Mit den unabhängigen russischen Medien sei es "so gut wie vorbei", sagte Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow am Freitag in Wien. "Dies ist ein Genozid an unabhängigen Medien."

Foto: IMAGO/ITAR-TASS

Mit drastischen Worten beschrieb der Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow die Situation unabhängiger russischer Medien bei einer Konferenz in Wien: "Der Mediengenozid ist vollzogen."

Muratow war am Freitag auf Einladung des Büros des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte, der Uno-Kulturorganisation Unesco und des Außenministeriums in Wien bei einer internationalen Konferenz zum Thema Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten. Der Herausgeber der verbotenen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" hielt das Impulsreferat der Tagung anlässlich des zehnten Jahrestags des Uno-Aktionsplans zum Schutz von Journalisten.

"Größter Feind des Journalismus ist Propaganda"

"Der größte Feind des Journalismus ist Propaganda", sagte Muratow. Als Beispiel für besonders abscheuliche Propaganda in russischen Medien führte Muratow jenes des Russia-Today-Moderators Anton Krasovsky an. Dieser sagte in einer Sendung, dass Kinder, die Russland kritisieren würden, "direkt in einen Fluss mit starker Strömung" geworfen werden sollten. Weiters schlug Krasovsky vor, Kinder in Hütten zu stecken und zu verbrennen. Krasovsky wurde suspendiert, für seine Aussagen habe er sich in der Zwischenzeit halbherzig entschuldigt, erzählte Muratow. Sie seien "geschmacklos" gewesen. "Das Budget dieses Senders beträgt 469 Millionen Euro", beschreibt Muratow die Macht von Russia Today. Mit den unabhängigen russischen Medien sei es "so gut wie vorbei". Was passiere, sei ein "Genozid an unabhängigen Medien".

Mehr als 140 Journalisten wurden als Feinde des Volkes abgestempelt. Muratow bezeichnet die russische Propaganda als "Krankheit, Virus, Verseuchung der Köpfe".

Stiftung im Namen Anna Politkowskajas

Muratow dankte in seiner Rede europäischen Staaten dafür, vertriebene russische Journalisten aufgenommen zu haben. Doch sei es "unangenehm zu hören, dass schon zu viele gekommen sind und sie zurückgehen sollen". Statt Emigranten erneut zu Emigranten zu machen, sollte ein Fonds eingerichtet werden, um Journalisten im Exil bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Dieser Fonds solle nach der getöteten russischen Journalistin Anna Politkowskaja benannt werden, schlug Muratow vor. Journalisten müssten nämlich weiter das tun, was sie können, nämlich "Fakten und Gedanken sammeln". Selbst wenn es scheine, als ob man nichts ändern könne, habe man die Verpflichtung weiterzumachen, betonte der Friedensnobelpreisträger.

"Starke Demokratien haben keine Angst vor starken Meinungen, im Gegenteil. Demokratien werden stärker, wenn Informationen frei geteilt werden können", sagte Medienministerin Susanne Raab bei der Eröffnung der eintägigen Konferenz im Palais Niederösterreich. Sie beklagte, dass sich die Lage der Pressefreiheit in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Staaten verschlechtert habe. "Wir dürfen und werden nicht zulassen, dass dieser Trend weitergeht", so Raab, ohne Österreich zu erwähnen. Dieses war heuer im Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) von Platz 17 auf Platz 31 abgestürzt. Sie sagte aber, dass man die Pressefreiheit auch in Österreich nicht als gegeben ansehen dürfe und Politiker "hart daran arbeiten" müssten, sie "zu erhalten und zu stärken". "Wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen", sagte Raab mit Blick auf die jüngst vorgestellten Eckpunkte für eine Medienreform.

150.000 Euro für Medienprojekt für Frauen in Afghanistan

Raab kündigte auch international einen verstärkten Einsatz Österreichs für die Pressefreiheit an. Konkret wolle man 150.000 Euro für ein Uno-Medienprojekt für Frauen in Afghanistan spenden. Außerdem seien Trainingskurse für Journalisten durch das Bundesheer geplant. Weiters soll im Rahmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit stärker auf den Schutz von Medien Rücksicht genommen werden. Raab hob in ihrer Rede auch hervor, dass vor allem Journalistinnen Bedrohungen ausgesetzt seien, insbesondere auch online.

Die Generaldirektorin der Uno-Kulturorganisation Unesco, Audrey Azoulay, zog in ihrem Statement eine "gemischte" Bilanz des vor zehn Jahren beschlossenen Uno-Aktionsplans. Immer noch würden "viel zu viele Journalisten" getötet. Es sei aber zumindest gelungen, die Straflosigkeit etwas zu verringern. Menschenrechtskommissar Türk wies darauf hin, dass die Arbeit von Journalisten angesichts der wachsenden sozialen Spannungen und des sinkenden Vertrauens in politische Institutionen immer wichtiger werde. Konkret forderte er ein Moratorium für den Export, Verkauf und Einsatz von digitalen Überwachungsmitteln, weil diese gegen Journalisten eingesetzt werden.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Angesichts der Teilnahme von gefährdeten Journalisten aus aller Welt – von Kolumbien bis Pakistan – waren die Sicherheitsvorkehrungen im Palais Niederösterreich hoch. Zusätzlich zur obligatorischen Sicherheitskontrolle am Eingang wimmelte es im Gebäude nur so von Sicherheitsleuten. Menschengroße Kartonaufsteller mit Porträts getöteter Journalisten – wie etwa des Slowaken Ján Kuciak oder des saudi-arabischen Bloggers Jamal Khashoggi – unterstrichen die Notwendigkeit dieser Vorkehrungen.

Bei der Konferenz kamen vor allem Medienvertreter zu Wort, darunter auch APA-Geschäftsführer Clemens Pig in seiner Eigenschaft als Präsident der Europäischen Agenturallianz EANA. Bereits am Donnerstag hatten Experten in einer vorbereitenden Konferenz über Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Journalisten diskutiert. Zum Abschluss wollten die in Wien versammelten Staatenvertreter am Abend eine "politische Deklaration" annehmen, in der sie sich "alarmiert" über die anhaltenden Angriffe auf Journalisten und die "anhaltende Straflosigkeit" im Fall von Verbrechen gegen Journalisten zeigen und ihr Bekenntnis zum Uno-Aktionsplan bekräftigen.

Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten ist nicht nur in Russland mitunter lebensgefährlich. Zwischen 2006 und 2021 wurden laut Außenministerium weltweit mehr als 1.200 Journalistinnen und Journalisten getötet. In 87 Prozent der Fälle wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Heuer kamen bis Anfang September 61 Medienschaffende aus 26 Ländern ums Leben, zehn von ihnen bei der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. (prie, APA, 4.11.2022)