Zum "War for Talent" und der erforderlichen Adaptierung an junges Personal heißt es oft: Arbeitgeber müssen tanzen. Mag sein. Doch nur mit Personal-Pirouetten lässt sich der Konflikt nicht retten. Es gilt, auch dort hinzuschauen, wo sich Führungen im Umgang mit den nachrückenden Generationen selbst im Weg stehen. Und das passiert vor allem an zwei Stellen, nämlich in den Köpfen der Führungskräfte und in den Werkzeugkisten von Kultur-Steuerung und interner Kommunikation.

Starten wir mit der Kopfarbeit: Analysen zu den unterschiedlichen Einstellungen und Job-Erwartungen der Generationen liegen seit etlichen Jahren vor. Dennoch widerstrebt es vielen Führungen noch heute, die Fakten zu akzeptieren und Änderungen einzuleiten.

Man kann es in Beratungsgesprächen förmlich sehen: Hinter der Stirn eines typischen, mit Change-Anforderungen konfrontierten Managers der Babyboomer-Generation laufen Subtexte durch, die zwischen Unverständnis und Abneigung changieren – bis hin zur Verachtung für das Mindset einer vermeintlich leistungsaversen, flatterhaften, unernsten Jugend.

Wichtiger Disclaimer an dieser Stelle: Nicht alle Y- oder Z-Menschen ticken gleich – die Unterschiede zwischen wohlbehüteten Jugendlichen und solchen aus ressourcen-schwachen Familien etwa sind enorm. Und auch bei den Bossen geht’s nicht nur um Lebensjahre. Es gibt sehr, sehr alt wirkende Nachwuchs-Führungskräfte, die sich anhand verstaubter Rollenbilder über die eigene Unsicherheit hinweg turnen. Und es gibt verblüffend modern denkende Babyboomer.

Hier klappt’s gut: das jüngste und das älteste Vereinsmitglied der Feistritztalbahn – der elfjährige Sebastian und der 80-jährige Peter.
Foto: Raffael Reithofer

Die verspiegelte Wand

Entscheidend ist das Phänomen, das einer intergenerativen Verständigung im Weg steht: nämlich die zutiefst menschliche Eigenschaft, das eigene Selbstkonzept als Messlatte an andere anzulegen. Im direkten Aufeinandertreffen Werte-diverser Personen wirkt das wie eine verspiegelte Wand: Man sieht den anderen nur im Zerrspiegel der eigenen Stereotype, Klischees und Vorurteile. Und schon steht da ein Gen-Z-Mitarbeiter, der "nur verlangt, aber nichts leisten will" – denkt jedenfalls der traditionell sozialisierte Gen-X-Selbstausbeuter.

Dabei könnte es sich beim jungen Gegenüber um jemanden handeln, der notgedrungen nur im Moment lebt, weil sich das alte Konzept von "etwas aufbauen" heute finanziell kaum mehr ausgeht. Der nur deshalb so viel Aufmerksamkeit und Entfaltungsmöglichkeit erwartet, weil ihm die Familie genau das immer geboten hat. Der rein formal begründete Autorität nicht anerkennt, weil er so was gar nicht mehr kennt.

Doch diese Lebenswirklichkeiten finden keinen Raum in der selbstreferenziellen, sich selbst bespiegelnden Betrachtung – beispielsweise durch einen Babyboomer, der stetig fleißiges Reinbeißen und Respekt vor Hierarchie mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Die gute Nachricht: So eine "verspiegelte Wand" kann man beiseiteschieben, und zwar erst einmal in sich selbst: Aus dem Toolset der Antidiskriminierungsarbeit kommt der Kniff, "implizite" Stereotype in "explizite" umzuwandeln. Vereinfacht gesagt bedeutet das, sich Unbewusstes – Überzeugungen, Vorurteile & Co – bewusst zu machen und zu akzeptieren, dass die eigene Wahrheit vielleicht nicht die ultimative ist. Dabei hilft Führungsbegleitung, die auf Selbst-/Fremdwahrnehmung, Rollenbilder und den Umgang mit Paradigmen abzielt.

Diese Maßnahmen wirken

Auf den Ebenen der Internen Kommunikation und Organisationskultur-Arbeit unterstützen Maßnahmen, die echten zwischenmenschlichen Austausch und erlebnisreiche Begegnung fördern. Simpel formuliert: lieber die mehrtägige Tour von Team zu Team als die 30-Minuten-Townhall, lieber der regelmäßige CEO-Kantinentalk als die "E-Mail an alle".

Besonders effektiv, gerade in der Verbindung verschiedener Generationen, sind Corporate-Culture-Aktivitäten, bei denen alle Beteiligten zumindest ein bisschen Neuland betreten. Erfolgreich war beispielsweise die Initiative eines Finanzdienstleisters, alte und junge Mitarbeitende in Workshops zur Erstellung von Social-Media-Spielregeln zusammenzuspannen: Die Jungen machten den Älteren Lust auf Insta und Co, die alten Hasen fanden sich gehört, wenn es ums Reputationsrisiko durch zu spontane und leichtfertige Postings ging. Fazit: gemeinsam Anerkennung erworben, wechselseitigen Respekt gefördert – und ein funktionierendes Regelwerk fürs Unternehmen als Draufgabe.

Auch die ÖBB-Initiative, Lehrlinge an der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bahnunternehmens mitarbeiten zu lassen, ist ein österreichisches Vorzeigeprojekt in Sachen intergenerativer Austausch. Und natürlich gibt es bereits eine Reihe international erprobter Ansätze für gutes Generationen-Miteinander, von "Reverse Mentoring" bis "Liquid Leadership".

Echter Kulturwandel beginnt oben

Die Beratungserfahrung lehrt leider, dass genau solche Konzepte gerne aus dem Programm gestrichen werden, weil sie Geld und Führungszeit kosten. Ja, ganz deutlich ausgesprochen: auch Führungszeit in den höchsten Chefetagen, denn echter Kulturwandel beginnt ganz oben.

Doch je härter der "War for Talent" wird, desto mehr schärft sich hoffentlich der Blick auf die Bottom-Line: nicht nur wegen der Mittel, die es verschlingt, keine oder falsche Mitarbeitende zu finden und gute zu schnell wieder zu verlieren, sondern auch wegen der vollmundigen Versprechen in Sachen Corporate Social Responsibility und Diversity – Verschiedenheit wirklich zu respektieren bedeutet nämlich, ihr im Unternehmen tatsächlich Raum zum Leben zu geben. Und gesellschaftliche Verantwortung darf ruhig auch heißen, ein bisschen dort auszugleichen, wo (häufig von wirtschaftlichem Druck überforderte) Erziehungsberechtigte und das staatliche Bildungssystem zunehmend auslassen. (Elisabeth Pechmann, 9.11.2022)