Unzählige kenianische Talente versuchen, über die Trainingscamps zu nationalen und dann internationalen Meriten zu kommen.

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Laufschuhe schnüren, ins Ausland kommen: der kenianische Traum.

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Wegen Dopings gesperrt worden: Lawrence Cherono (li.).

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Wolfgang Konrad zahlt, damit Doping in Kenia bekämpft wird.

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Johannes Langer (li.) tut weh, dass Geld in ein teils korruptes System fließt.

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Sekundentakt wäre eine leichte Übertreibung. Doch die Abstände, in denen die kenianische Leichtathletik für Dopingschlagzeilen sorgt, werden kürzer und kürzer. In knapp dreißig Fällen wurden heuer bereits Sanktionen, zumeist mehrjährige Sperren, verhängt, gut weitere zwanzig Fälle sind derzeit anhängig, sie werden kaum andere Ergebnisse zeitigen.

Unter den bereits Gesperrten sind Kapazunder wie Lawrence Cherono, der 2019 die Marathons in Boston und Chicago gewann, der zweimalige Rotterdam-Sieger Marius Kipserem und Diana Chemtai Kipyokei, die 2021 in Boston siegte und dort positiv getestet wurde, aber auch Philemon Kacheran, Trainingspartner von Superstar Eliud Kipchoge, dem Olympiasieger und Weltrekordler. Kacheran war einer der Tempomacher Kipchoges, als dieser 2019 im Wiener Prater unter Laborbedingungen die Zweistundenmarke unterbot.

Die Häufung der Fälle ist kein Zufall. Sie führt sich erstens darauf zurück, dass nach zwei Jahren Pandemie wieder Kontrollore ins Land kamen, und zweitens wohl auch darauf, dass verbesserte Kühlungs- und Transportmöglichkeiten erst die Untersuchung von in Kenia abgenommenen Blutproben möglich machten. Bis vor wenigen Jahren konnte dort quasi nach Belieben geschaltet und gewaltet werden.

Dazu kommt noch, dass der Weltverband World Athletics (WA) 2017 eine eigene Organisation (Athletics Integrity Unit) gegründet hat, um Doping den Kampf anzusagen. Veranstalter größerer, WA-gelabelter Events sind zur Mitfinanzierung angehalten, der Vienna City Marathon (VCM) beispielsweise steuert 9.000 US-Dollar pro Jahr bei. Man kann sich vorstellen, dass bei einigen Hundert Marathons und vielen größeren wie kleineren Meetings im Jahr eine Summe zusammenkommt, mit der sich etwas anfangen lässt.

Erinnerung an Skandale

Kenias Dopingproblem erinnert an die Skandale, die der Radsport ab Ende der 1990er lieferte: Festina! Telekom! Armstrong! Und natürlich auch an das erwiesene russische Staatsdoping vor und bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014. Es hat dazu geführt, dass Russlands Sport seither international geächtet ist und russische Aktive etwa bei Olympischen Spielen ab 2016 maximal unter neutraler Flagge antreten durften. Auch in der Leichtathletik ist Russland suspendiert.

Ähnliches droht nun Kenia, der Weltmacht schlechthin im Langstrecken- und insbesondere Marathonlauf. Barnabas Korir, hoher Funktionär im kenianischen Leichtathletikverband (AK), bestätigte es der Nachrichtenagentur AFP: "Es droht eine Sperre. Bei diesem Tempo wird Kenia dieses Jahr vielleicht nicht überleben, im Moment befinden wir uns auf der Intensivstation."

Triamcinolonacetonid

Den meisten Überführten ist gemein, dass ihnen die Einnahme von Triamcinolonacetonid nachgewiesen wurde. Triamcinolon ist ein entzündungshemmendes, immunsuppressives Steroidhormon. Kundige zeigen sich nicht überrascht. "Mir ist bei vielen ostafrikanischen Läuferinnen und Läufern seit längerem etwas aufgefallen", sagt Johannes Langer, Rennleiter des VCM. "Die rennen den Marathon wie mit Scheuklappen. Man hat das Gefühl, sie kriegen gar nicht mit, was links und rechts passiert oder ob es regnet oder brutal heiß ist. Die blenden bis zur Ziellinie alles aus, sind völlig schmerzbefreit." Schmerzbefreit im wahrsten Sinn des Wortes, dafür sorgt das Triamcinolon. Langer: "Natürlich ein Wahnsinnsvorteil."

