Die Ausschreitungen in Linz haben alle überrascht, erst die Polizei, dann die Politik. Bleibt die Frage: Wie darauf reagieren?

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Gerhard Karner hat ganz in seine Rolle gefunden. Der schwarze Innenminister sollte harte Kante zeigen, auch dafür wurde er geholt – und inzwischen sitzt das Image als Hardliner in Asyl- und Migrationsfragen. Er wolle "die Härte des Gesetzes voll ausschöpfen", erklärte Karner nach den Krawallen in der Halloweennacht – und meinte damit: Die böllernden Burschen gehören abgeschoben.

Denn knapp zwei Drittel jener jungen Männer, die in Linz randaliert haben, besitzen laut Polizei keine österreichische Staatsbürgerschaft. Am Freitag legte Karner nach: Es müssten alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um den Aufenthaltsstatus der Beteiligten zu beenden. Mittelfristig wolle er auch wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben.

Der harte Kurs – in der Theorie

Wer wohin abgeschoben wird, kann der Innenminister gar nicht entscheiden, noch dazu findet sich unter den neun Festgenommenen offenbar nur ein einziger Asylwerber. Doch die Botschaft ist draußen: Die ÖVP fährt in diesen Angelegenheiten einen harten Kurs – und sei es vor allem durch Lippenbekenntnisse.

Das kommt nicht überraschend. Unter Kanzler Karl Nehammer hat die Volkspartei an Profil verloren, was strenge Argumentationslinien gegen Ausländer betrifft. So sahen und sehen das auch viele in der ÖVP. Laura Sachslehner hatte mit dieser Begründung ihren Posten als Generalsekretärin geräumt. Beim kleinen Koalitionspartner der ÖVP, den Grünen, wurde schon lange damit gerechnet, dass die ÖVP das Thema nun bald wieder hochkochen lassen wird. Denn Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte damit Wahlen gewonnen – und derzeit sind die Umfragewerte der ÖVP miserabel.

Der tatsächliche Handlungsspielraum der Regierung ist in vielen Fragen, die beim Komplex Asyl besprochen werden, aber gering. Menschenrechte lassen sich nicht aushebeln. Es bleibt also oft mehr bei der Stimmung, die eine Partei erzeugt.

Die SPÖ brauchte erst einmal ein paar Tage, um zu einer Position und einer Formulierung zu finden. Am Donnerstag forderte schließlich der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried: "null Toleranz". Am Freitag wiederholte er: "null Toleranz". Leichtfried ist also ganz auf der Linie von Karner, macht diesen allerdings für die Krawalle in Linz verantwortlich. Die Polizei habe versagt.

Fehlende Ernsthaftigkeit

Die SPÖ tue sich mit dem Thema schwer, gesteht deren Integrationssprecherin Nurten Yılmaz ein. Das Thema sei viel zu komplex, um es auf den Punkt bringen zu können. Schnelle Lösungen gebe es keine. Yılmaz vermisst die Ernsthaftigkeit, das Problem gewalttätiger Jugendlicher lösen zu wollen.

"Ich toleriere auch keine Gewalt", sagt die SPÖ-Abgeordnete, "aber wir müssen uns schon fragen: Wie kommt es dazu?" Wenn man sich anschaue, wie mit Asylwerbern umgegangen werde, welchen Vorurteilen Asylberechtigte ausgesetzt seien, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund herumgeschoben würden, dürfe man sich nicht wundern, dass es Frustpotenzial gebe. "Wir müssen diesen jungen Menschen auch Perspektiven bieten. Die haben keine Privilegien zu verlieren. Wen sollen wir denn da schuldigsprechen, wenn nicht uns selbst?"

Die Politik neige dazu, Schuldige, aber keine Lösungen zu suchen. "Die Jugendlichen sind im Land, wir können sie nicht einsperren, wir können sie nicht abschieben. Wir müssen uns um sie kümmern." Das sei in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, seufzt Yılmaz. "Da hört Ihnen längst keiner mehr zu."

Das Thema sei komplex, bekräftigt auch der grüne Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr. "Wir wollen das Problem nicht kleinreden, da gibt es definitiv Handlungsbedarf. Es ist aber falsch, in einer ersten emotionalen Bewegung Maßnahmen zu fordern, die nichts bringen." Jetzt eine Asyldebatte zu führen sei einfach verfehlt, argumentiert Bürstmayr. Er verweist darauf, dass nur ein einziger der festgenommenen Jugendlichen Asylstatus hat. Bürstmayr sieht ein Problem mit gewaltbereiten Jugendlichen, hier müsse man mit Prävention, Integration und Sozialarbeit ansetzen. Die Forderung nach Abschiebungen, wie vom Koalitionspartner erhoben, sei schlichtweg sinnlos.

"Bilder der Männlichkeit"

"Es gibt Handlungsbedarf", sagt Faika El-Nagashi, Integrationssprecherin der Grünen. Man dürfe sich aber weder von der FPÖ noch vom Boulevard und auch nicht vom Koalitionspartner drängen lassen. Die Forderung nach Abschiebungen bediene nur den Populismus und löse die Probleme nicht. Man müsse auf die Lebenssituation der Jugendlichen schauen, auch wenn das nicht so gut ankomme. "Wo wohnen die, was haben sie für eine Beschäftigung, was sind ihre Perspektiven?" Und: "Es geht um männliche Jugendliche."

El-Nagashi: "Das Gewaltpotenzial hat auch mit Bildern der Männlichkeit zu tun. Dem muss man andere Bilder entgegensetzen." Sie hält auch das Internet, konkret Tiktok, und die Polarisierungen in der Jugendkultur für extrem wichtig. "Wenn wir hier wegsehen, bleiben wir völlig ignorant gegenüber der Lebensrealität junger Menschen." Dass unter den randalierenden Jugendlichen in Linz viele Österreicher, aber auch Jugendliche etlicher anderer Nationen waren, sei eben das Abbild einer sehr diversen Stadt. (Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 5.11.2022)