Das Steam Deck – ein passendes Tool, um den gefürchteten "Pile of Shame" endlich in den Griff zu kriegen.

Foto: Rainer Sigl

Brauche ich das wirklich? Diese Frage habe ich mir im Verlauf des letzten Jahres in Bezug auf das Steam Deck wiederholt gestellt. Ich hatte auch ziemlich viel Zeit dafür, denn zwischen der Vorbestellung und dem Moment, in dem ich mein Deck Mitte August in Betrieb nehmen durfte, lagen elf lange Monate. In denen schwankte ich regelmäßig zwischen Vorfreude und Zweifeln, ob ich das Ding nicht nach kurzer Begutachtung einfach wieder retournieren würde.

Brauche ich das? Wirklich? Nach gut zwei Monaten mit dem Deck gibt es eine Antwort auf diese Frage. Allerdings fällt diese differenziert aus. Vielleicht hilft sie Ihnen aber trotzdem, falls Sie selbst schwanken.

Als langjähriger, auch beruflicher PC-Spieler habe ich mit etwas über 1.800 Titeln auf Steam eine ziemlich umfangreiche Games-Sammlung, die konstant weiterwächst. Genau das dürfte auch für viele andere KäuferInnen ein gewichtiges Argument sein: Das Steam Deck ist eben keine "zusätzliche" Konsole, die extra mit Spieleinkäufen gefüttert werden muss, sondern gewissermaßen eine neue Möglichkeit, sich mit Spielen zu beschäftigen, die man bereits besitzt.

Optimiert oder nicht? Egal – meistens

Aber: Stimmt das? Bei der ersten Durchsicht meiner Games-Bibliothek auf dem neu ausgepackten Valve-Handheld hat mich überrascht, wie "wenige" meiner Spiele das stolze Label "für das Steam Deck optimiert" tragen dürfen. Das "wenige" steht unter Anführungszeichen, denn mit 463 von 1.808 Spielen sind das wohl immer noch mehr, als ich jemals aus diesem Pile of Shame ausgraben werde.

Trotzdem: Unter den optimierten Titeln sind außerdem auch einige, die ich nur ungern auf dem kleinen Screen und mit der im Vergleich zum Klassiker Maus & Keyboard eher ungewohnten Touchpad-Steuerung in Angriff nehmen will. Klar, Rimworld und Terra Invicta sind "optimiert" – aber das heißt nicht, dass es angenehm ist, diese hyperkomplexen Titel so zu spielen. Aber ja: Es bleibt bei einer Auswahl von 463 Spielen noch genug anderes übrig. Und sogar noch mehr.

Nur weil ein Spiel nicht das Prädikat "fürs Steam Deck optimiert" trägt, heißt das nämlich noch lange nicht, dass es nicht trotzdem läuft, und zwar teils sogar sehr gut. Das 2018 erschienene "Shadow of the Tomb Raider" etwa hat das gefürchtete gelbe Rufzeichen neben dem Namen, was bedeutet, dass es nicht optimiert, sondern lediglich "spielbar" ist. Es läuft trotzdem wie ein Traum auf dem Deck. Allerdings muss ich zum Spielstart ein-, zweimal auf dem Touchscreen hantieren, bevor die durchgängige Steuerung per Controller beginnt. Eine kleine Unbequemlichkeit – mehr nicht. Leider trifft das nicht überall zu. Ein schneller Blick auf die ProtonDB verrät mehr – zum Beispiel auch, dass mir das Gefrickel, um "Red Dead Redemption 2" auf dem Deck zum Laufen zu bringen, aktuell noch etwas zu mühsam sein dürfte. Schade.

Ich durchforste meine Bibliothek und bemerke trotzdem: Wenn bei einem Spielenamen das grüne Häkchen fehlt, das für die von Valve geprüfte Optimierung steht, bedeutet das meistens nicht, dass das Spiel überhaupt nicht läuft. Meine Spielesammlung fühlt sich wieder richtig groß an. Und das ist nur die auf Steam.

Ausprobieren, Testen, Troubleshooten

Das Steam Deck ist keine Konsole wie alle anderen, sondern – eben – ein richtiger Computer, noch dazu einer mit Linux. Schnell erforsche ich im Desktop-Modus das mir wenig bekannte Betriebssystem. Das muss ich auch, denn natürlich will ich mich nicht auf Steam allein beschränken. GOG, Epic, Uplay, Gamepass: Die meisten konkurrierenden Downloadplattformen für Games lassen sich auf die eine oder andere Weise auch auf dem Steam Deck zum Laufen bringen.

