Hardi und Hunnar Mohammad betreiben von der Agentur über Club, Bar, Diskothek bis zum Modelabel ihre Geschäfte in Wien. Beim Interview in Hardis Wohnung im neunten Bezirk dringt durch die geschlossene Terrassentür der Lärm einer Baustelle. Das stört die beiden jungen Männer, die noch zwei Schwestern haben und als Kinder mit der Mutter aus dem Irak fliehen mussten, aber nicht. "Wir sind auf Baustellen groß geworden", verweisen sie auf Lokale, die sie in der Vergangenheit umgebaut hatten.

STANDARD: Sie haben ein kleines Geschäftsreich rund um Gastronomie, Mode, Kunst aufgebaut. Wann hatten Sie das Gefühl, Sie haben es geschafft?

Hardi: Eigentlich als wir uns selbst im Fernsehen gesehen haben. Es war nicht so, dass wir uns davor gesagt haben, wir haben es noch nicht geschafft, wir müssen noch mehr arbeiten. Wir waren im Rad drinnen. Das Finanzielle war insofern ein Thema, als wir in der Familie mitbekommen haben, dass Geld für hier fehlt und Geld für da. Dann war für uns klar, die Welt funktioniert so: Wir müssen mal Geld machen.

Hunnar: Der Hunger, etwas zu bewegen, war immer da. Wir hatten es auch nicht wirklich leicht in der Kindheit. Wir sind mit 15 nach der Schule arbeiten gegangen, als Verkäufer, als Interviewer, bei McDonald’s, um uns das Wichtigste selbst zu zahlen – Schulbücher und all das.

STANDARD: Sie sind mit Ihrer Mutter während des zweiten Golfkrieges geflüchtet, waren mehrere Jahre unterwegs und kamen letztendlich nach Österreich – ins Flüchtlingsheim. Klingt nicht nach Zuckerschlecken.

Hardi (33) – links – und Hunnar Mohammad (31) haben die Corona-Pause genutzt, um ihren Passionen nachzuspüren – das raten sie allen. Malen, Musikmachen gehören dazu.
Robert Newald

Hunnar: Im Zweiten Golfkrieg mussten wir öfters zwischen Irak und Iran hin- und herpendeln, je nach Situation. Dann war Ausnahmezustand, wir konnten nicht mehr bleiben, es war einfach zu gefährlich. Wir sind wirklich oldschool mit einem Pferd in die Berge geflüchtet. Ich kann mich nur an ein paar Szenen erinnern, aber wir haben natürlich die Mama gefragt.

Hardi: Wir haben im Zelt gelebt, ganz verrückt. Das kann man sich gar nicht vorstellen, eineinhalb Meter Schnee, irgendwo auf den Bergen, und von dort sind wir wieder geflüchtet. In die Türkei, dann mehr Richtung Europa. Wir waren fünf Jahre in den Niederlanden und dort auch in der Volksschule, wurden dann aber abgeschoben – neue Politik. Danach haben wir in Österreich Asyl beantragt. Für uns Kinder war die Situation aber nie dramatisch. Die Mama war sehr stark und hat das ferngehalten. Da muss man wirklich der Mama sagen: danke, danke.

STANDARD: Sie haben sich durchgeschlagen. Waren Sie gute Schüler?

Hardi: Sprachlich war es nicht so einfach. Wir haben zuletzt Niederländisch gelernt. Ich hab im ersten Jahr nur Fetzen geschrieben. Aber wir hatten schon ein bisschen Knowhow, das Holländische ist eine Mischung aus Deutsch und Englisch. Und damals ist Pokemon rausgekommen, das haben sie in Holland auf Deutsch gezeigt.

Hunnar: Gleich nach vier Jahren in Österreich hat Hardi das Ganze kompensiert, indem er am Anfang wenig und später einfach alles verstanden hat und dann sogar Klassenbester war. Ich war nie so ein Freund vom Lernen, mag Auswendiglernen nicht. Ich war vielmehr logisch unterwegs. Deswegen war ich sehr gut in Mathe, bei den Textbeispielen hatte ich immer die volle Punktezahl und da, wo man Formeln auswendig lernen musste, nicht.

STANDARD: Sie haben hier maturiert, teilweise studiert. War es Zufall oder Plan, Unternehmer zu werden?

Hunnar: Plan gab es nie einen. Aber ich bin neben dem Bundesheer in einem Club arbeiten gegangen. Dann hab ich ein Gegenangebot bekommen von einem anderen Club und gemerkt, dass alle Stammgäste mitgekommen sind. Da hab ich gedacht, die Leute kommen auch wegen des Services, wegen der Unterhaltung, oder sie brauchen irgendeine Bezugsperson. Dann war meine Blitzidee: Du, Hardi, machen wir unsere eigene Bar auf. Hardi ist natürlich der Herr, der alles schön durchkalkuliert.

Hardi: Es ging schnell. Die erste Idee war eine Bar. Aber ich habe gewusst, es muss sich von anderen Bars unterscheiden. Überall auf der Welt war da Shisha schon etwas, was sich die Leute gönnen. Da haben wir gesagt, wir machen eine moderne Shisha-Bar. Das war die Pointe, es war für die Wiener komplett neu.

Das Leben geht weiter, trotz all der Krisen, sagen Hardi und Hunnar. Die in den 1990er-Jahren aus dem Irak geflüchtete Familie war einst knapp davor, auf der Straße zu stehen. Aufgewachsen sind sie im Gemeindebau am Schöpfwerk.
Robert Newald

STANDARD: Einer hat die Idee, der andere bringt sie auf den Boden?

