag im Zeichen von zunehmend ungewöhnlichen Zufällen: "Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall" erzählt die Geschichte einer koreanischen Schriftstellerin in scharf gestelltem Schwarz-Weiß.

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Wer sich für koreanische Landeskunde interessiert, wird bald auf Makgeolli stoßen: ein alkoholisches Getränk aus Reis, mit seiner trüben Süße nichts für feine Gaumen, die sich an trockene Genüsse gewöhnt haben.

In Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall von Hong Sangsoo wird ordentlich Makgeolli getrunken, so viel, dass eine junge Schauspielerin sogar eine Weile bei Tisch einschläft. Dass Trinkgewohnheiten ein Teil der Kultur sind, muss man niemandem mehr erklären. Das sieht man gerade bei Filmen aus Japan oder Korea auch ganz spezifisch, man denke nur an die Feierabende bei Ozu Yasujirō, mit dem Hong Sangsoo gelegentlich verglichen wird. Das hat viel mit der anscheinend immer noch steigerbaren Einfachheit und trügerischen Alltäglichkeit seiner Filme zu tun, die in Die Schriftstellerin einen neuen Höhepunkt erreicht.

Filmgarten

Im Mittelpunkt steht eben eine Schriftstellerin, nicht mehr jung, elegant gekleidet, sie trägt Handschuhe, als wollte sie die Welt nicht direkt berühren. Kim Junhee besucht eine Buchhandlung, in der sie eine alte Bekannte antrifft. Die Begegnung ist die erste in einer Reihe, anfangs steht noch eine Absicht dahinter, bald aber steht der Tag stark im Zeichen von zunehmend ungewöhnlicher wirkenden Zufällen: Es ist "ein seltsamer Tag", gut zum Spazierengehen, gut aber vor allem zum Trinken.

Reigen medialer Formen

Auf einem Aussichtsturm begegnet Kim Junhee einem Regisseur namens Park und dessen Frau. Dabei stellt sich heraus, dass es eine alte Geschichte gibt, die zwischen ihnen noch offen ist – Hong Sangsoo organisiert seinen neuen Film auch als einen Reigen der medialen Formen, die Schriftstellerin schreibt, der Regisseur adaptiert, das ergibt im Idealfall eine produktive Konstellation oder aber eine Enttäuschung.

Die nächste Ebene erreicht der seltsame Tag, als auch noch eine junge Schauspielerin im Park spazieren geht, von der Regisseur Park behauptet, sie sei "untergetaucht" und verschwende ihr Talent. Sie heißt Kilsoo und ist wiederum Fan des Werks von Kim Junhee. Der Kreis schließt sich (was für ein Zufall!) in der Buchhandlung, wo noch einmal dem Makgeolli zugesprochen wird, wobei ganz ausdrücklich das Wort "Trinkbekanntschaft" fällt. Es gab also früher einmal Freundschaften oder mehr, die im Alkoholkonsum ihre bevorzugte Ausdrucksform fanden.

Wort für Wort, Schluck für Schluck

Hong Sangsoo hat Die Schriftstellerin in einem superscharf gestellten Schwarz-Weiß gedreht und macht sich an einer Stelle sogar noch Gedanken über hoch auflösende Optiken, die nur durch teuer geschliffenes Glas zu erreichen sind. In vielerlei Hinsicht löst sich in diesem Film alles immer in die eigene Reflexivität hinein auf, zugleich könnte diese aber auch bloß eine Suggestion sein, denn es gibt nicht mehr zu sehen und zu hören als das, was eben vor der Kamera vorfällt. Schritt für Schritt, Wort für Wort, Schluck für Schluck. Manche Schnitte sind aber geradezu waghalsig, dann gibt es plötzlich Zeitsprünge oder einen Blick aus großer Höhe. Die Spannung zwischen zwangloser Meisterschaft und scheinbarem Dilettantismus ergibt ein ständiges Kippbild.

In dieser Weise könnte Hong Sangsoo noch lange weitermachen, mit kleinen Filmen in Manier eines koreanischen Eric Rohmer. Ein "europäisch" inspirierter Außenseiter in einer koreanischen Kultur, deren Großthema seit Jahrzehnten das Verhältnis von lokalen Traditionen und entfesselter (globaler) Popularität und Unterhaltungsindustrie ist.

Eine Netflix-Serie wie Squid Game fand dafür das Szenario einer neuen Gladiatoren-Ästhetik, mit dekadenten westlichen Voyeuren. Der aktuelle Kinosuperstar Bong Joon-ho verband mit seinem Welthit Parasite eine Kritik sozialer Spannungen mit gewitzten Anspielungen auf importierte Mythologien.

Kontinuität an Motiven

Bei Hong Sangsoo kann man in den bald 30 Filmen seiner Karriere eine erstaunliche Kontinuität an Motiven und Figuren finden. Das Österreichische Filmmuseum zeigt dieser Tage sein Frühwerk (unter dem mehrfach pointierten Titel "Come Drink With Me"), das man auch als eine Suche nach dem richtigen Format lesen kann. Für Hong besteht es anscheinend in einem "reinen" Kino, wie es in Die Schriftstellerin (skeptisch) heißt, das man sich auch 300-mal ansehen könnte, und man würde immer noch Nuancen im scheinbar Identischen entdecken. (Bert Rebhandl, 4.11.2022)