Bei guter Witterung ist der Auer-Welsbach-Park ein beliebtes Erholungsgebiet. Im Sommer wurde er aber zum Tatort einer versuchten Vergewaltigung.

Foto: Heribert Corn

Wien – Es hätte ein nettes Wiedersehen mit Jan S. werden sollen. Deshalb traf sich eine 31-jährige Slowakin am Abend des 1. Augusts mit ihrem drei Jahre älteren Landsmann in Wien. Gegen zwei Uhr Früh brachte sie sich in Panik in einer Tankstelle in Sicherheit – ihr Jugendfreund S. hatte versucht, sie im Auer-Welsbach-Park zu vergewaltigen. Das behauptet zumindest Staatsanwältin Julia Kalmar in ihrem Plädoyer am Beginn des Schöffenprozesses unter Vorsitz von Tea Krasa.

"Was ist da passiert?", fragt Krasa den Angeklagten, der sich nicht schuldig bekennt. "Ich habe schon alles gesagt, ich kann nichts mehr dazu sagen", ist der in seiner Heimat dreifach wegen Diebstahls Vorbestrafte wenig auskunftsfreudig. "Sie halten Ihre Aussage bei der Polizei aufrecht?", vergewissert sich die Vorsitzende. S. bejaht, also fasst Krasa zusammen: Er sei mit der Bekannten an dem Abend in insgesamt drei Parks gewesen.

Im ersten hätte die Frau ihm "Sex später" angekündigt, lässt der in Niederösterreich lebende Arbeitslose übersetzen. Im dritten habe man sich geküsst, in Ermangelung eines Kondoms habe die Frau Geschlechtsverkehr abgelehnt, aber Oralverkehr angeboten. Während diesem habe sie plötzlich "Da ist jemand!" gerufen und sei zur nahen Tankstelle gelaufen. Warum, wisse er nicht.

Verfolgung mit nacktem Oberkörper

Anhand von Bildern aus der Überwachungskamera kann Krasa dem Angeklagten doch auch vor Gericht etwas herauskitzeln. Denn zu sehen ist, dass S. mit nacktem Oberkörper kurz nach der Frau in der Treibstoffabgabestelle auftaucht. "Warum haben Sie denn nichts an?" – "Weil ich mein T-Shirt im Park gelassen habe." – "Und warum haben Sie es im Park gelassen?" – "Weil sie gesagt hat, da ist jemand."

Die zierliche 31-Jährige wird in Abwesenheit des deutlich schwereren Angeklagten einvernommen, daher wird er von der Justizwache in den Nebenraum gebracht. Sie schildert, dass man sich aus den Augen verloren habe und via Facebook wieder sporadisch in Kontakt gekommen sei. Da sie wissen wollte, was aus S. geworden ist, habe sie einem Treffen zugestimmt. "Ich habe gedacht, für zwei Stunden oder so", erzählt sie dem Senat.

Im ersten Park habe man ein Bier und Martini getrunken und geplaudert, es sei später geworden, sie verpasste den letzten Bus. "Ich bin dann zu Fuß heimgegangen, er hat angeboten, mich zu begleiten, da es schon dunkel gewesen ist", erinnert sich die Zeugin. Bei der Tankstelle neben dem dritten Park habe man beschlossen, noch ein Abschlussbier zu kaufen. "Dann haben wir uns dahinter am Rand des Parks auf Bänke gesetzt."

Plötzlicher Angriff

Für sie völlig überraschend habe S. sich plötzlich vorgebeugt und ihre Brüste gepackt, dazu gesagt: "Komm, bitte, ich will dich ficken und ihn hineinstecken!", erzählt die aufgewühlte Frau. "Ich habe ganz schnell gedacht", schildert sie. "Dann habe ich vorgeschlagen, dass wir noch Wodka in der Tankstelle kaufen", versprach sie sich dadurch Rettung. Die Reaktion von S. laut ihrer Aussage: "Nein, ich will jetzt ficken!"

Schlussendlich habe der Angeklagte sie an den Haaren gepackt und in eine dunkle Ecke der Grünanlage gezerrt, auch am linken Oberarm der Frau ist eine Druckstelle dokumentiert. Sie habe Todesangst gehabt, da sie befürchtete, S. würde sie erst vergewaltigen und dann erwürgen oder erschlagen. Trotzdem blieb sie bewundernswert überlegt – und bot dem Angreifer Oralverkehr an. "Ich habe überlegt, ihn in den Penis zu beißen und wegzulaufen", verdeutlicht sie ihren Gedankengang. Der Angeklagte habe sich mit heruntergelassener Hose hingelegt, sie habe sich aber nicht überwinden können und sein Geschlechtsteil nur in die Hand genommen.

Heruntergelassene Hose half

"Ich wusste, dass ich nur eine Chance habe, und verschwand wie eine Rakete", erzählt die Zeugin, wie sie aufgesprungen und zur Tankstelle gelaufen sei. S. habe sie verfolgt, habe aber erst seine Hose wieder adjustieren müssen, was ihr einen entscheidenden Vorsprung verschaffte. "Bei der Tankstelle war ein Kunde, ich war aber so unter Schock und konnte nur leise 'Hilfe, Hilfe!' sagen. Der Mann hat dann gesagt, ich soll hineingehen."

