"Ein Großteil der Kohle versickert an merkwürdigen Stellen": Jan Böhmermann über öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Foto: ZDF Magazin Royale Screenshot

Dienstwagen, Ruhegelder, Massagesitze, "Finanzchaos": TV-Satiriker Jan Böhmermann widmete sich Freitagabend im "ZDF Magazin Royale" dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Affären und Skandalen bei deutschen Anstalten. Das Thema leitete als "Kind des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" – gewohnt drastisch ein mit: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Scheiße."

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so zu sehen, wie er ist, das tut weh, konstatiert Böhmermann. Die Situation gebe allen, "die das Prinzip öffentlich-rechtlicher Rundfunk schon immer Scheiße fanden", nun "die Gelegenheit nachzutreten" – von AfD und CDU bis zu Medien des Axel Springer-Konzerns.

"Mein ZDF holt die Schere raus"

Entsetzt zeigt sich Böhmermann aber auch für das ZDF, das eine Laudatio des Rappers Danger Dan kürzte, in der er AfD-Politiker als "Vollidioten" bezeichnet hat. "Mein Gott", ruft der Satiriker: "Mein ZDF holt die Schere raus" deswegen.

Er beobachtet eine öffentlich-rechtliche Strategie: "Zur Sicherheit mal sicher vorab vom eigenen Programm distanzieren, damit Nazis keinen Shitstorm starten. Mein Gott, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde doch genau dafür erfunden, damit Nazis Shitstorms starten, und zwar am besten jeden Tag. Ich lasse mir doch die Kritik an meinem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht von Demokratiefeinden wegnehmen!"

"Kacke am Dampfen"

Aber: Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei tatsächlich "die Kacke am Dampfen": Böhmermann verweist etwa auf die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, die wegen Vorwürfen persönlicher Vorteilsnahme fristlos entlassen wurde.

Die Schlesinger vorgeworfenen Massagesitze im Dienstwagen hat auch WDR-Intendant in seinem 7er-BMW, wie er in einem Interview "leider" einräumen musste. Er habe sie aber "noch nie benutzt", "ich wusste es noch nicht einmal".

Vorwürfe von Vetternwirtschaft und Druck beim Norddeutschen Rundfunk folgen in Böhmermanns Liste. Da geht es im "ZDF Magazin Royale" um Beiträge im "Hamburg Journal" über Kunden einer PR-Agentur, die der Tochter der zuständigen Direktorin gehört – und deren zweite Tochter beim Sender arbeite.

Mit "geheimen Abfindungen beim Bayerischen Rundfunk" geht es bei Böhmermann weiter, mit "arschteuren Sanierungen beim WDR", mit "betrügerischer Schlagerscheiße im MDR", beim NDR erheben Mitarbeiterinnen Vorwürfe gegen die Senderleitung. Bei Phoenix habe der Ehemann einer leitenden Mitarbeiterin deren Dienstwagen "privat zu Schrott gefahren und über die ZDF-Versicherung seiner Frau ausbeulen lassen".

"Verfilzter Selbstbedienungsladen"

"Wie wurde aus der Idee eines transparenten, selbstkritischen Rundfunks ein verfilzter Selbstbedienungsladen?", fragt der Satiriker – "der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist doch nicht die CDU!"

In den Kontrollgremien säßen "ganz normale Menschen aus der Mitte der Gesellschaft" – etwa im ZDF-Verwaltungsrat Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz), Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) oder Dietmar Woidke, Landtagsabgeordneter in Brandenburg. "Die kontrollieren die Finanzen in meinem ZDF, ganz staatsfern", ätzt Böhmermann.

Söder, selbst einmal Redakteur des Bayerischen Rundfunks, habe in den vergangenen zwei Jahren nur an 40 Prozent der Sitzungen des ZDF-Verwaltungsrats teilgenommen. Aber er finde Zeit, um in "Bild" einen "Knallhart-Plan" für die ARD kundzutun.

Böhmermann: "Vielleicht sind Ministerpräsidenten nicht die allerbeste Wahl, um einen staatsfernen Rundfunk zu kontrollieren."

Mehr als die Hälfte der Mitglieder deutscher Rundfunkgremien seien zudem älter als 60, der Altersschnitt liege bei gut 57 Jahren. Sie seien weit entfernt von divers besetzt.

Böhmermann fragt sich auch, warum der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk im Zeitalter des Internets 83 Radiosender habe. Fünf öffentlich-rechtliche Markt-Magazine listet er auf – die "alle die gleichen High-Protein-Produkte testen".

40 Prozent der Belegschaft beim ZDF seien teils prekär bezahlte, freie Mitarbeiter, moniert der ZDF-Satiriker. Und "ein Großteil der Kohle versickert an merkwürdigen Stellen" – etwa Altersversorgung für Ex-Intendanten. Böhmermann: "Wer gute Leute schlecht behandelt, bekommt schlechtes Programm.

"Starkes, unabhängiges Instrument für Aufklärung und Machtkritik"

Böhmermanns Fazit "als Privatmann": "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht eine Reform. Damit er starkes, unabhängiges Instrument für Aufklärung und Machtkritik bleibt. Aufklärung und Machtkritik, das finden natürlich alle Scheiße, die mehr Macht haben, aber nicht kritisiert werden wollen."

Und: "Ich ertrage diese Systemerhaltungsreflexe nicht mehr, diesen Strukturfetischismus, bei dem nichts rauskommt außer frustrierte Talente, die zum fucking Privatfernsehen gehen."

Auch beim "ZDF Magazin Royale" gebe es da Handlungsbedarf, habe eine Mitarbeiterbefragung ergeben. Böhmermann verabschiedet das Publikum, jetzt gebe es eine Betriebsversammlung, um die Kritikpunkte aufzuarbeiten. (fid, 4.11.2022)