Peter Nachtnebel, Nachtmensch und früherer Booker des Fluc, tagsüber.

Foto: Regine Hendrich

Das Programm von Clubs verantworten Figuren wie Peter Nachtnebel. Der Wiener ist Gründungsmitglied des 2002 entstandenen Fluc am Praterstern, war dort Veranstalter und hauptberuflicher Booker. Damit hat er die Ausrichtung des Lokals und dessen Popularität wesentlich geprägt. Das Fluc gilt über die Grenzen hinaus als einer jener Schuppen, in dem man als Wienbesucherin oder Wienbesucher vorbeigeschaut haben sollte, sofern man zur Zielgruppe gehört: alternativ, weltoffen, partyhungrig. Doch die Rahmenbedingungen für einen Ort des Eskapismus und Hedonismus haben sich verändert, nun hat Nachtnebel aufgehört.

STANDARD: Nach 20 Jahren im Nachtleben lassen Sie es nun sein, warum?

Nachtnebel: Das Jobprofil eines Bookers hat sich ziemlich verändert, daneben gab es persönliche Gründe. Mein Verständnis des Jobs war immer ein kuratierendes, aber das ist schwieriger geworden. Der Wiener Live-Markt ist in der Hand weniger Agenturen und sogenannter Kollektive, die Bands und DJs verkaufen wie andere Autos. Deren wässriger Alternativ-Mainstream hat auch vor Orten nicht haltgemacht, die früher die Fahne des Do-it-yourself-Ethos hochhielten.

STANDARD: Was hat sich deshalb für einen auf Clubs und Konzerte ausgelegten Ort verändert?

Nachtnebel: Die Professionalisierung ist ein Hund, mit dem viele Clubs zu kämpfen haben. Zum einen ermöglicht sie koordinierte Arbeitsabläufe, Gehälter, pünktliche Beginnzeiten und somit den Fortbestand des Clubs. Zum anderen hinterlassen Marktzwänge und Sicherheitsdenken ihre Spuren.

STANDARD: Das gilt auch für Clubs aus der alternativen Kulturszene?

Nachtnebel: Ja, diese Clubs befinden sich in einer besonders perfiden Situation. Dem ursprünglichen Anspruch, ein egalitärer, antikapitalistischer, antirassistischer Freiraum zu sein, stehen hohe Ticket- und Getränkepreise gegenüber sowie die Abweisungen von Männergruppen mit Migrationshintergrund.

STANDARD: Warum ist das so?

Nachtnebel: Man hat nur zwei, drei Tage pro Woche, um innerhalb weniger Stunden Geld zu verdienen, deshalb sind die Getränke an der Leistbarkeitsgrenze. Auch sind die Produktionskosten von Konzertabenden stark gestiegen, die Kartenpreise gehen durch die Decke. Weibliches oder queeres Publikum will man schützen. A-priori-Verurteilungen von Menschen, die sich diesem gegenüber intolerant verhalten könnten, finden somit schon an der Eingangstür statt. So wird der Club schleichend zum "Klub" für uns europäische Wohlstandskinder in der Experimentierphase, die ein wenig den Reiz des Undergrounds verspüren wollen. Und wenn einmal der Schuh drückt, steht gleich jemand vom Awareness-Team bereit und bietet dir ein Aspirin an. Das war früher nicht so.

STANDARD: Clubs galten als Orte zum Ausprobieren – Orte mit losen Regeln. Heute gibt es eine städtische Club-Kommission. Schimmelt da das Amt in Bereichen, die davor freier waren?

Nachtnebel: Die Vienna Club Commission hat wesentlich zum Überleben der Wiener Clubs in der Hauptphase der Pandemie beigetragen. Das Timing ihrer Installierung drei Monate vor dem ersten Lockdown war nahezu perfekt für diese Aufgabe. Ich sehe da wenig schimmeln, weil die Commission nur eine kommunikative und keine exekutive Funktion einnimmt. Clubs als "Orte zum Ausprobieren" mit "losen Regeln", da hat sich wohl einiges verändert.