"Was für Folgen hatte das alles für Sie?", will Krasa von der Frau wissen. Neben dem blauen Fleck, Zerrungen und ausgerissenen Haaren vor allem psychische, erfährt sie. "Die ersten zwei Tage konnte ich vor Angst das Haus überhaupt nicht verlassen. Danach musste ich eine Woche lang meine Schwester bitten, mich zum Einkaufen zu begleiten. Ich habe mir auch ein Pfefferspray gekauft, das ich immer bei mir habe", sagt die Zeugin, die 1.000 Euro Schmerzensgeld vom Angeklagten will, aber nach ihrer Aussage keine längerfristigen psychischen Probleme erlitt.

Verteidiger Michael Drexler versucht dann, Zweifel beim Gericht zu säen. "Bei der Polizei haben Sie noch gesagt, der Angeklagte habe schon im ersten Park gesagt: 'Ich möchte dich lecken'; das haben Sie jetzt nicht erzählt", hält er der Zeugin vor. "Ja, stimmt, das habe ich vergessen. Ich bemühe mich, die ganze Angelegenheit zu vergessen und positiv zu denken", gibt die 31-Jährige zu. S. habe das gesagt, sie aber entrüstet abgelehnt, deshalb sei sie auch bald danach aufgebrochen.

Vorsitzende ermahnt

"Aber warum sind Sie dann mit ihm noch in den dritten Park gegangen und haben sich dort hingesetzt? Da muss ich mich als Frau – ich bin keine – doch schon unwohl fühlen?", versucht Drexler es weiter. "Weil mir sowas vorher noch nie passiert ist. Ich habe nicht gedacht, dass er plötzlich so aggressiv wird. Aber ja, ich war selber schuld, dass ich mich überhaupt mit ihm getroffen habe." – "Kann es sein, dass S. die Situation missverstanden hat? Sie haben ihm ja Oralverkehr angeboten ...", will der Verteidiger weitermachen, wird aber von der Vorsitzenden gestoppt. "Die Zeugin kann nicht mutmaßen, was sich der Angeklagte gedacht hat. Und das Wort 'Victim-Blaming' kennen Sie schon?", erkundigt sich die sonst so ruhige und freundliche Krasa. Drexler zieht seine letzte Frage daraufhin grummelnd zurück.

Die Vorsitzende hat auch quasi die Rolle der Untersuchungsrichterin reaktiviert und den formell weder von Polizei noch Staatsanwaltschaft vernommenen Tankwart als Zeugen geladen. Der 27-Jährige kann sich an die Nacht auf den 2. August noch gut erinnern. "Wir sperren in der Nacht aus Sicherheitsgründen immer die Türen zu, sie können nur von innen geöffnet werden. Die Dame ist dann gegen die Tür geknallt. Ich wollte sie anschnauzen, warum sie so gegen meine Tür rennt, da habe ich bemerkt, dass sie völlig aufgelöst ist."

Tankwart drückte Alarmknopf

Als er die Notsituation erkannte, drückte er den Alarmknopf und alarmierte so die Polizei, mittlerweile war auch der halbnackte S. in der Tankstelle erschienen. "Er hat gesagt: 'Das geht dich nix an, das ist meine Frau.' Ich habe ihm geantwortet, dass es mich jetzt schon etwas angehe, da ich die Polizei gerufen habe." Der Angeklagte, den der Zeuge eindeutig identifiziert, sei dann verschwunden.

Bei aller Tragik des Falles führt der Tankwart dann mit seiner weiteren Schilderung beim Beisitzer zu einem amüsierten Blitzen der Augen. "Die Polizei ist dann auch gegen die Tür gelaufen", erzählt der Zeuge nämlich. Nach Klärung der Lage konnten die Beamten S. kurz darauf in der Nähe festnehmen, seit damals ist er in Untersuchungshaft.

Während Anklägerin Kalmar den Sachverhalt als bewiesen ansieht, ersucht der Verteidiger im Schlussplädoyer um einen Freispruch im Zweifel. "Es gibt doch einige Ungereimtheiten", argumentiert er. "Und es könnte auch ein Missverständnis vonseiten meines Mandanten gewesen sein. Er hat ja ein faktisches Tatsachengeständnis abgelegt", zeigt Drexler sich überzeugt.

Rasche Urteilsfindung

Die Berufs- und Laienrichterinnen brauchen nicht einmal 15 Minuten, um zu einem Urteil zu kommen. Sie verurteilen S. zu 3,5 Jahren unbedingter Haft, dem Opfer muss er 500 Euro zahlen. "Die Frau war durchwegs vollkommen glaubwürdig", begründet die Vorsitzende. Die Schilderung des Angeklagten hielt das Gericht dagegen für nicht plausibel. "Sie haben uns keinen Grund nennen können, warum die Frau Sie falsch belasten sollte", meint Krasa. Darüber hinaus gibt es den dokumentierten blauen Fleck und die Aussage des Tankwarts. "Er hat laut einem Amtsvermerk der Polizei auch vor Ort angegeben, dass die Frau 'hysterisch' und völlig aufgelöst gewesen sei."

Als dem Angeklagten das Urteil übersetzt wird, stößt der 34-Jährige mit einem "Pfffhhh" die Luft aus. Nach kurzer Beratung mit seinem Anwalt akzeptiert er die Strafe aber. Da auch die Staatsanwältin kein Rechtsmittel einlegt, ist die Entscheidung rechtskräftig. (Michael Möseneder, 4.11.2022)