Erhöhte Polizeipräsenz und ein großflächiges Fotografierverbot kennzeichneten den Auftakt eines Prozesses gegen einen mutmaßlichen Schwerkriminellen.

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Wien – "Der wird da vorgeführt wie der Hannibal Lecter", zürnt Verteidiger Werner Tomanek über die Behandlung seines Mandanten. Tatsächlich sind im Wiener Landesgericht für Strafsachen ungewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen für den Prozess wegen schweren Raubes gegen den 34-jährigen Herrn D. getroffen worden. Der Verhandlungstermin war nicht öffentlich ausgeschrieben, im Trakt vor dem Verhandlungssaal 303 sichern Polizisten und Justizwachebeamte die Eingänge, die Namen der interessierten Medienvertreterinnen und anderer Besucher werden von einem Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung notiert.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist der Aufwand gerechtfertigt: Denn vor dem Schöffengericht soll ein ranghohes Mitglied eines serbisch-montenegrinischen Clans sitzen. Die Organisation soll nicht nur europaweit im großen Stil mit illegalen Suchtmitteln handeln, sondern auch in mehrere Mordfälle verwickelt sein. D. wird vorgeworfen, am 28. Dezember 2019 mit fünf Komplizen Vertreter einer gegnerischen Gruppierung in einer Lagerhalle im Süden Wiens in eine Falle gelockt und ausgeraubt zu haben. Die Beute laut Staatsanwältin: 13 Kilo Kokain und über 100.000 Euro Bargeld.

Anklage basiert auf Kommunikationsdaten

Verteidiger Tomanek gibt sich dennoch siegessicher – wurden am Tatort doch keine Fingerabdrücke oder genetische Spuren von D. sichergestellt. Wie auch die Staatsanwältin im Eröffnungsplädoyer sagt, basiert die Anklageschrift vor allem auf Chats und Fotos der Verdächtigen selbst, die via des Krypto-Messenger-Dienstes Sky ECC übermittelt wurden. Und hier ortet Tomanek ein rechtspolitisches Problem: Wie die Behörden zu diesen Daten gekommen sind, sei nämlich unklar, daher dürften sie auch nicht verwertet werden, womit es keinerlei Beweise gegen D. geben würde. Daher werde durch die "Inszenierung" rund um den Prozess die für seinen Mandanten geltende Unschuldsvermutung verletzt, ist Tomanek überzeugt.

Dis Sache ist tatsächlich interessant. Sky EEC war eine Software, deren Hersteller versprach, dass sie abhörsicher sei. Im Vorjahr wurde bekannt, dass es den Polizeibehörden von Frankreich, Belgien und den Niederlanden gelungen sein soll, die Verschlüsselung zu umgehen und Kommunikation "live" zu verfolgen. Ob das stimmt, die Server also gehackt wurden oder ob die Kommunikationsdaten auf ganz andere Weise erlangt wurden, weiß man offiziell nicht – europaweit weigern sich Sicherheits- und Anklagebehörden nämlich, den genauen Weg zu den Daten zu verraten.

Italienisches Gericht auf der Bremse

Das italienische Berufungsgericht hat das in einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Urteil im Juli 2022 scharf kritisiert. Das Gericht entschied, dass via Sky EEC erlangte Beweise im Vorverfahren nicht verwendet werden dürfen, wenn die Staatsanwaltschaft sich weigert, die genaue Herkunft der Daten offenzulegen. Genau das fordert nun auch in Wien Tomanek und er verlangt, dass bis dahin die belastenden Daten – in denen die mutmaßlichen Täter die Vorbereitungen des Raubes koordinieren und sogar Bilder der auf dem Boden liegenden Überfallenen und deren Ausweise versenden – tabu sind.

Die Vorsitzende nimmt das zur Kenntnis, beginnt aber dennoch mit der Vernehmung des Angeklagten. Der 34-Jährige, der in Serbien Ende 2012 wegen Mordes zu elf Jahren Haft verurteilt worden ist, ist aber nicht sehr gesprächig. "Ich war nicht Teil dessen, was in der Anklageschrift steht, was soll ich aussagen?", will er wissen. "Wollen Sie sich zu Ihrer Vorstrafe äußern?", versucht die Vorsitzende es weiter. "Ich sage nichts", lässt der Angeklagte übersetzen. "Sie dürften ja eigentlich erst 2023 wieder auf freiem Fuß sein?", bleibt die Vorsitzende hartnäckig. "Sie lesen sich am besten den Akt einmal durch, dann wissen Sie, warum ich enthaftet wurde", reagiert D. pampig, ehe er endgültig schweigt.