Die Wurzeln liegen tiefer, und sie sind verzweigt. Bei großen Marathons geht es um Siegespreisgelder in sechsstelligen Dollar- oder Euro-Höhen, selbst Summen für Top-Ten-Platzierungen oder für Erfolge bei etwas kleineren Events sind aus ostafrikanischer Sicht fast utopisch. Beim VCM im April streiften Cosmas Muteti und Vibian Chepkirui aus Kenia für ihre Siege je 15.000 Euro ein, Chepkirui bekam für den Streckenrekord einen Bonus von 10.000 Euro dazu. Macht 25.000 Euro, in Kenia circa das Vierfache des durchschnittlichen Jahreseinkommens.

Nichts zu verlieren

"Mit so viel Geld kann man nicht nur das eigene Leben, sondern das Leben einer ganzen Dorfgemeinschaft in Kenia entscheidend verändern", sagt VCM-Veranstalter Wolfgang Konrad. Insofern kann er nachvollziehen, dass viele das Risiko eingehen, beim Dopen erwischt und gesperrt zu werden. "Viele junge Ostafrikaner haben nichts, abgesehen von gesunden Füßen und dem Wissen, dass sie schnell laufen können. Wenn alles gutgeht, können sie sehr viel gewinnen. Wenn es nicht gutgeht, haben sie gleich viel wie vorher, nämlich nichts. Sie haben also nichts zu verlieren."

Dazu kommt noch, dass ähnlich wie im Fußball längst Manager und Berater mitmischen, keine Spielervermittler, sondern Läufervermittler. Auch in der Leichtathletik hat diese Entwicklung vor gut dreißig Jahren begonnen, mittlerweile gibt es bedenkliche Auswüchse.

"Früher gab es den Athleten und den Trainer, dessen Interesse es war, dass der Athlet schnell läuft", sagt Konrad. "Jetzt gibt es dazu einen Manager – und welches Interesse hat der? Viele Manager wollen aus ihren Athleten nur möglichst schnell möglichst viel herauspressen." Langer ergänzt: "Oft sind es nicht die Läufer, sondern Managementfirmen, die Verträge mit den großen Ausrüstern haben und so viel Geld verdienen. Da geht es um Millionenbeträge."

Gruppendynamik

Von den hochprozentigen Beteiligungen an Preis- und Antrittsgeldern ganz zu schweigen. Etliche dieser Managementfirmen haben in Kenia eigene Trainingscamps aufgebaut. Dass da und dort auch punkto Doping etwas läuft, kann sich Langer lebhaft vorstellen. "Da entsteht sicher manchmal eine Gruppendynamik, und es ist ja nicht schwierig, an die Mittel zu kommen."

Natürlich sind nicht alle Manager gleich, so wie nicht alle kenianischen Lauftalente dopen. Doch Veranstalter von Marathons und Meetings geraten flott in eine Zwickmühle. Sie müssen trachten, ein gutes Spitzenfeld an den Start zu bringen, das ist nicht zuletzt eine Auflage des Weltverbands, der den Events bestimmte Gütesiegel verleiht. Konrad: "Wenn ich keine Ostafrikaner mehr nach Wien hole, wenn ich nicht jedes Jahr den Streckenrekord thematisiere, worüber wird dann im ORF geredet, und worüber wird dann im STANDARD geschrieben? Über den Franzi Huber, der zum ersten Mal unter drei Stunden bleiben will?"

Johannes Langer ist seit vierzig Jahren im Sport tätig. Er hat Läufe organisiert, gibt ein Laufmagazin ("Run Up") heraus und coacht Peter Herzog und Eva Wutti, die derzeit hierzulande im Marathon herausragen. Es tue ihm weh, sagt er, "dass so viel Geld in ein System eingezahlt wird, das teilweise richtig korrupt ist". Doch an den Managementfirmen führt kein Weg mehr vorbei. Der Vienna City Marathon immerhin weicht sowohl Managern als auch Läuferinnen und Läufern mit Dopingvergangenheit aus. Andere Veranstalter nehmen es weniger genau.

Die Forderung, Kenias Leichtathletik international zu sanktionieren, scheint naheliegend. Andererseits sind vielleicht gerade die vielen Dopingfälle ein Indiz dafür, dass auf der Ebene etwas weitergegangen ist in Kenia. "Wenn ich alle sperre, sperre ich auch die, die auf legalem Weg in der Lage sind, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen", sagt Wolfgang Konrad. "Und die gibt es, davon bin ich überzeugt." (Fritz Neumann, 7.11.2022)