Die Nike-Kampagne "Dream Crazy" mit Colin Kaepernick.

Foto: Nike

Sind Nike-Produkte nun okay oder nicht? Ist es noch vertretbar, auf Twitter zu sein, nachdem Elon Musk das Portal übernommen hat? Und wo gibt es die palmölfreie Haselnusscreme, die den Amazonas-Regenwald nicht zerstört? Immer mehr Menschen stellen sich in ihrem Konsumalltag Fragen wie diese. Und Unternehmen folgen diesem wachsenden Bewusstsein. Doch welche Bedeutung hat ein öffentlichkeitswirksames, meist linksliberales politisches Engagement von Unternehmen? Und wie kann eine ernstgemeinte politische Haltung von Woke-Washing unterschieden werden?

Der Begriff "woke" wurde zuerst vor allem in den USA im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit gegenüber Rassismus verwendet. Vor allem seit der Black-Lives-Matter-Bewegung im Jahr 2014 wurde er in den Mainstream getragen. Anders als die Political Correctness ist "woke" noch nicht derart negativ behaftet, trotzdem wird er inzwischen gern synonym mit "Selbstgerechtigkeit" und "andere an den Pranger stellen" verwendet. Eine neutralere Verwendung des Begriffs ist, dass es dabei um eine offen zur Schau gestellte Haltung gegen Sexismus, Rassismus sowie klimaschädliches Verhalten und für soziale Gerechtigkeit handelt.

Sinnfindung

Und damit lässt sich auch werbetechnisch viel anfangen, auch wenn oft nicht viel dahinterstecken mag. Wenn Haltungsgesten auf der Ebene der reinen Symbolik hängenbleiben, spricht man von Woke-Washing. Sprich: Firmen hängen sich ein engagiertes Mäntelchen um, unter dem allerdings kaum etwas Nachhaltiges, sozial Gerechtes, Feministisches oder Antirassistisches steckt. Dass Firmen nicht mehr gänzlich auf eine politische Haltung, abgesehen von Wirtschaftsliberalismus, verzichten können, davon zeugen Empfehlung von Unternehmensberatungen. Demnach bräuchten Firmen einen sogenannten "purpose", denn Gewinnmaximierung und das Vertreiben von Produkten allein reichen nicht mehr. Sie müssten für ihr Existenzrecht und ein erfolgreiches Auftreten nach außen einen Zweck, einen tieferen Sinn transportieren, der weit über das vertriebene Produkt hinausgeht.

Inzwischen haben auch große Bewegungen wie Black Lives Matter, #MeToo oder Fridays for Future das politische Bewusstsein der Konsument:innen geschärft – und dieser Entwicklung leisten Firmen mal mehr mal weniger glaubwürdig Folge. Bei Nike ist es gerade weniger. Der Sportartikelhersteller hat in den vergangenen Jahren werbetechnisch stark auf antirassistische und feministische Botschaften gesetzt – doch jetzt unterstützt Nike-Gründer Philip Knight für die Midterm-Wahlen ausgerechnet die republikanische Trump-Anhängerin und Abtreibungsgegnerin Christine Drazan. Ein Einbruch auf halbem Weg zum woken Unternehmen. Der ohnehin ein steiniger ist.

Nike wird schon seit Jahrzehnten wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Intransparenz ihrer Zulieferbetriebe kritisiert. In den 1990er-Jahren wurde durch Kritik an US-Universitäten der Begriff der Sweatshops bekannt, dieser beschreibt Fabriken, in denen die Arbeitsbedingungen besonders schlecht und die Löhne extrem niedrig sind. Die United Students Against Sweatshops setzen sich für existenzsichernde Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und das Recht, Gewerkschaften zu gründen, ein – Nike wurde von der Vereinigung wiederholt besonders scharf kritisiert. Doch der Schrecken vor negativer Publicity war bei Nike offenbar enden wollend. Auch noch 2016 berichtete das Worker Rights Consortium (WRC), eine NGO zur Überwachung von Arbeitsrechten, unter anderem von eingeschränktem Toilettenzugange für die Arbeiter:innnen, Zwangsüberstunden und Entlassungen von schwangeren Frauen.