Angebliches Opfer bestreitet Anwesenheit

Der erste Zeuge, ein 26 Jahre alter Slowene, war aus Sicht der Staatsanwaltschaft eines der Opfer des Überfalls. Denn die sichergestellten Nachrichten zeigen zwei Bilder eines großen, schlaksigen Mannes, der auf dem Boden der Lagerhalle liegt. Zwei weitere Aufnahmen zeigen seinen Reisepass und den seiner Gattin.

"Ich habe meinen Pass verloren", gibt der Zeuge dazu an. "Den Ihrer Ehefrau auch?" – "Ja, wir haben ihn beide verloren." – "Waren Sie Ende 2019 in Wien?" – "Nein." – "Haben Sie den Angeklagten schon einmal gesehen?" – "Nein."

"Ich finde, die Frisur schaut schon sehr ähnlich aus", stellt die Vorsitzende fest, als sie dem Zeugen die Fotos des auf dem Boden liegenden Mannes zeigt. Der nach Eigenangaben 1,85 Meter große und 82 Kilogramm schwere Zeuge widerholt, dass es sich nicht um ihn handle. "Wann haben Sie Ihren Pass verloren?", interessiert die Staatsanwältin. "Im Februar 2018." – "Und dann sind Sie drei Jahre ohne Pass unterwegs gewesen?" – "Ja, in Slowenien und Österreich reicht der Personalausweis." Die Vorsitzende gleicht die Nummer des Personalausweises mit seinen registrierten Grenzübertritten nach Österreich ab und hält fest, dass diese Angabe korrekt ist.

Zeuge in Untersuchungshaft

Auch der nächste Zeuge soll ein Opfer des Raubüberfalls sein. Er wurde damals durch Schläge und einen Messerstich verletzt und von den Tätern selbst in ein Krankenhaus gebracht. Im Spital behauptete er, Unbekannte hätten ihn in ein Auto gezerrt und entführt, es müsse sich aber um eine Verwechslung handeln. Er schweigt aus einem anderen Grund – er befindet sich derzeit nämlich in Kroatien in Untersuchungshaft und kann daher nicht erscheinen.

Bleibt als dritter Zeuge einer der federführenden Ermittler. Der Überfall sei ein "perfekt inszeniertes Szenario" gewesen, berichtet er. Die Auswertung der Kommunikation habe auch ergeben, dass die Gruppe "alles dokumentiere", selbst die Portionierung der Drogen. Aus seiner Sicht diene das der Qualitätssicherung – sollte ein Zwischenhändler behaupten, zu wenig bekommen zu haben, könne das so widerlegt werden.

Der Kriminalist ist auch überzeugt, mit D. einen der Täter auf der Anklagebank zu haben – denn der "habe den Drang, Sprachnachrichten und Selfies zu verschicken". Daher habe man ihm entsprechende Kommunikationskonten zuordnen können. Ursprünglich sei man auf die Gruppe wegen Suchtmittelhandel in Österreich aufmerksam geworden, erst dann habe sich gezeigt, dass sie europa-, wenn nicht weltweit aktiv und äußerst gewaltbereit sei.

Daten von Partnern via Europol

So sei man auch an die Sky EEC-Daten gekommen. Über die EU-Polizei-Koordinierungsstelle Europol habe man von den Kollegen aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden jene Konversationen bekommen, die Österreich betreffen könnten. Nach der Sichtung habe man dann für jeden einzelnen Chat ein Rechtshilfeersuchen stellen müssen, um die Informationen auch quasi "offiziell" bekommen zu können.

Wie die ausländischen Polizeibehörden an die Daten gekommen seien, wisse er nicht, sagt der Zeuge – er vermutet, Server seien beschlagnahmt worden. Auf Nachfrage des Verteidigers muss er auch zugeben, keine Möglichkeit zu haben, um zu überprüfen, ob die ausländischen Partner vielleicht andere Chats nie übermittelt haben.

"Des find ma a bissl bedenklich", meldet Tomanek jovial sein Problem mit der Sache an: Die Verteidigung wisse weder, ob die Daten überhaupt auf legalem Weg sichergestellt worden seien, noch bekomme sie eine Chance, auf den gesamten Datensatz zuzugreifen. Die Anklägerin verweist dagegen darauf, dass im konkreten Fall alle verfügbaren Daten ausgewertet worden und in den Akt gekommen seien.

Um den in Kroatien im Gefängnis sitzenden Zeugen befragen zu können, wird schließlich auf den 9. Dezember vertagt. Bis dahin will der Schöffensenat auch über die Anträge des Verteidigers entscheiden, einen Staatsanwalt und einen Bundeskriminalamts-Ermittler zur Herkunft der Sky EEC-Daten als Zeugen zu vernehmen. (Michael Möseneder, 3.11.2022)