Im Gastblog analysiert Christian Kreil den Werdegang einer homöopathische Studie und plädiert für belastbare Fakten in wissenschaftlichen Prozessen.

Wenn der Homöopath Michael Frass Bedenken am Konzept der Homöopathie zerstreuen will, dann regt er zum Nachdenken an. Auf der Webseite des Mediziners lesen wir: „Wenn ein Chemiker die homöopathische Arznei untersucht, findet er nur Wasser und Alkohol; wenn er eine Diskette untersucht, nur Eisenoxid und Vinyl. Beide können jedoch jede Menge Informationen bergen." Damit wäre alles gesagt zur konzeptionellen Tiefe der Homöopathie und zum Wissenschaftsverständnis des ehemaligen Universitätsprofessors Frass. 

Lässt sich die Wirkung von Homöopathie tatsächlich mit Studien belegen?
Foto: Getty Images/iStockphoto

Nichtsdestotrotz, um eine homöopathische Studie an Patienten und Patientinnen mit Lungenkrebs durchzuführen, dazu reicht dieser Ansatz allemal. Und so kam es, das schwerkranke Personen mit besagten homöopathischen "Informationen" versorgt wurden, und im Jahr 2020 schien die Sensation perfekt: Die Studie von Frass et al. kam zum Ergebnis, dass eine homöopathische Zusatzbehandlung "außerordentlich deutliche Effekte" auf die Überlebensdauer und die Lebensqualität von Lungenkrebspatienten habe. 

Quelle surprise: Datenmanipulation und Fälschung

Die Chronologie der vermeintlichen Revolution in Kürze: Die Ergebnisse wurden im angesehenen Journal The Oncologist veröffentlicht. Selbst angesehene Medien berichteten vom Durchbruch der Homöopathie, die Wiener Zeitung konstatierte "verbesserte Lebensqualität bei Lungenkrebs". Wer Zweifel am Setting der Studie anmeldete, galt als Spielverderber. 

Heute, zwei Jahre später, sieht die Sache so aus, wie sie aussehen muss, wenn Eins und Eins weiterhin Zwei ergeben sollen: The Oncologist meldet zu dem von ihm 2020 veröffentlichten Artikel einen "Expression of concern" an und wird die Sache erneut überprüfen. Das kritische Netzwerk Homöopathie (INH) bringt die Sache undiplomatisch auf den Punkt: "Gefeierte Homöopathie-Studie beruht auf Datenmanipulation und -fälschung." Zu diesem Schluss kommt auch die Österreichische Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI). Sie hat auf Betreiben der INH und der Initiative für wissenschaftliche Medizin (IWM) die Frass-Studie unter die Lupe genommen. In dem Bericht liest man von "Datenmanipulation", "selektivem Löschen von Aufzeichnungen" und "Verletzungen der wissenschaftlichen Integrität". Gut zusammengefasst ist die Scharade auch in diesem Beitrag im Profil. Die Frass-Studie scheint das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurde.  

Wen wundert's, dass die Studie nicht hält

Wen wundert's und warum wundert es wen? Diese Fragen drängen sich auf. Die Homöopathie beruht seit ihrer Postulation vor 220 Jahren auf einem absurden Konzept: Ein Trägermaterial wie Zuckerkugeln, Wasser oder Alkohol könne Informationen von Stoffen, die man zuvor bis ins Absurde verdünnt hat, speichern. Weil man sie zuvor reingeschüttelt hat, und das - ganz wichtig - Richtung Erdmittelpunkt.

Dieser Ansatz ist nicht mehr oder nicht weniger absurd wie meine Behauptung, wonach Heilformeln, die ich im Keller in rote Luftballons flüsterte, drei Etagen darüber eine heilende Wirkung entfalten. Es steht mir natürlich frei, die Wirksamkeit meiner Luftballonheilslehre in randomisierten und doppelverblindeten Studien beweisen zu wollen. Es wird aber nicht mehr und nicht weniger als bei homöopathischen Studien herausschauen. Anekdotische Evidenz und Placeboeffekt, das erreiche ich auch mit meinen roten Heilluftballons. 

Heißluftballons wären Betrug, Homöopathie hat Sanctus  

Rote Heilluftballons in Apotheken, die eine heilende Wirkung suggerieren, würden wir wohl als Betrug bezeichnen. Homöopathie wirkt - auch ungeachtet der angeführten Studie - ebenso wenig wie rote Luftballons, hat aber den Sanctus von Ärzte- und Apothekerkammer und Politik. Was man sagen darf: Ärzte und Ärztinnen oder Apotheker und Apothekerinnen, die homöopathische Mittel verschreiben, empfehlen oder verkaufen, versorgen ihre Patienten und Patientinnen sowie Kunden und Kundinnen mit zum Teil nachweislich wirkstofflosen und offensichtlich wirkungslosen Mitteln.

Die Ausrede, selbst an die Wirkung zu glauben, kann nicht gelten. Wozu ein Studium? Den Personen aus der Medizin und Pharmazie ist die Studienlage bekannt. Mehr als zwei Jahrhunderte lang gibt es keinen Nachweis für eine Wirksamkeit von Homöopathie. Wäre die angesprochene Studie von Frass et al. belastbar, was wäre die Folge?

Kratzt die ernstzunehmende Wissenschaft nicht

Von Scheibbs bis Nebraska würden sich zehntausende Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus der Physik, Chemie, Biologie und Medizin auf den Weg machen, um eine bislang unentdeckte Größe in den Naturwissenschaften zu definieren und sich den Nobelpreis abholen. Eine Formel für "Information" durch Schütteln gen Erdmitte! Und so auch Paracelsus widerlegen: Nicht die Dosis macht das Gift! Die Realität sieht anders aus: Homöopathische Studien sind kein Thema für jene, die evidenzbasiert arbeiten und etwas auf ihre wissenschaftliche Reputation halten.

Den Ärzten und Ärztinnen sowie Apothekern und Apothekerinnen muss die Studienlage als auch die Absurdität im Konzept der Homöopathie bewusst sein. Wäre dem nicht so, haben die Damen und Herren Naturwissenschaft nicht verstanden. Und dann müssten wir uns ernsthaft darüber unterhalten, ob ihr Diplom verdient ist. (Christian Kreil, 8.11.2022)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. 2021 erschien sein Buch "Fakemedizin".

Weitere Beiträge im Blog: