Der kürzlich verstorbene Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz.
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Am Anfang war Stifter. Der oberösterreichische Schriftsteller spielt eine durchaus entscheidende Rolle in der kulturellen Entwicklung von Altaussee. Wer das örtliche Literaturmuseum erkundet, erfährt, dass Adalbert Stifter, ehe er zum Stift griff, gerne als Landschaftsmaler mit dem Pinsel durch das Ausseerland streifte. Und so soll sich einmal, in den Wiener Salons der Freiherren von Zedlitz und Baron von Binzer, folgender Dialog zugetragen haben. Gefragt nach dem schönsten Platz auf Gottes Erdboden soll Stifter den blaublütigen Gastgebern geantwortet haben: "Das Schönste, meine Herren, was ich jemals gesehen habe, ist der Altausseer See." Womit besiegelt war, dass ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein beachtlicher Teil der Wiener Prominenz und so berühmte Adelsfamilien wie die Czernin, Eltz oder Hohenlohe in Altaussee temporär sesshaft wurden.

Beliebte Gegend

Dem Adel folgten Dichter, Denker, Schauspieler, Musiker, bis heute – und irgendwann entdeckte auch Dietrich Mateschitz die malerisch-mystische Gegend zwischen den westlichen Ausläufern des Toten Gebirges und des Dachstein-Massivs. 2014 kaufte der kürzlich verstorbene Red-Bull-Chef fast alle Immobilien der H.M.Z.-Privatstiftung des Industriellen Helmut Zoidl. Darunter auch das Seehotel am Grundlsee. Später erwarb er noch die angrenzende Villa Anna, 2017 die ortsansässige Fischzucht der Bundesforste-Aquakultur in Grundlsee. 2018 wurde das legendäre Gasthaus Seewiese an den Ufern des Altausseer Sees wiederbelebt. Die unterschiedlichen Beteiligungen eint ein spannendes Faktum: Anders als bei aktuellen Projekten des "Salzbarons" Hannes Androsch – etwa dem Hotelprojekt im Ortszentrum von Altaussee oder einer neuen Zufahrtsstraße zum Skigebiet am Loser – war kaum Widerstand in der Bevölkerung zu vernehmen.

Kommunikationsexpertin Maria Schoiswohl sieht vor allem ein Wirken "auf Augenhöhe mit der Region".
Foto: Wolfgang Simlinger

Der Gastgarten der Bäckerei Maislinger im Zentrum von Altaussee ist an diesem ungewöhnlich warmen Novembertag gut gefüllt. Maria Schoiswohl hat sich für ein spätes Frühstück entschieden. Die Geschäftsführerin der Beratungs- und Kommunikationsagentur Kommhaus mit Sitz in Bad Aussee, zudem Pressesprecherin des Narzissenfestvereins, ist sicher, dass Mateschitz im Ausseerland als "großer Wohltäter" gesehen wird. "Die Projekte, die er begonnen hat, hat er immer sehr umsichtig umgesetzt." Ob dies nun eine Gebäuderenovierung gewesen sei oder auch die Übernahme der Fischerei. "Das ist alles vor allem auch auf Augenhöhe mit der Region passiert. Es war letztlich immer ein stimmiges Konzept", erläutert Schoiswohl. Kritik, etwa in der Tonalität, dass der Dosenmilliardär alles aufkaufe und letztlich die Tradition flöten gehe, habe es "eigentlich nie geben". Schoiswohl: "Zumindest sind mir keine kritischen Stimmen bekannt. Man ist ihm hier sehr wohlgesonnen." Natürlich stelle sich jetzt die Frage, was mit den Mateschitz-Besitztümern passiere. "Wird alles erhalten oder verkauft?"

Kein reiner Wohltäter

Unweit der Bäckerei befindet sich das Buchgeschäft von Gudrun Suchanek. Auf eine durchaus ungewöhnliche Geschäftskombination weist schon der Name "Buch & Boot" an der Tür hin. Die Erklärung findet sich in Form einer mächtigen Plätte inmitten der Geschäftsräumlichkeiten. Gudrun Suchaneks Mann ist der Erbauer dieser traditionell kiellosen, weitgehend kastenförmigen, hölzernen Schiffe. Die Buchhändlerin selbst sieht Mateschitz nicht als reinen Wohltäter: "Er hat unglaublich viel für die Region getan. Und das mit sehr viel Gespür. Dafür gebührt ihm sicher Anerkennung. Aber natürlich steckt bei jedem Projekt immer auch sein Geschäftssinn dahinter. Aber er hat erkannt, welch besonderer Ort Altaussee und das Ausseerland ist, und daher wertschätzend in unserer Region investiert."

