Jahrelang ging es steil bergauf, nun bremst sich die Preisentwickung am Immobilienmarkt ein.

Illustration: Armin Karner

Der Rollrasen liegt schon. Der Parkettboden ist verlegt, die Türen sind eingebaut. Ende November wären die Doppelhaushälften in Kottingbrunn im Wiener Speckgürtel um je 549.000 Euro bezugsfertig. Allerdings: Sie sind noch nicht verkauft. Interessierte gäbe es zwar, allerdings fehle ihnen das Geld, erzählt die Maklerin Roswitha Adler von MB Immobilien. Ein junges Paar kam zu zwei Besichtigungen. Doch die Bank gab ihnen keinen Kredit, sie bleiben bei den Eltern wohnen.

Adler betreut rund um Wien mehrere Projekte mit Doppelhaushälften. "Ich habe kaum Anfragen", sagt sie. "Die Situation ist neu für mich, normalerweise verkaufe ich so was im Nu." Vor allem junge Menschen zwischen 25 und 37 hätten früher mit zehn Prozent Eigenmitteln gekauft. Doch diese Zeiten sind vorbei.

In ganz Österreich sind die Immobilienverkäufe im ersten Halbjahr merkbar, seit dem Sommer stark zurückgegangen. Das belegen Zahlen von Immo United. Von Jänner bis Ende Oktober 2022 gab es nur noch etwas mehr als 121.000 Verbücherungen (Wohneinheiten, Stellplätze und Baugrundstücke); im selben Zeitraum des Vorjahres waren es mehr als 134.000. Im dritten Quartal 2022 dürften sich die Transaktionen im Vorjahresvergleich fast halbiert haben. Nicht nur das: Nach Jahren starker Anstiege sind die Immobilienpreise um nur mehr 0,3 Prozent gestiegen – von April bis Juni waren es noch 3,5 Prozent (siehe Grafik). Matthias Reith von Raiffeisen Research sieht eine "preisliche Vollbremsung" und gar eine "Zeitenwende".

Anderswo sind die Preise schon weit stärker gesunken, etwa in Neuseeland, Kanada oder den USA. Aber ist damit auch in Österreich zu rechnen? Und was bedeutet ein mögliches Ende des Immobilienbooms für Verkäuferinnen, Käufer, Häuslbauerinnen oder Kreditnehmer?

1. Kreditnehmer

Was viele potenzielle Käuferschichten derzeit ausbremst, ist das enge Korsett der Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-VO), die seit August in Kraft ist. Mit zehn Prozent Eigenmitteln kommt man nicht mehr weit, jetzt muss es in der Praxis mindestens das Doppelte sein. Neben der Beleihungsquote wurden auch bei der Laufzeit und dem Schuldendienst die Zügel angezogen, sodass viele an diesen Hürden scheitern. Für solche Fälle gibt es zwar Ausnahmekontingente für die Banken, diese haben jedoch für eine völlige Intransparenz am Markt für Wohnfinanzierungen gesorgt, sagt Andreas Lederer, der für das Vergleichsportal Durchblicker diesen Bereich leitet.

Denn je nachdem, bei welcher Bank gerade Platz in einem solchen Ausnahmekontingent ist, können Kreditsuchende entweder abgelehnt oder angenommen werden. Dabei könne derselbe Antrag bei derselben Bank in einem Monat abgewiesen, im nächsten aber dann doch angenommen werden, berichtet Lederer.

Wer in einem Kontingent untergekommen ist oder die Vergaberichtlinien ohnedies erfüllt, steht vor einem weiteren Problem: Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei. Wie lassen sich die enorm gestiegenen Kreditkosten im Haushaltsbudget unterbringen, das zusätzlich von der hohen Inflation belastet wird? Zur Veranschaulichung: Der für viele variable Kredite maßgebliche Zinssatz, der Drei-Monats-Euribor, ist seit dem Tief Ende des Vorjahrs bei minus 0,6 Prozent bereits auf mehr als 1,7 Prozent emporgeschnellt – ein Anstieg um mehr als 2,3 Prozentpunkte.