"Glaube an etwas"

Zwei Jahre später steht der US-amerikanische Tennisstar Serena Williams mit einem feministischen Subtext Patin für die Jubiläumskampagne des berühmten Nike-Slogans "Just do it": "Mädels aus Compton spielen nicht Tennis. Sie dominieren es". Ebenso holte Nike den ehemaligen Football-Quarterback Colin Kaepernick für diese Kampagne. Kaepernick kniete 2016 beim Abspielen der US-Nationalhymne nieder, auch bei den nachfolgenden Partien kniete er sich während der Hymne hin – so protestierte er gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen schwarze Menschen in den USA. Viele Sportlerinnen und Sportler folgten seinem Beispiel. 2018 veröffentlichte Nike ein Sujet mit Kaepernick und dem Zitat "Glaube an etwas. Auch wenn es bedeutet, dass du dafür alles aufgibst". Das ist wohl auch eine Anspielung auf die Liga NFL, die sich von Kaepernick distanzierte.

Wiederum vier Jahre später, im Herbst 2022, bricht das Wokeness-Kapital durch die Spenden von Philip Knight für den Wahlkampf der Republikanerin Christine Drazan wieder ein. Die Abtreibungsgegnerin bekommt durch den Nike-Gründer nun zusätzliche Chancen in dem seit Jahrzehnten demokratisch regierten US-Staat Oregon. Die Unsummen, die Knight mit Nike verdient, einem Konzern, der mit Antirassismus und Gendergerechtigkeit wirbt, können damit direkt das Leben von Frauen und schwarzen Menschen negativ beeinflussen. Etwa durch restriktivere Abtreibungsgesetze, wie sie seit dem Fall von Roe v. Wade nun in den US-Bundesstaaten möglich sind.

Body-Positivity gehört inzwischen auch dazu.
Foto: Screenshot YouTube/Always

Selbstermächtigung statt Beauty

Der Widerspruch zwischen nach außen getragenen Werten und dem, was mit dem Gewinn des Konzerns letztlich unterstützt wird, ist hier unübersehbar – und dient als gutes Beispiel für Woke-Washing. Als solches wurde vor einigen Jahren auch eine neue Body-Positivity-Kampagne der Unterwäschemarke Palmers kritisiert. Frauen mit Konfektionsgröße 38 wurden darin als Tabubruch inszeniert und das Sich-Wohlfühlen mit jedem Körper propagiert – und das nach Jahrzehnten der Kampagnen, in denen extrem Schlanke zum Ideal gemacht und Frauen zu Sexobjekten reduziert wurden. Auch Damenrasierer werden nicht mehr mit schnöden Schönheitsargumenten beworben. Aus Beauty soll Selbstermächtigung werden, "My Skin. My Way" lautet etwa ein zentraler Slogan von Gillette. Auch Periodenprodukte werden heute nicht mehr mit Hygiene, sondern einem feministischen Wording verkauft – vom Kampf gegen Periodenscham bis hin zur Selbstbestimmung. Auch Kampagnen für mehr Selbstbewusstsein spielen in Werbungen für Produkte für Frauen eine zentrale Rolle.

David Preece

Auch Adidas musste kürzlich eine politische Kurskorrektur vornehmen. Das Ende der Zusammenarbeit mit dem Rapper Kanye West soll dem Konzern 250 Millionen Euro Gewinneinbußen im vierten Quartal bescheren. Doch seine rassistischen T-Shirts und als antisemitisch eingestuften Aussagen in sozialen Netzwerken waren zu viel, der Druck auf Adidas stieg.

Während somit die Ansprüche an Firmen bezüglich Diversität und Antirassismus steigen, laufen Arbeits- und Produktionsbedingungen oft weiter unter dem Radar. Die Kampagne Clean Clothes schaut sich regelmäßig an, ob sich Firmen zu existenzsichernden Löhnen verpflichten und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Löhne setzen. An Adidas kritisiert Clean Clothes in seinem Bericht von 2019 unter anderem, dass der Konzern noch immer keinen "klaren Arbeitsplan zur Erhöhung der Löhne bei seinen Zulieferern entwickelt hat".

Äußern sich Unternehmen nur zu politischen Positionen, die schon einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft haben? Lässt man von unpopulären Themen tunlichst die Finger? Gibt es nur umweltpolitische Ansagen, während sie aber ihre Kund:innen über ihre Zulieferbetriebe völlig im Unklaren lassen? Steht das Produkt im starken Widerspruch zur transportierten Botschaft?

Die Suche nach Antworten auf diese Frage kann Woke-Washing schnell entlarven. Just do it. (Beate Hausbichler, 4.11.2022)