Für Buchhändlerin Gudrun Suchanek aus Altaussee ist der Red-Bull-Gründer aber kein klassischer Wohltäter.
Foto: Wolfgang Simlinger

Naturschönheit, Mystik und eine riesige Dose

Auf einer Bank direkt am Altausseer See genießt ein Pärchen aus Bayern die Sonnenstrahlen. Lässt man den Blick über den See schweifen, erspäht man in einiger Entfernung die Umrisse des Gasthauses Seewiese. Oft seien sie dort früher vorbeigegangen und hätten sich mit Blick auf die verfallenen Reste der alten Seewiese gedacht: "Warum macht da keiner was." Und Mateschitz sei halt "der Typ gewesen, der nicht lange geredet, sondern was gemacht hat", ist das Touristenpärchen überzeugt. Und wieder kommt das offensichtlich gute Gespür des Dosenkönigs ins Spiel: "Es geht um die richtige Abwägung. Was passt in die Gegend, was ist zu viel? Diese Gratwanderung hat Matschitz hervorragend gemeistert. Oder steht heute eine große Red-Bull-Dose inmitten des Altausseer Sees?"

Die Straße führt von Altaussee weg in Richtung Bad Aussee. Dort, vorbei am legendären Kurcafé Lewandofsky, durch die schmale Straße mit den beliebten Trachtengeschäften, weiter in Richtung Grundlsee. Gleich an der Ortseinfahrt liegt die Fischzucht und ein kleines Stück weiter, in bester Seelage, das Seehotel Grundlsee. In 16 von 17 Zimmern blickt man direkt auf das "steirische Meer", Seeblick genießt man auch beim Schwitzen in der Sauna am Badesteg.

Auch hier am Grundlsee gehen Naturschönheit und Mystik quasi Hand in Hand. Das klare Wasser, die mächtigen Berge. Aber eben auch die Villa Roth, die NS-Propagandaminister Joseph Goebbels samt seiner Familie gerne nutzte, die Villa Castiglioni, in der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges für kurze Zeit die Privatbibliothek Adolf Hitlers gelagert wurde. Und nicht zuletzt der nahe Toplitzsee samt der Legende vom Nazigold.

Örtlicher Retter

"Der wahre Schatz hier ist aber die Natur. Es ist ein unglaublicher Kraftplatz." Franz Steinegger hat auf der "Sunbeng" vor seinem altehrwürdigen Haus im Ortsteil Gößl Platz genommen. Eigentlich sei ja heute sein "Bauernhoftag", erzählt der 44-Jährige. Aber Steinegger ist flexibel. Wenn sich Journalisten ankündigen, dann ist er ganz schnell Politiker. Seit 2015 ist der Landwirt nämlich Bürgermeister von Grundlsee. Mittlerweile hat Steinegger das Arbeitsgewand abgelegt und sich kurzerhand in die Ausseer-Tracht geworfen. Ob es nicht ein besonderer Vorteil für ein Gemeindeoberhaupt sei, einen milliardenschweren Gönner im Rücken zu haben? "Sein Wirken in unserer Gemeinde war extrem segensreich. Er hat die Dinge, die vor dem Abgrund gestanden sind, für den Ort gerettet. Die Schifffahrt etwa ist vor dem Verkauf gestanden, die Familie konnte nach vier Generation den Betrieb nicht mehr weiterführen. Und wenn Mateschitz das 2016 nicht übernommen hätte, hätten wir heute die größte Katastrophe. Wenn jemand einen riesigen Dampfer auf den Grundlsee stellt und Schnitzel mit Pommes verkauft, kann ich als Bürgermeister nur zuschauen."

"Nicht schamlos ausnutzen"

Mateschitz habe genau das Gegenteil gemacht: "Die alten Dampfer, die uns ans Herz gewachsen sind, hat er restaurieren lassen." Als Gemeinde hätte man so ein Projekt nicht stemmen können. Steinegger: "Das war mehr als eine Investition. Er hat sich immer um die kaputten Dinge gekümmert. Das Hotel war in keinem guten Zustand, die Fischerei nicht, die Schifffahrt nicht. Diesen Aufwand würde ein anderer Unternehmer sicher nicht betreiben."

