Sanaa Seif, die Schwester des ägyptisch-britschen Aktivisten Alaa Abd El-Fattah im Hungerstreik, demonstriert in London für dessen Freilassung.

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Im Hungerstreik seit über 200 Tagen: Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abd El-Fattah könnte noch vor dem Start der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich sterben. Er ist einer der prominentesten politischen Gefangenen in Ägypten und fordert die Freilassung der vielen Tausend Menschen, die das dortige Regime festhält, ohne ihnen einen verfassungskonformen Gerichtsprozess zu machen. Am 6. November wird Abd El-Fattah zum letzten Mal Wasser zu trinken. Das ist der erste Tag der Klimakonferenz.

Ähnlich willkürliche Verhaftungen fürchten auch all jene Menschen in Ägypten, die sich rund um die Konferenz, die COP27, kritisch zur Umwelt- und Klimapolitik ihres Landes äußern. Dazu kritisierte die Organisation Human Rights Watch: Der Raum für Umwelt- und Klimabewegungen sei unter der Regentschaft Al-Sisis drastisch eingeschränkt worden.

In einem Bericht, den die Organisation im Vorfeld der Klimakonferenz veröffentlichte, spricht sie unter anderem von Einschüchterungsversuchen und Reisebeschränkungen.

Angst vor Verhaftungswelle nach der COP27

Zwar zeige das Regime zunehmend mehr Toleranz für Gruppen, die an Themen arbeiten, die seinen Interessen entsprechen – beispielsweise Recycling oder Klimafinanzierung. Doch diese Toleranz ende, sobald Kritik an der Politik der Regierung geäußert werde, zitiert Human Rights Watch Gesprächspartnerinnen und -partner.

"Wir fürchten, dass es zu neuen Verhaftungswellen kommt, sobald die COP vorbei ist", sagt auch ein ägyptischer Aktivist, der in Europa im Exil lebt und an einer Universität zum Thema Klimagerechtigkeit unterrichtet, im Standard-Gespräch. Er bleibt aus Sicherheitsgründen anonym.

Er sei sprachlos gewesen, als er von der Entscheidung der UN erfuhr, die Klimakonferenz dieses Jahr in Ägypten abzuhalten. Es habe der Glaubwürdigkeit der Verhandlungen während der COP schwer geschadet, glaubt er.

Indischer Architekt wird festgenommen

Allein seit Ende Oktober wurden nach Angaben ägyptischer NGOs landesweit mehrere hundert Menschen wegen angeblicher Aufrufe zu regierungskritischen Protesten verhaftet, wie das ägyptische Onlinemedium Mada Masr berichtet.

"Stellen Sie sich zivilgesellschaftliches Engagement in einem Land vor, in dem man nicht einmal ein Poster hochhalten kann, ohne verhaftet zu werden", so der Aktivist.

Zwar versprachen die Behörden, Proteste im Konferenzort Scharm El-Scheich zuzulassen – überall anderswo im Land gilt das nicht. Was das bedeutet, musste der indische Architekt Ajit Rajagopal erfahren. Er wollte zu Fuß von Kairo nach Scharm El-Scheich gehen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Beim ersten Checkpoint wurde er verhaftet. Die Erklärung: Er hatte keine Genehmigung für den Protest.

Mittlerweile wurde Rajagopal zwar freigelassen, doch sein Fall zeige die Grundhaltung des Regimes gegenüber jeder Form von Protest, erklärt der Aktivist im Exil.

Gefällt Bäume und neues Erdgas

Dabei sei die Arbeit von Umweltgruppen enorm wichtig: Etwa werden seit Jahren in Kairo und anderen Städten im Land unzählige Bäume gefällt. Die Ankündigung der Regierung aus dem Sommer, landesweit eine Million Bäume zu pflanzen, steht im Gegensatz zu diesem "Baummassaker", wie es in sozialen Medien immer wieder genannt wird. Andere Streitpunkte sind, dass die Förderung von Erdgas hochgefahren wird und die Küsten mit Hotels verbaut werden.

Doch Kritik an solchen Entscheidungen sei kaum möglich, so der Aktivist im Interview. Das verdeutliche, wie eng die Menschenrechte mit dem Klimaschutz zusammenhingen.

Für ihn sei klar: In der Klimakrise müsse es viel stärker darum gehen, Grassroots-Bewegungen zu stärken. Das Format der Klimakonferenz könne das allerdings kaum leisten.

Umso kritischer sehe er dies, weil die Konferenz eben in Ägypten stattfinde. "Wie können wir in einem Land, in dem ein Regime jede Form der zivilgesellschaftlichen Bewegung unterdrückt, über Klimagerechtigkeit verhandeln?"

(Alicia Prager, Sofian Philip Naceur, 5.11.2022)