Hardi: Von Hunnar kam die Idee, ich dachte, was und wie machen wir das? Zuletzt haben wir gedacht, machen wir das einfach einmal auf. Es war viel Bauchgefühl. Da treffen Hunnar und ich uns sehr gut in der Mitte.

Hunnar: Wir haben ein Geschäftslokal mit 50 Quadratmetern im 16. Bezirk übernommen. Es ist sehr schnell sehr bergauf gegangen. Den ersten Mitarbeiter haben wir nach einem Jahr eingestellt, die Leute sind von überall gekommen. Dann haben wir expandiert, haben jedes Mal alle unseren finanziellen Mitteln wieder reingesteckt. Aber wir haben auch Lehrgeld bezahlt.

STANDARD: Heute bespielen Sie mehrere Geschäfte. Worum geht es dabei?

Hardi: Was uns, glaube ich, sehr ausgemacht hat, ist, dass wir den Zeitgeist immer super getroffen haben. Wir haben das Thema Innovation ganz groß geschrieben, hatten immer neue Extra-Gadgets, verrückte Designs, Extravaganz – die Leute haben das gefeiert. Das ging auch auf den sozialen Medien ziemlich voran und lief über Mundpropaganda. Bis wir eines Tages einen Anruf bekommen haben: Hier David Alaba, liefert ihr die Shisha auch? Ich: Nein, tut uns leid. Ich hab da noch nicht realisiert, ist er das oder will uns jemand verarschen? Ein paar Tage später geht die Tür auf und David Alaba kommt mit seinen Freunden ins Geschäftslokal im 16. Bezirk.

Hunnar: Das ganze Nationalteam war schon da, Künstler, Musiker – eine kleine Familie. Jeder hat jeden gekannt. Und es haben sich auch viele Leute kennengelernt bei uns.

STANDARD: Sie haben auch eine Agentur, einen Concept-Store, ein Modelabel. Was hat Sie motiviert?

Hardi: Ist eigentlich automatisch gegangen. Wir hatten diesen innerlichen Antrieb.

Hunnar: Wir waren uns auch nie zu schade für irgendetwas. Zu McDonald’s hab ich in der Früh, weil da die U-Bahn nicht gefahren ist, oft eineinhalb Stunden gebraucht. Um drei in der Früh hatte ich aus und hab schauen müssen, wie ich heimkomme, hab teilweise wieder zwei Stunden nach Hause gebraucht. Heute sind die Möglichkeiten ganz andere wie vor zwanzig Jahren. Da denke ich mir manchmal, wenn die Mitarbeiter sagen, hey, ich muss gehen, sonst erwische ich meine U-Bahn nicht, es ist doch viel mehr Komfort in der heutigen Gesellschaft. Und die Arbeit an sich wird nicht mehr so richtig verrichtet. Durch die Gesellschaft und die sozialen Medien denkt man sich, man kriegt heute vieles ohne Arbeit, aber das funktioniert leider nicht.

STANDARD: Apropos Zeitgeist – wir haben Rekordteuerung, Energie- und Klimakrise. Wie ist die Stimmung?

Hunnar: Unterschiedlich. Eigentlich hat es jeden getroffen, am meisten leiden Normalverdiener, einige sind Gewinner aus der Corona-Zeit, andere Verlierer. Karten werden neu gemischt. Es gab schon hundertmal die Prophezeiung, jetzt ist Ende der Welt. Aber das Leben geht weiter.

Hunnar hat sich das DJ-Handwerk angeeignet, weil er mit dem auf dem Markt Gebotenen unzufrieden war. Eine Agentur haben sie aufgemacht, weil sie sicher sind, es besser zu können als alle anderen.
Robert Newald

Hardi: Man kann es nicht zum Paradies machen oder zur Hölle. Die größte Krise ist in den Köpfen der Menschen. Jeder kann seinen Beitrag leisten, indem er mal ehrlich über sich nachdenkt. Dann können wir alle Krisen gemeinsam meistern. Ich habe es satt, diesen Satz zu hören: So bin ich halt. Da sind wir spirituell, kann man fast sagen. Man kann Geld verdienen, ohne über Leichen zu gehen.

STANDARD: Sie haben viel verdient und sind jetzt wohlhabend. Brauchen wir eine Reichensteuer?

Hardi: Es wäre schöner, wenn man selber entscheiden darf, was man mit dem Geld macht und welchen Beitrag man leistet. Ob man spendet oder anders etwas zurückgeben kann. Geld löst nicht alle Probleme.

STANDARD: Viele aber schon. Vom Flüchtling zum Millionär, so wird Ihre Geschichte erzählt. Zufrieden damit?

Hardi: Ja, weil es motiviert die Leute, glaube ich. Was ich sehr oft heraushöre, ah, der hat das Geld zugesteckt bekommen, hat es geerbt. Es wird immer versucht, es schlechtzureden. Aber wir wollen einfach zeigen: Es kann jeder. Ihr müsst wirklich nur dahinter sein, an euch glauben.

STANDARD: Braucht man für eine erfolgreiche Karriere nicht auch Glück?

Hunnar: Wir stehen immer wieder auf, das ist wichtig. Wir nehmen es dankend an, aber wir warten nicht auf das Glück.

Hardi: Wenn das Glück da ist, muss man es packen. Dann lässt es einen wieder los, und in der Zeit genießt man es. (Regina Bruckner, 6.11.2022)