Wichtig sei aber immer gewesen, mit sehr viel Feingefühl zu agieren: "So was darfst du nicht schamlos ausnutzen. Ich bin sicher nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Herrn Mateschitz gelaufen. Aber natürlich habe ich geschaut, dass ich auf Dinge, die für das Unternehmen interessant sein könnten, auch entsprechend hingewiesen habe."

Der Bürgermeister und der mächtige Bulle: Franz Steinegger sieht das Wirken von Mateschitz in Grundlsee als "extrem segensreich".
Foto: Wolfgang Simlinger

Bootshäuser als Institution

Auf dem Weg zurück stechen die großen Bootshäuser gleich neben der Bundesstraße ins Auge. Die aneinandergereihten Gebäude aus Lärchenholz bieten der Grundlsee-Flotte ein Dach über dem Kopf. Die MS Rudolf (Baujahr 1903), die MS Traun (Baujahr 1973) und das Motorboot Gössl (1931) wurden alle 2016 im Auftrag von Mateschitz von einer Schweizer Spezialfirma liebevoll restauriert.

Hermann Rastl ist mit der Schifffahrt hier groß geworden. Und selbst mit 74 Jahren fährt der pensionierte Tourismusdirektor noch Gäste mit der Plätte sicher über den See. "‚Schönes erhalten und Sinnvolles tun‘ war immer das Credo von Dietrich Mateschitz. Es gibt zwei Gattungen von Investoren. Die einen sind die Investoren, die zunehmend einen schlechten Ruf haben, weil sie nur darauf bedacht sind, das schnelle Geld zu machen. Und dann gibt es Mentoren. Und das war auch Mateschitz. Und wenn ich heute ins Ausseerland blicke, muss ich sagen: ‚Das hat er durchgezogen.‘ Er hat alles immer mit dem Haarpinsel renovieren lassen." Und sei ihm nie um einen Gewinn gegangen. "Schau dir doch die Schifffahrt am Grundlsee an. Damit machst du nie das große Geschäft. Er hat trotzdem unglaublich viel Geld investiert. Wir müssen Dietrich Mateschitz einfach nur sehr dankbar sein. Von Salzburg über das Murtal bis ins Ausseerland."

Die Legende von der Ziehharmonika

Es ist einer dieser Legenden, die man sich in der Region um den von Mateschitz reaktivierten Formel 1 Ring in Spielberg erzählt: Ein Bub war einst mit seinem Vater in einem Musikgeschäft und begeisterte sich für eine Ziehharmonika. Sie war für die Familie aber schlicht zu teuer. Auch Mateschitz sei im Geschäft gewesen, habe mitgehört, wie der Vater dem traurigen Buben zu verstehen gab, dass man sich das Instrument nicht leisten könne. Schließlich habe Mateschitz den Kauf übernommen. Immer dann, wenn der Gönner seine Brieftasche aufmachte, war damit das Versprechen verbunden, nicht drüber zu reden. Im Kleinen, wie auch im Großen.

So hat etwa die kleine Gemeinde Großlobming, oben beim Ring, nie wirklich kommuniziert, wer ihren Radweg finanziert hat. Allein hätte die Gemeinde die Investition nie gestemmt. Es war nicht der einzige Ausbau der Infrastruktur, wo Mateschitz was drauflegte: Bei der Aktion "Häuser-Verschönerung" wurden neue Gartenzäune, Pflasterungen, frische Fassadenfarbe der Privathäuser rund um den Ring finanziert. Es reichte die Baumarktrechnung einzureichen. "Dass dabei einige Hausbesitzer auch getrickst hatten, dafür schämen wir uns heute noch", erinnert sich eine Ring-Anrainerin.

Wiederbelebte Region

Historischer Bauten, die zum Teil nur noch Ruinen waren, wurden wiederbelebt und Bauernhöfe saniert. Die Liste der Sanierungen ist lang: Das Steirerschlössl wurde zum Nobelhotel mit Haubenküche ausgebaut, der Wasserturm in Zeltweg revitalisiert, wie auch das Schloss Gabelhofen ,das G’schlößl Großlobming oder der Hofwirt neben der Abtei Seckau. Zuletzt ließ Mateschitz beim renovierten Schloss Thalheim wieder das Thalheimer Mineralwasser fließen. Das Wasser wird auch für eine neue Brauerei genutzt.