Was das für Kreditnehmende bedeutet? Ein variabler Kredit war im Oktober bei guter Bonität Lederer zufolge noch um zwei Prozent zu haben. "Wir gehen davon aus, dass die variablen Zinsen bis Jahresmitte 2023 weiter um ein bis 1,5 Prozent auf zumindest 3,375 bis 3,875 Prozent steigen werden", sagt der Finanzierungsexperte und rechnet vor: Bei einem 30-jährigen Kredit über 300.000 Euro führt ein Zinsanstieg um 1,5 Prozentpunkte zu einer monatlichen Mehrbelastung von 329 Euro.

Ähnlich steil geht es mit den Konditionen für fix verzinste Wohnkredite nach oben – wobei noch kein Ende abzusehen ist. Die Europäische Zentralbank hat bereits weitere Zinserhöhungen angekündigt, um gegen die hohe Inflation vorzugehen.

Änderungen gefordert

Dass die strengeren Kreditvergaberichtlinien seit August nun manchem Wohntraum einen Strich durch die Rechnung machen, gefällt nicht allen: Wenn es nach der niederösterreichischen Volkspartei geht, dann sollte sich die Verfügbarkeit von Häuslbauer-Krediten wieder verbessern. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die demnächst eine Landtagswahl zu schlagen hat, nannte die Maßnahmen "überbordend" und forderte eine dringende Überprüfung.

Der steirische Wohnbaulandesrat Hans Seitinger, ebenfalls von der ÖVP, schlägt in dieselbe Kerbe: "Mit den aktuellen Kreditvergaberichtlinien wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet." Ja, der Finanzmarkt brauche natürlich Regeln, "aber mit der nun geltenden KIM-Verordnung wird es jungen Menschen, die sich durch ihre eigene Arbeit Eigentum schaffen wollen, fast unmöglich gemacht, sich etwas aufzubauen." Als möglichen Ansatz sieht er die Berücksichtigung von Wohnbauförderungen als Eigenmittel. Dass Eigentum für junge Menschen oft schon unleistbar ist, hat zuletzt auch Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) mehrmals kritisiert.

Eine Überprüfung der KIM-VO hat Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bereits angekündigt. Allerdings: Die Verordnung basiert auf einer Empfehlung des Finanzmarkt-Stabilitätsgremiums, in dem führende Beamte aus dem Finanzministerium sitzen – sie kommt also aus den eigenen Reihen der ÖVP. Und weil die Banken erst seit 1. Oktober Daten sammeln und melden müssen, dürfte die Evaluierung erst 2023 stattfinden, wenn ein Quartal lang die Lage beobachtet werden konnte.

2. Käuferinnen

Wäre alles nach Plan gelaufen, dann wäre Karoline R. seit mehreren Jahren Besitzerin einer Wohnung in Wien. Zumindest ist sie seit vier bis fünf Jahren auf der Suche nach einer Altbauwohnung mit drei Zimmern für sich und ihre kleine Familie. Doch die zuletzt stark gestiegenen Preise haben ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun hofft die Familie, dass sie angesichts der sich abzeichnenden Abkühlung am Immobilienmarkt doch noch zum Zug kommen. Um diese Zeitspanne zu überbrücken, mussten sie kreativ werden: Sie ziehen nun eine Rigipswand in ihrer gemieteten Altbauwohnung ein, um ein Kinderzimmer zu schaffen.

Mit der abwartenden Haltung sind Karoline R. und ihre Familie nicht alleine. Noch ist die Veränderung, die der Immobilienmarkt gerade durchmacht, schwer an Zahlen festzumachen. Aber Maklerinnen wie Roswitha Adler bemerken nun plötzlich Zögern und Zaudern, wo früher ein Kaufanbot gestanden ist. Manche Wohnungen, berichtet Karoline R., tauchen nun auch immer wieder auf den Immobilienplattformen auf, weil sie offenbar keine Käufer finden.

