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In den vergangenen zwei Jahrhunderten ist die Welt ziemlich reich geworden. Gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf sind heute nur noch ungefähr zwei Dutzend Staaten auf dem Planeten ärmer, als es im Jahr 1800 das damals reichste Land der Welt war: Großbritannien. Die Armgebliebenen finden sich allesamt in Afrika, mit Ausnahmen wie Afghanistan und Nepal. Zwar lebt heute immer noch trotz allen Wohlstands mehr als eine Milliarde Menschen in absoluter Armut; dazu bedroht der Kollaps des Weltklimas auch jene, denen es besser geht. Trotzdem: Zweifelsfrei steht fest, dass in der Neuzeit eine Entwicklung eingesetzt hat, die es welthistorisch betrachtet zuvor nie gegeben hat – dauerhaftes Wirtschaftswachstum, das viel Wohlstand beschert hat.

Wie kam es dazu? Und warum fand und findet die wirtschaftliche Entwicklung derart ungleich statt? Damit befasst sich ein faszinierendes, derzeit nur auf Englisch vorliegendes Buch der US-Wirtschaftshistoriker Mark Koyama und Jared Rubin. Dem Werk gelingt es, in knappen, anschaulichen Kapiteln einen breiten Überblick zu liefern über ein komplexes Thema und eine ausufernde Debatte, bei der man sonst schnell den Gesamtzusammenhang aus den Augen verliert.

Hintergründe der industriellen Revolution

Es sei die industrielle Revolution gewesen, die den Auftakt zur Herausbildung des Reichtums bildete, lautet die populäre Annahme, ausgehend von Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das ist richtig – aber: Warum fand sie ausgerechnet im Großbritannien statt und bald darauf im Rest Europas? Dies umso mehr, weil der Kontinent noch vor ungefähr einem Jahrtausend eine vergleichsweise arme, im Weltmaßstab periphere Gegend war. Viel reicher waren damals beispielsweise China, Indien und der arabisch-islamische Raum.

In der wissenschaftlichen Debatte schwirren viele, teils widersprüchliche Erkläransätze herum, die Koyama und Rubin zusammenfassen: Manche Forscher betonen geografische Faktoren, andere die Rolle gesellschaftlicher Institutionen, wieder andere kulturell-religiöse Gründe. Eine weitere Fraktion von Wissenschaftern sieht den Ursprung europäischen Reichtums vor allem in der Ausbeutung anderer Regionen, also in Kolonialismus und Sklaverei. Weitere Teile des Buchs drehen sich um die Frage, warum manche Staaten – man denke an Japan und zuletzt China – ebenfalls reich werden konnten und andere nicht.

Endgültige Antworten gibt es nicht

Endgültige Antworten sollte man bei all dem nicht erwarten. Es gibt sie nämlich nicht. Was dieses Buch vielmehr bietet, ist ein profunder und verständlicher Rundblick, bei dem nichts Wichtiges ausgelassen wird. Ein umfassendes Quellenverzeichnis sorgt darüber hinaus für die Möglichkeit, sich in besonders interessante Aspekte weiter zu vertiefen. (Joseph Gepp, 3.11.2022)