Kritik wegen eines möglichen Ausverkaufs der Region kam eigentlich nie auf, man erkannte den Mehrwert, weil die Bausubstanz alter, oft verfallener Objekte mit hoher Qualität wiederhergestellt wurde. Nur, dass sich Mateschitz gerne auf seine abgeschiedenen Almen zurückzog, weil er gerne die Ruhe genießen wollte, weckte da und dort am Red Bull Ring leise Kritik. Denn hier muss die Bevölkerung fast tagtäglich im Umfeld neben dröhnenden Motoren leben.

"Es gibt Investoren, die nur darauf bedacht sind, das schnelle Geld zu machen, und es gibt Mentoren – das war auch Mateschitz", sagt Hermann Rastl. Der pensionierte Tourismusdirektor fährt mit 74 Jahren noch Gäste mit einer Plätte über den Grundlsee.
Foto: Wolfgang Simlinger

Denkmalgeschützte Kaserne als zweite Zentrale

Im Land Salzburg ist das Mateschitz-Netz besonders eng gewebt. Naturgemäß, möchte man sagen, denn immerhin hat hier ja auch der Red-Bull-Konzern seinen Firmensitz und Dietrich Mateschitz seinen Lebensmittelpunkt. Dass Mateschitz in Salzburg eine besonders gute Nachrede genießt, hat vor allem einmal ökonomische Gründe, wie das Beispiel der kleinen Flachgauer Gemeinde Elsbethen zeigt. Hier hat der Red-Bull-Konzern 2012 die ehemalige Rainerkaserne erworben. Kolportierter Kaufpreis für die während der Nazi-Diktatur errichtete Kaserne: 23,6 Millionen. Der Getränkekonzern baute die denkmalgeschützte Kaserne um und verlegte 2019 einen Teil seiner Firmenzentrale von Fuschl am See hierher. Knapp 1000 Leute arbeiten inzwischen in Elsbethen und katapultierten die sonst eher unscheinbare Schlafgemeinde am Rande der Landeshauptstadt durch die eingehobene Kommunalsteuer ins Spitzenfeld der reichsten Gemeinden Österreichs – derzeit sogar auf Platz zwei.

Und auch in Fuschl am See selbst dreht sich zuallererst einmal alles um die Gemeindefinanzen. Etwa 600 Menschen arbeiten hier in der Konzernzentrale. Die so lukrierte Kommunalsteuer sei "sehr essenziell", dadurch ergebe sich "ein ganz anderer finanzieller Spielraum", sagt der langjährige Amtsleiter Erwin Klaushofer im STANDARD-Gespräch.

Berge neben Firmensitz gekauft

Das allein und auch die Umwegrentabilität, die die vielen Beschäftigten der 1600 Einwohner zählenden Gemeinde bringen, erklärt freilich den guten Ruf des verstorbenen Firmenpatriarchen nicht. Klaushofer nennt als Beispiel die Grundkäufe durch Mateschitz. Dieser hatte mit dem Ellmaustein und dem Filbling gleich zwei bewaldete Bergrücken im Gemeindegebiet gekauft. Wirtschaftlich genutzt habe Mateschitz die Wälder nie, erzählt Klaushofer. Im Gegenteil: Er habe viel Geld in die Pflege der Wälder gesteckt und gleich ein paar Leute dafür angestellt und damit natürlich der Gemeinde sehr geholfen.

Die Firmenzentrale von Red Bull liegt genau zwischen diesen beiden Bergen eingebettet. Zwei kegelförmige Gebäude ragen wie zwei Vulkane aus einem großen Teich. Vorneweg bestimmt eine 22,5 Meter lange, in Bronze gegossene Bullenherde, die aus dem Firmengebäude stürmt, den Blick von der Wolfgangseebundesstraße aus. Das Ensemble wurde vom Osttiroler Bildhauer und Künstler Jo Pirkner geplant und gestaltet.

Auch am Wolfgangsee kaufte sich Mateschitz ein. Im Landhaus zu Appersbach soll er auch seine letzten Tage verbracht haben. Das ehemalige Viersternehotel am Ortseingang von St. Wolfgang mit einem privaten Seeufer von einem halben Kilometer kaufte der verstorbene Red-Bull-Chef 2017. Das Herrenhaus grenzt direkt an das ehemalige Hotel Auhof, das wie auch die Rösslwiese neben der Talstation der Schafbergbahn ebenfalls im Besitz von Mateschitz ist. Er hat im Murtal und im Salzkammergut einer ganzen Region Flügel verliehen. (Markus Rohrhofer, Thomas Neuhold, Walter Müller, Stefanie Ruep 6.11.2022)