"Der Immobilienmarkt hat sich in den vergangenen Wochen spürbar verändert", sagt auch Bernhard Reikersdorfer, Chef von Remax Austria, und meint damit ein steigendes Angebot und eine geringere Anzahl an Interessenten sowie eine längere Vermarktungsdauer. Für Kaufinteressierte sind das erst einmal gute Nachrichten: Wo das Angebot steigt, sinken die Preise. Dass Immobilien plötzlich wieder sehr viel billiger werden, ist aber nicht anzunehmen: "Das Preiswachstum wird sich weiter verlangsamen", sagt Reith. Eine Phase länger anhaltender oder tieferer Preiskorrekturen erwartet er für Österreich jedoch nicht.

3. Verkäufer

Wer nicht verkaufen musste, hat das in den vergangenen Jahren auch nicht gemacht. Das Angebot war daher vielerorts gering. Das könnte sich nun ändern: Das Maklernetzwerk Remax beobachtet, dass insbesondere die Erbengeneration Immobilien rascher auf den Markt bringt, um noch bei relativ guter Wirtschaftslage zu verkaufen, "bevor die Inflation die eigenen Pläne noch weiter strapaziert und die Wirtschaftslage die Nachfrage stärker einbrechen lässt".

Ganz eindeutig ist der Befund aber nicht: Andreas Millonig, Prokurist beim bereits erwähnten Datendienstleister Immo United, hat den starken Eindruck, dass Immobilienmakler in den vergangenen Monaten vorsichtiger geworden sind, was die Preisfestsetzung betrifft. "Potenzielle Verkäufer bekommen nun öfters zu hören, dass es mit dem von ihnen gewünschten Preis schwierig werden könnte." So mancher Abgeber wird sich deshalb wohl auch gegen einen Verkauf entscheiden, was dafür sorgen wird, dass das Angebot zurückgeht. Das könne man bei Immo United auch bereits beobachten. "Wer nicht verkaufen muss, tut das derzeit auch nicht" – in der Hoffnung, dass die Lage bald wieder besser wird. Eine Wette auf die Zukunft.

Experten wie Matthias Reith von Raiffeisen Research gehen derzeit auch nicht davon aus, dass zahlreiche Menschen aufgrund der Zinswende ihre Immobilien verkaufen müssen, weil sie sich die monatlichen Kreditraten nicht mehr leisten können – wie es während der Finanzkrise 2008 der Fall war.

Auch Häuslbauer warten derzeit ab.
Foto: Istock/Getty

4. Häuslbauerinnen

Worauf die Situation aber wohl keinen Einfluss haben wird: Der Wohntraum der Mehrheit ist und bleibt hierzulande das Einfamilienhaus. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sind Bau- und Rohstoffpreise aber gestiegen, die Grundstückspreise vielerorts regelrecht explodiert. Nun kommen also auch noch die Kreditvergabe-Richtlinien dazu. Daher bemerkt man seit dem Sommer auch eine etwas verhaltenere Nachfrage beim Fertighaus-Verband.

Die schlechte Nachricht für Häuslbauerinnen und Häuslbauer: Dass die Preise wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen, glaubt man in der Branche nicht. Sie würden sich aber wohl wieder auf ein "vernünftiges Maß" einpendeln. Geschäftsführer Christian Murhammer empfiehlt, sich nicht panisch machen zu lassen. "Man kann jetzt ein bisschen beobachten", sagt er, sich also seiner Bedürfnisse beim Wohnen bewusst werden und das Haus vorausplanen.

Der Grundriss kann heute optimiert werden, indem man ihn auf eine große Fläche projiziert und dort Kartonmöbel hin und her rückt – bis Zeit und Markt reif für ein tatsächliches Haus sind und der Rollrasen ausgerollt werden kann. (Alexander Hahn, Martin Putschögl, Bernadette Redl, Franziska Zoidl, 5.11.2022)