STANDARD: Inwiefern?

Nachtnebel: Wie schon gesagt: Die Marktlogik zwingt zur Professionalisierung. Da bleibt nicht viel Raum zum Ausprobieren. Das größere, öffentliche Experiment findet fast nur noch in subventionierten Hochkulturkontexten statt, die das Anarchische des Undergrounds zur Blutauffrischung brauchen. Entsprechend komisch fühlt es sich an, wenn man dann an solchen Orten ist. Besonders wenn das Awareness-Team drauf schaut, ob die Etikette eingehalten wird.

STANDARD: Also ausgelassen sein, ja, aber nur mit Maß und Ziel?

Nachtnebel: Konflikte werden der von Party-Crews geschaffenen Autorität überantwortet, die mir dann sagt, dass ein weiteres Bier unvernünftig wäre und man gewisse Tanzbewegungen als sexuelle Belästigung verstehen könnte. Da spießt es sich gerade wirklich. Die ältere Generation ist früher in die Nächte hinein, um Autoritäten zu entfliehen. Die jüngere – vor allem Frauen, die am Dancefloor belästigt wurden – nimmt diese dankbar an. Die Dos und Don'ts, die mittlerweile an allen Eingangstüren fortschrittlicher Clubs hängen, sind natürlich vernünftig, aber nicht immer sehr einladend.

STANDARD: In den 1990er- und Nullerjahren war die Wiener Szene international vorne mit dabei – mittlerweile haben manche Clubs nicht einmal mehr täglich DJ-Betrieb.

Nachtnebel: Na ja, ein Club-DJ unter der Woche ist heutzutage so aufregend wie ein Hydrant. Die Digitalisierung dieses Berufes hat eine enorme Beliebigkeit herbeigeführt. Mit dem Portal Beatport kann sich jeder und jede in einer halben Stunde ein DJ-Set zusammenbasteln. Der Missionarismus mancher Leute scheint aber bis heute ungebrochen zu sein. Ich werde immer wieder gefragt, wo man auflegen könnte. Aber an den Wochenenden ist alles programmiert, unter der Woche machen die meisten Clubs Konzertprogramm und anschließend zu. Um halb zwölf ist in der Regel Schluss. Die Barumsätze sind bescheiden, ein DJ macht da wenig Sinn.

STANDARD: Früher gab es Wiener DJs, die international berühmt waren, gibt es da Nachwuchs, oder ist das dem Publikum längst egal?

Nachtnebel: Dass irgendwer oder irgendwas international ist, scheint heutzutage wurscht zu sein. Man ist global aufgewachsen. Eine DJ, die wichtig "London" neben ihrem Namen angibt, macht sich eher lächerlich. Dass Hundertschaften von Österreichern nach Berlin oder Barcelona ziehen, um dort DJ-Karriere zu machen, das gehört der Vergangenheit an. Die Leidenschaft am Auflegen ist aber ungebrochen. Waren es früher vorwiegend nerdige Sammlertypen, die schwere Taschen durch die Lokale schleppten, so stehen heute mehr weibliche und LGBTQI-DJs hinter den Decks. Die Vehemenz der Identitätsdebatten der letzten Jahre spiegelt sich in den Club-Line-ups. Mit neuen Einwanderergruppen sind regionale Variationen dazugekommen, die von bekannten Klangmustern der westlichen Hemisphäre abrücken. Das frischt das Ganze auf.

STANDARD: Wie hat Corona die Clubs in der "Nach-Corona-Zeit" verändert?

Nachtnebel: Diese Frage lässt sich nur aus einem gewissen Abstand beantworten. Viele Konzertveranstalter und Clubbetreiber beklagen, dass seit Corona ein Teil des Publikums weggebrochen ist und nicht wiederkommt. Gleichzeitig gibt es jede Woche ausverkaufte Konzertsäle und Warteschlangen vor den Clubs. So schlimm kann es also nicht sein. (Karl Fluch, 7.11.2022)