Der schnelle Einkauf mit dem Rad führt im ländlichen Raum vielerorts zu kleinen Greißlern. Viele Betriebe sehen sich durch die steigenden Energiekosten in ihrer Existenz bedroht.

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Wien – Wolfgang Benischko wartet noch bis Jahresende. Bekommt die Regierung die exorbitanten Energiekosten bis dahin nicht in den Griff, sperrt er seine beiden Nah-&-Frisch-Geschäfte in Oberösterreich zu. "Sonst gehe ich nach 20 Jahren als selbstständiger Kaufmann mit Schulden in die Pension." Dass kleine Nahversorger keine Millionäre werden, sei allen klar.

Mittlerweile verdienten viele jedoch weniger als ihre Mitarbeiter und zahlten sich für 60 Stunden Arbeit monatlich nur 1.000 Euro aus, um den Laden zu erhalten. Er selbst fühle sich wie fremdgesteuert. "Ich drehe jeden Cent um und fahre dennoch mit Vollgas gegen die Wand."

Eigentlich müsste auch er seine Geschäfte aufgeben. Einen Energievertrag zu unterschreiben sei aktuell geradezu fahrlässig, sagt Christian Prauchner, der als selbstständiger Spar-Händler drei niederösterreichische Betriebe führt. Bisher beglich er 131.000 Euro für Strom. Ab 2023 sind es 499.000 Euro. Statt eines Gewinns zeichneten sich in der Folge Verluste von 218.000 Euro ab.

"Sterbende Helden"

In der Corona-Zeit seien Händler wie er Helden genannt worden, sinniert Prauchner. Doch nun seien viele wohl zum Sterben verdammt.

Von allen Seiten werde ihnen der Hahn abgedreht, ergänzt Benischko. Die Banken spielten nicht mehr mit, Kunden ziehe es zu Diskontern. "Die Politik hat sich gern für Nahversorger starkgemacht. Wo ist sie jetzt?"

Unter dem Dach von Adeg, Nah & Frisch, Spar, Unimarkt und Sutterlüty führen selbstständige Kaufleute in Österreich 1.600 Lebensmittelgeschäfte, vor allem im ländlichen Raum. Dazu kommen 2.500 unabhängige Einzelhändler, vom Naturkostladen bis zum Greißler ums Eck. Diese arbeiten auf eigene Rechnung und haften für den Betrieb zumeist mit dem persönlichen Hab und Gut.

Die Luft war für sie bisher schon dünn. Bürgermeister überboten sich mit Einkaufsburgen auf der grünen Wiese und hungerten damit alteingesessene Händler in den Stadtkernen aus. Supermarktketten drängten diese mit niedrigeren Preisen, breiterem Sortiment und bequemen Parkplätzen aus dem Markt.

Zwar erlebten zahlreiche regionale Einzelkämpfer im Zuge der Pandemie neuen Zulauf – scheuten ihre Kunden doch längere Einkaufswege und das Bad in der Menschenmenge. Angesichts der starken Teuerung schlägt das Pendel nun aber zurück.

Die Branche fürchtet einen Kahlschlag in ihren Reihen: Zu viele Betriebe, die in der Corona-Zeit zur kritischen Infrastruktur zählten, steckten bereits in den roten Zahlen.

Sozialer Treffpunkt

600 Gemeinden in Österreich seien bereits ohne Bäcker, Fleischer oder Kaufmann, rechnet Unimarkt-Eigentümer Andreas Haider vor, "bis Ende 2023 werden bereits mehr als 1000 ohne Nahversorger sein". Und sei ein Standort erst einmal geschlossen, so lasse sich dieser kaum wiederbeleben.

Haider erzählt von fünf Handelspartnern, die ihre Verträge kündigten: Aufgrund hoher Energiekosten fehlte ihnen jegliche wirtschaftliche Perspektive, als Angestellten bot sich ihnen lukrativere Arbeit an.

Für Nah-&-Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl geht mit kleinen Kaufleuten nicht nur Grundversorgung im ländlichen Raum verloren. Diese seien Postpartner und der oft letzte soziale Treffpunkt vor allem für wenig mobile ältere Menschen. Der traditionelle Dorfwirt ist vielerorts längst Geschichte.

Steigende Lebensmittelpreise

Um zu überleben, seien Händler gezwungen, die Lebensmittelpreise weiter zu erhöhen, gibt Peter Buchmüller zu bedenken. Der Präsident der Salzburger Wirtschaftskammer betreibt selbst zwei Adeg-Standorte. Er will von der Regierung keine neuen Förderungen mit der Gießkanne. Das Problem gehöre an der Wurzel gepackt – nämlich bei der Preisbildung des europäischen Strommarktes. Der Energiekostenzuschuss allein helfe Nahversorgern wenig. "Sie brauchen planbare Strompreise."

Buchmüller zahlt für seine eigenen Märkte für die Kilowattstunde Strom künftig elfmal mehr als bisher. Heizung, Fahrzeuge, die neuen Löhne kämen obendrauf.

Als letztes Glied in der Kette sehen sich Kaufleute auch im Einkauf. Großhändler Christof Kastner, der 900 kleine Händler beliefert, spricht von "überschießenden" Preiserhöhungen der Lebensmittelindustrie.

Zehn Minuten zu Fuß

Zwei Drittel der Österreicher erreichen innerhalb von zehn Gehminuten einen Nahversorger, geht aus einer Market-Umfrage für den Verkehrsclub hervor. In Orten mit weniger als 5000 Einwohnern ist dies nur 44 Prozent möglich. 79 Prozent nutzten hier für ihren Einkauf sehr häufig das Auto. Die Bilanz des VCÖ: Je schwächer Ortskerne sind, desto stärker wächst der Verkehr. (Verena Kainrath, 4.11.2022)