Das Ziel, die Erde um nicht mehr als 1,5 Grad zu erwärmen, wird immer schwieriger zu erreichen sein. Denn die Treibhausgasemissionen gehen fast unvermindert weiter. Daran wird leider auch die Klimakonferenz, die am Montag im ägyptischen Scharm El-Scheich startet, nicht viel ändern. In Zeiten von Krieg und Teuerung rutscht Klimaschutz in der Prioritätenliste nach unten – nicht nur bei Regierungen, sondern auch bei der Bevölkerung.

Es sind deshalb vor allem einige wenige radikale Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die derzeit auf sich aufmerksam machen. Sie kleben sich zu Stoßzeiten an Hauptverkehrsstraßen fest, werfen Suppe oder Kartoffelpüree auf Gemälde in Museen. Dass sich Organisationen wie Letzte Generation oder Just Stop Oil mit solchen Aktionen unbeliebt machen, nehmen sie dabei explizit in Kauf. Es geht um Publicity um jeden Preis.

Die Aktionen von Letzte Generation und Just Stop Oil verfehlen ihr Ziel und sorgen bloß für allgemeinen Unmut.
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Doch sie verfehlen ihr Ziel insofern, als in der öffentlichen Debatte weniger über die Inhalte als über die Protestform an sich diskutiert wird. Es geht dabei nicht um grundsätzliche Kritik an zivilem Ungehorsam. Dass dieser ein mächtiges Werkzeug im Repertoire politischer Einflussnahme ist, zeigte etwa der Protest gegen den Lobautunnel, der letztendlich auf Eis gelegt wurde – wohl auch auf Druck der Gruppe, welche die Baustelle monatelang besetzt hatte. Der große Unterschied: Sie adressierte die politischen Verantwortlichen, die für die Klimawende die größten Hebel in den Händen hält. Die Aktionen von Letzte Generation und Just Stop Oil sorgen bloß für allgemeinen Unmut.

Mehrheitsprogramm

Dabei wäre Klimaschutz an sich eigentlich ein Mehrheitsprogramm: Studien wie das Eurobarometer belegen, dass sich die Mehrheit für strengere Maßnahmen ausspricht. Doch um wirklich Veränderungen herbeizuführen, reicht es nicht, Sorge auszudrücken, wenn man danach gefragt wird. Wir müssen auch von selbst die Stimme erheben.

Das Jahr 2019 zeigte, was eine breite Klimabewegung erreichen kann. Damals gingen, ausgehend von Greta Thunberg, weltweit Millionen Menschen auf die Straße. Das Klimathema bestimmte die öffentliche Debatte, entschied Wahlen und führte zu neuen Klimaschutzgesetzen. Doch die aufkeimende Massenbewegung wurde durch einen nicht enden wollenden Strudel aus Corona und Krieg abgewürgt.

Dass Bewegungen wie Letzte Generation oder Just Stop Oil heute so präsent sind, liegt wohl auch daran, dass es keine laute Massenklimabewegung mehr gibt, in der die Aktionen der radikaleren Minderheit untergeht. Doch genau diese würde es brauchen, um die politische Elite zur Verantwortung zu ziehen.

Dazu brauchen wir einen breiten Konsens über alle Parteien und Weltanschauungen hinweg. Denn Klimaschutz ist keine Ideologie. Noch nie war ein gesellschaftliches Problem so faktisch belegt wie die Klimakrise.

Doch wo bleiben die Liberalen, die erkennen, dass sich in einer drei Grad wärmeren Welt nicht mehr wirtschaften lässt? Wo sind die Sozialdemokraten, die eine durch den Klimawandel noch ungerechtere Welt verhindern wollen? Wo die Konservativen, die einsehen, dass die Heimat nie wieder die gleiche sein wird?

Nur eine breite Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft wird die Macht haben, über die Zukunft des Planeten zu entscheiden – und den Klebeaktivisten die Show zu stehlen. (Philip Pramer, 6.11.2022)