Das klappt auch relativ einfach. Wer Google bedienen kann und vor dem Abtippen simpler Terminalbefehle nicht kapituliert, hat bald auf seinem Deck auch andere Spiele als nur jene von Steam zur Verfügung. Weil die Bedienung eines vollwertigen Betriebssystems per Controller und virtueller Tastatur mühselig ist, habe ich dafür zuerst ein Bluetooth-Keyboard verwendet und mir später ein USB-C Dock bestellt. An den großen Monitor, Maus und Tastatur angeschlossen fühlt sich das Deck wie ein waschechter Linux-Desktop-PC an. Auf dem großen Monitor spielen? Diese Idee gebe ich nach ersten Versuchen auf. Die Auflösung, die das Handheld nativ bewältigt, ist eher was für kleine Bildschirme.

Die ohnehin schon umfangreiche Steam-Bibliothek wird durch die Games anderer Plattformen noch ergänzt.
Foto: Rainer Sigl

Die Launcher und Download-Stores zu installieren ist das eine, die Spiele dazu sind das andere. Hier fehlt überall die Voreinstufung, ob sie Deck-tauglich sind, also zählen Menschenverstand und Trial&Error. Das schicke "Hades" läuft auch als Epic-Store-Spiel perfekt am Deck. "Days Gone" läuft angeblich wunderbar als Steam-Spiel – weil ich es aber nur auf Epic habe, komme ich über den Startbildschirm nicht hinaus. Die endlosen Trouble-Shooting-Foren-Threads verlaufen sich im Nichts. "Days Gone" auf Proton, auf dem Deck – machbar. Dann noch über den Epic-Games-Store-Launcher? Nicht trivial.

Ebenso wenig trivial: Spiele aus dem Gamepass am Deck zum Laufen zu bringen. Aktuell können Titel aus Microsofts Games-Abo im SteamOS nicht ohne weiteres installiert, sondern nur per XBox Cloud Gaming gestreamt werden. Will ich mehr, muss ich eine Parallelinstallation von Windows 11 auf dem Deck vornehmen – das ist mir zu mühsam. Eine Enttäuschung, andererseits: Dass ausgerechnet Microsoft nicht mit dem Gamechanger für Spiele unter Linux kooperieren mag, ist nicht ganz überraschend.

Wunderbare Indie- und Oldies-Galaxie

Egal, es geht auch ohne Gamepass. Je kleiner und älter die Spiele sind, die ich ausprobiere, desto eher laufen sie problemlos. So gut wie alle Indie-Spiele der letzten 15 Jahre laufen perfekt, viele davon ohne jedes Murren, auch wenn sie via Epic, Uplay oder GOG auf dem Deck landen. Und nicht nur Indies, auch etwas ältere Titel spielen mit, wenn sie denn nicht allzu sehr auf reine Keyboard-Bedienung ausgelegt sind.

Meine GOG-Sammlung lockt mit Uralt-Titeln, die ich ausprobieren will: "Soul Reaver: Legacy of Kain", irgendwann in einem Sale um 99 Cent erworben, startet wunderbar, will aber erst in Sachen Controller-Tastenbelegung konfiguriert werden. Ein bisschen recherchiert, schon läuft der Oldie; statt nochmals in diesem Klassiker zu versinken, habe ich es aber dabei belassen, mich zu freuen, dass es klappt. Muss ich extra erwähnen, dass sich das Deck als geradezu perfekte Plattform für Emulatoren herausgestellt hat? Eine ganze Welt voller emulierter Spieleklassiker, ein legaler Graubereich, der vielerorts die einzige Möglichkeit bietet, fast vergessene und nirgends mehr erhältliche historische Spiele überhaupt noch spielen zu können. Klappt am Desktop-PC – und am Deck sowieso. Dieser Kaninchenbau liegt noch vor mir.

Gerade anfangs verbringt man mit dieser Spirale des Ausprobierens weitaus mehr Zeit als mit dem tatsächlichen Spielen. Meist ist dieses Gefrickel nur eine kleine Hürde, hin und wieder artet die sportliche Herausforderung, ein Spiel doch noch zum Laufen zu bringen, aber doch in Frust aus. Wer etwa die Idee hat, "Dead Space 3", ganz regulär auf Steam gekauft, auf dem Deck zum Laufen zu bringen, hat die Rechnung ohne EA und seine allseits beliebte Launcher-App gemacht. Die verweigert nämlich im Steam-OS stur den Dienst. So heißt’s entweder Warten auf das nächste Proton-Update oder aber stundenlanges Schrauben und Suchen in diversen Foren. Kein Lösungsansatz klappt bei mir, ich fluche und verschwende drei kostbare Abendstunden mit ergebnislosem Troubleshooting. Die Bequemlichkeit der Konsolenwelt von Playstation, Switch oder Xbox ist in solchen Momenten weit weg.

Der Pile of Shame in neuem Licht

Ja, ich verbringe hier nicht wenig Zeit mit anderen Dingen als Spielen, aber: Wenn es dann so weit ist und ich mich mit meinem Deck auf der Couch, in der Hängematte oder im Bett den Spielen zuwende, passiert etwas Spannendes. Mein Back-Katalog an PC-Spielen wird vom schuldbewusst zur Kenntnis genommenen Pile of Shame plötzlich zur Bibliothek voller großartiger Möglichkeiten. Eigentlich wollte ich schon immer die nie gespielten DLC-Missionen von "Alien Isolation" und "Prey" nachholen. Habe ich damals bei "The Evil Within 2" schon den First-Person-Modus ausprobiert? "Fights in Tight Spaces" ist auch schon seit einem Jahr aus dem Early Access – Zeit, sich das endlich mal genauer anzusehen!

"Call of Cthulhu", "Röki", "Roguebook", "MGS V" und "Mark of the Ninja": Sie und viele mehr habe ich irgendwann bei einem Sale oder in einem Bundle gekauft mit der Absicht, sie "irgendwann" einmal zu spielen – und erst auf dem Deck so richtig gewürdigt. Aber auch neue Titel, vor allem Indies, spiele ich nur mehr hier. "Cult of the Lamb" passt so gut aufs Deck, dass ich es niemals am Desktop-PC installieren werde. "Signalis" ist eine Horrorerfahrung, die mit Kopfhörern und dem "kleinen" Bildschirm nah vor mir viel eindrücklicher rüberkommt als auf dem großen PC. Und das erste und das zweite "Dead Space" laufen im Gegensatz zum oben erwähnten dritten Teil übrigens ohne ein einziges Mucksen perfekt auf dem Handheld – eine gute Gelegenheit, die Vorfreude aufs Remake ein wenig anzukurbeln. Und von "Vampire Survivors" fange ich gar nicht erst an.

Das Steam Deck definiert unsere Beziehung zu unserer Spielebibliothek neu – so hat es ein Artikel auf Eurogamer vor kurzem umschrieben, und es stimmt: Es ist genau das Tool, das mir persönlich zum Durchgraben meines Back-Katalogs schmerzhaft gefehlt hat. Es passt perfekt zu jenen Momenten, in denen ich bislang einfach keine Lust auf klassisches PC-Gaming hatte, keine Lust aufs Sitzen vor einem Monitor, der auch Arbeitsgerät ist, und es befreit mich von allen Ablenkungen, die am PC sonst so neben Steam auf mich warten.

Fazit: Für manche Menschen unverzichtbar – für andere nicht

Brauche ich das also? Wirklich? Ich fürchte, die Antwort ist: ja. Es ist eine Antwort für mich: Als jemand, dessen Spieleleben seit Jahren großteils auf dem PC stattfindet, der keine ausgeprägte Berührungsangst mit ein wenig Recherche und Herumschrauben in Menüs hat, als jemand, der in den letzten zwei Monaten wirklich großen Spaß mit ziemlich unerwarteten Spielen aus den Tiefen meines Piles of Shame haben durfte, fällt sie ziemlich eindeutig aus.

Ist das Deck ein guter Einstieg ins PC-Gaming, für jemanden, der weder einen Steam-Katalog noch Erfahrung mit den eher frickeligen Aspekten des Ganzen hat? Für jemanden, der einfach aufschalten und losspielen will? Hier lautet die Antwort eher: nein. Für mich aber ist klar: Das Steam Deck hat mir gerade noch gefehlt. Und "Dead Space 3" bringe ich auch noch zum Laufen. Das wäre doch gelacht. (Rainer Sigl, 6.11.2022)