Sophie Baumgartners fantasievolles Bühnenbild fährt mit allen multimedialen Mitteln auf: die Schauspielerin Tamara Semzov, hier ganz in blaues Licht gehüllt.

Foto: Isabella Simon

Die Bühne im Theater Drachengasse ist nicht einfach zu bespielen. Der Raum so länglich, schmal und niedrig, die kleine dreieckige Spielfläche eingekesselt zwischen den beiden Publikumstribünen. Aber Sophie Baumgartner, zuständig für Bühnenbild und Kostüme, suggeriert mittels klug platzierter Objekte eine Weitläufigkeit und Funktionalität, nämlich einen Museumsraum.

Da hängt nicht nur ein klirrendes Mobile aus zersprengten Glasteilen in der Mitte der Spielfläche, und da blitzt nicht nur extravagante Kunst auf dem Sockel von der Hinterbühne hervor; wenn die drei Schauspielerinnen Sonja Romei, Ingeborg Schwab und Tamara Semzov eine Wand berühren, dann antwortet diese mit Musik (Peter Plos).

Dazu ergießen sich hypnotisierende Projektionen von Jakob Hütter über alle Flächen, und es entsteht eine raumgreifende, immersive Kunstinstallation.

Anti-Einfühlung

Textlich startet der Theaterabend hingegen mit Anti-Einfühlung, nämlich: "Bitte schließen Sie Ihre Augen. Wir beginnen mit der Vorstellung. Der Vorstellung einer Vorstellung." Anna Gschnitzers Theaterstück Fallen wurde 2018 mit dem Publikumspreis des Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik ausgezeichnet und erfährt nun in der Regie von Isabella Sedlak seine Uraufführung.

Es ist ein Fließtext-Arrangement für beliebig viele Schauspielende, dessen Assoziationen und Metaphern sich nicht durchgängig erschließen, dessen Verführungskunst gerade in einem unerklärlich bleibenden Strudel der Perspektiven besteht.

Schließlich geht es auch thematisch um das Unerklärliche, aber Entscheidende, dass aus Nichts etwas wird oder aus einer zufälligen Begegnung zweier Menschen eine Liebesbeziehung.

Gewalt mit William Turner

Es geht um das nicht kontrollierbare Potenzial eines solchen Moments, es geht also auch um Macht. Zum Beispiel reflektiert Fallen anhand des Gemäldes Das Sklavenschiff von William Turner eine in Anbetracht von Gewalt ins Strudeln und Straucheln kommende Zentralperspektive der sicheren Distanz.

Regisseurin Sedlak gelingt es – bis auf einige wenige, bloß abstrakt stimmungsvolle Momente – für den komplexen Textfluss verschiedene konkrete und stets überzeugende Spiel-Situationen zu finden. So setzt sich beispielsweise die Verortung im Museumsraum in der Spielweise, das heißt in den Konstellationen zwischen den drei Spielerinnen als Museumsaufseherin, Kuratorin und Künstlerin, fort.

Sprache wie heiße Kartoffel

Romei, Schwab und Semzov dürfen hier glänzen. Und wenn der Text am Ende zu einer ausführlichen Imaginationsreise anhebt und die Aufführung rein aus mikrofonierter Sprache besteht, dann hat es auf der Bühne immer noch dieses solidarische Ensemble, das sich, wie es in einer Regieanweisung heißt, die Sprache weiterreicht "wie eine heiße Kartoffel oder eine Handgranate, schnell, zärtlich und vorsichtig". Ein spannend herausfordernder Theaterabend. Fragmente einer Sprache der Liebe jenseits von Hollywood. (Theresa Lusie Gindlstrasser, 4.11.2022)