Chatdienste wie Whatsapp, Telegram oder Signal wären nach dem Entwurf der EU-Kommission zur anlasslosen Suche nach Missbrauchsinhalten verpflichtet.

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Österreichs Politik hat große Bedenken, was die geplanten EU-Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch betrifft. Das hat die gestrige Sitzung des EU-Unterausschusses des Nationalrats ergeben. Ein entsprechender Antrag von Süleyman Zorba (Grüne) wurde von einer Mehrheit aus ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos unterstützt. Die FPÖ stimmte der Initiative zwar nicht zu, brachte aber einen ähnlichen eigenen Antrag ein, der von der SPÖ unterstützt wurde, aber keine Mehrheit fand.

Im Europäischen Parlament wurde bereits bei der Diskussion des Verordnungsentwurfs Anfang Oktober Kritik laut. Auf Regierungsebene hielten sich bisher alle Staaten bedeckt – Österreich ist nun das erste Land, das sich in dieser Deutlichkeit gegen den Entwurf in seiner aktuellen Version ausspricht. Deutschland hatte sich im Rat der Europäischen Union bereits skeptisch gezeigt, hat aber keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Entwurf. Das zeigen ratsinterne Dokumente, die netzpolitik.org zugespielt wurden.

Österreich könnte gegen Verordnung stimmen

In dem Antrag wird der Verordnungsvorschlag unter anderem wegen mangelnder Grundrechtskonformität kritisiert. Die österreichische Bundesregierung wird im Antragstext dazu aufgerufen, sich in den weiteren Verhandlungen für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung des Vorschlags einzusetzen – sollte dies scheitern, müsste die Bundesregierung in Person des zuständigen Innenministers Gerhard Karner (ÖVP) im Ministerrat gegen den Verordnungsbeschluss stimmen.

Nach aktuellem Stand würde der Verordnungsentwurf der Kommission Messenger-Dienste wie Whatsapp, Telegram oder Signal dazu verpflichten, die Chatnachrichten ihrer Nutzerinnen und Nutzer auf Darstellungen von Kindesmissbrauch zu durchsuchen. Der Antrag des Unterausschusses richtet sich vor allem an Innenminister Gerhard Karner. Dieser hat zugesagt, sich auf EU-Ebene intensiv für die Einarbeitung der Bedenken in den Verordnungsentwurf einzusetzen.

Datenschutzorganisationen kritisieren, dass eine derartige Regelung die Verschlüsselung der Messenger-Dienste aushebeln würde und mit dem Recht auf Privatsphäre nicht vereinbar sei.

Freude bei NGOs

Der österreichische Schritt wird nun einhellig begrüßt: Von der deutschen Sparte des Chaos Computer Club (CCC) heißt es etwa: "Anlasslose Massenüberwachung trägt nichts zur Sicherheit von Kindern bei, sondern gefährdet Kinder und Jugendliche und öffnet sperrangelweite Einfallstore für Missbrauch." Stattdessen fordere man eine ausreichende Ausstattung von Kinderschutzinstitutionen und die Verbesserung von Ermittlungskapazitäten. Deutschland müsse nun "Österreichs gutem Beispiel folgen".

Auch die Datenschutz-NGO Epicenter Works drückte gestern ihre Freude über den angenommenen Antrag des EU-Unterausschusses aus und sprach in einem Blog-Eintrag von einem "guten Tag für das offene Internet und unsere Privatsphäre". Epicenter Works führt gemeinsam mit anderen NGOs die Kampagne StopScanningMe.eu gegen die Pläne der EU-Kommission zur Messenger-Überwachung.

Reaktionen der Parteien

Antragsteller Süleyman Zorba (Grüne) verkündete auf Twitter, Kinderschutz sei "zu wichtig, um ihn gegen das Grundrecht auf Privatsphäre auszuspielen". Autoritäre Regierungen könnten Methoden zur anlasslosen Massenüberwachung missbrauchen. Außerdem sei noch unklar, wie eine derartige Überwachung überhaupt technisch gelöst werden solle. Die ÖVP-Abgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli gab an, es gehe jetzt darum, sich aktiv bei der Suche nach geeigneten Instrumenten zum Schutz vor Kindesmissbrauch einzusetzen.

SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharowits sagte, man unterstütze zwar das Ziel des Kinderschutzes, halte die Verordnung aber für überschießend. Sie machte auf die Fehleranfälligkeit möglicher technischer Umsetzungen aufmerksam. Katharina Werner von den Neos betonte die Grundrechtswidrigkeit des Kommissionsvorschlags. Neos-Vize-Klubobmann Nikolaus Scherak gab in einer Presseaussendung bekannt, es brauche "zielgerichtete Maßnahmen gegen Straftäter, nicht die Abschaffung der Privatsphäre aller".

Noch ist nicht bekannt, ob andere Staaten dem österreichischen Beispiel folgen werden. Zu erwarten ist aber, dass vor allem auf die deutsche Regierung nun der Druck steigen wird, sich auf EU-Ebene ebenfalls deutlicher gegen das Vorhaben zu positionieren – der Koalitionsvertrag der Ampel sieht jedenfalls auf Seite 16 ein "Recht auf Verschlüsselung" vor. (Jonas Heitzer, 4.11.2022)