Er trägt nur Maßanzüge, die Haare sind penibel frisiert. Er betreibt Kampfsport und hat ein rasantes Mundwerk, mit dem er in den Talkshows die erfahrensten Politiker an die Wand redet. Er stammt aus einer Immigrantenfamilie, führt aber ab sofort eine Anti-Ausländer-Partei an: Jordan Bardella, Sohn armer italienischer Zuwanderer, ist am Samstag von 30.000 Parteimitgliedern mit 84,8 Prozent der Stimmen zum neuen Parteichef des Rassemblement National (RN) gewählt worden. Der weniger kantige Gegenkandidat Louis Aliot, Bürgermeister von Perpignan, unterlag klar mit 15 Prozent.

Zum Karrieresprung ein Bussi für den neuen Parteichef von der Vorgängerin: Jordan Bardella und Marine Le Pen beim RN-Parteitag.
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"Ein Machtwechsel tut dringend not. Das ist unser Ehrgeiz, unsere Mission", rief Bardella im Pariser Mutualité-Saal, einem Traditionsort der Linken beim Quartier Latin, begeisterten Parteifans zu.

Der Shootingstar der französischen Politik machte damit klar, dass er seine Aufgabe einem einzigen Ziel unterordnen wird: seine bisherige Chefin Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 in den Élysée-Palast zu bringen. Der Jungstar, der mit einer Nichte Le Pens liiert ist, gilt als loyaler, linientreuer "Marinist". In einer Sozialwohnung neben Drogenhändlern eines Pariser Vorortes aufgewachsen, gibt er sich wie die bisherige RN-Chefin wirtschaftspolitisch eher links; statt von Immigration spricht er lieber von den sozialen Nöten, die die Inflation bewirke.

Ziel: Staatspräsidentin

Das ist genau der Diskurs, mit dem sich Marine Le Pen in ihren drei bisherigen Präsidentschaftskandidaturen von 17,9 auf 41,5 Stimmenprozent gesteigert hat. Sie verzichtet jetzt auf den Parteivorsitz, den ihre Familie seit der Parteigründung 1972 (damals: Front National) ausgeübt hatte, um zu signalisieren, dass sie höhere Weihen anstrebt als bloß die Leitung einer schnöden Partei: 2027 will sie endlich Staatspräsidentin werden.

Bardella hat auch die Mission, die Partei zusammenzuhalten. Als Erstes musste er allerdings am Wochenende zwei prominente Vertreter aus dem Exekutivbüro der Partei schassen. Einer davon, Steeve Briois, ein landesweit bekannter Bürgermeister der nordfranzösischen Kleinstadt Hénin-Beaumont, nannte Bardella einen "Autokraten", der die Partei von neuem "radikalisieren" wolle. In Wahrheit sei er nicht sozial eingestellt, sondern "identitär" wie die Rechtsextremen. Das konnte Bardella nicht dulden.

"Aufrechte Patrioten"

Der neue RN-Chef soll auch Anhänger des sehr rechten Ex-Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour abwerben. Dessen Wähler "sind aufrechte Patrioten, mit denen wir das Wesentliche teilen", hatte Bardella vor Monaten erklärt. "Wir mögen kurzfristig uneins sein, aber wir teilen die allgemeine Auffassung, dass unser Land in Lebensgefahr ist." Die These, dass Frankreich durch die Immigration existenziell bedroht sei, wird normalerweise von der extremen Rechten um den Schriftsteller Renaud Camus vertreten.

Dass Le Pen die Parteileitung einem Heißsporn wie Bardella überlässt, zeugt von einer Arbeitsteilung: Während sich die eigentliche Chefin so seicht und sozial wie möglich gibt, soll der schneidige neue RN-Vorsitzende die rechten Wähler bei der Stange halten oder gar erst anziehen. Während er die Radio- und TV-Studios abklappern soll, wird sie die RN-Fraktion in der Nationalversammlung dirigieren, dem neuen Machtzentrum Frankreichs, seitdem Präsident Emmanuel Macron im Élysée sehr geschwächt ist.

Überschattet wurde der 18. Kongress der Rechtsnationalen von einer Polemik um ihren eigenen Abgeordneten Grégoire de Fournas: In einer Parlamentsdebatte hatte er sich vergangene Woche während des Auftritts des Linksabgeordneten Carlos Martens Bilongo mit dem Zwischenruf "zurück nach Afrika" bemerkbar gemacht. Der Spruch sorgt in Pariser Medien teilweise für mehr Schlagzeilen als der RN-Parteitag. De Fournas wurde für zwei Wochen aus der Nationalversammlung ausgeschlossen. Bardella tat diese Sanktion bei seiner Antrittsrede als "Menschenjagd" ab. (Stefan Brändle aus Paris, 7.11.2022)