Aktion gegen Gewalt in Frankreich. In Österreich gab es in diesem Jahr bereits 28 mutmaßliche Femizide. Im vergangenen Jahr zählten die autonomen Frauenhäuser 29 Frauenmorde.

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Es ist ein Buch, das stellenweise nur schwer zu ertragen ist. Gleichzeit ist es längst überfällig. Die Journalistin Yvonne Widler thematisiert im kürzlich erschienenen "Heimat bist du toter Töchter" tödliche Gewalt von Männern an ihren Angehörigen, Partnerinnen und Ex-Partnerinnen. Sie hat mit Betroffenen und Expertinnen gesprochen und ist tief in konkrete Fälle von tödlicher Gewalt eingetaucht.

STANDARD: Sie beschreiben einige konkrete Fälle von tödlicher Gewalt sehr explizit. Ist diese detailreiche, brutale Beschreibung wirklich nötig?

Widler: Alle Menschen aus dem Gewaltschutzbereich sagten mir, dass diese Gewalt nicht tabuisiert werden sollte. Gerade das Gewaltthema wird gern in den häuslichen Bereich gedrängt – und dann kann man das einfach so wegschieben, als ob uns das nichts angehen würde. Die meisten Menschen wollen die Dimension der Gewalt an Frauen nicht sehen und was Frauen hier erleben – deshalb habe ich mich entschieden, diese Gewalt deutlich zu beschreiben.

Yvonne Widler arbeitet für die Tageszeitung "Kurier" als Journalistin. Sie befasst sich regelmäßig mit dem Leben von Frauen, die in Gewaltbeziehungen gefangen sind.
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STANDARD: War die Suche nach Betroffenen von Gewalt und Angehörigen von Femizid-Opfern, die über das Erlebte sprechen wollen, schwer?

Widler: Diese Kontakte zu bekommen war tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Mir ist aufgefallen, dass fast alle Angehörigen, Betroffenen oder Freund:innen von ermordeten Frauen von Medien enttäuscht oder auch verheizt wurden, sodass ich verstehen kann, wenn sie jetzt Vorurteile haben. Der Boulevard hat etwa bei vielen ungefragt Informationen oder Fotos veröffentlicht. Es waren lange Gespräche vorab nötig, in denen ich meinen Plan genau erklärt und versichert habe, dass letztlich alle Entscheidungen bei ihnen liegen.

Ich war mit einem psychosozialen Prozessbegleiter im Gespräch und dachte, ich bekäme über ihn Kontakte. Er meinte aber klipp und klar, dass ich das vergessen kann. Er hätte diese Menschen nicht monatelang durchs Tal der Trauer getragen, damit sie jetzt ihre Geschichte wieder stundenlang ausbreiten – was hätten sie davon? Das war für mich nachvollziehbar. Teilweise habe ich Kontakte von Opfer- oder Gewaltschutzstellen bekommen, die allerdings meine Daten bekamen, damit sie sich melden konnten. Ein paar Kontakte haben sich bei Gerichtsverhandlungen ergeben.

STANDARD: Wie waren Ihre Eindrücke von Gerichtsverhandlungen zu Femiziden?

Widler: Bei den meisten verlief alles sehr respektvoll. Manchmal war ich aber enttäuscht, dass dem Angeklagten so viel Raum gegeben wurde, um Victim-Blaming zu betreiben – und die Angehörigen sich das anhören mussten. Der "Bierwirt", der des Mordes an seiner Ex-Partnerin beschuldigt wurde, ist gleich mit drei Verteidigern gekommen. Diese Inszenierung der Verteidigung bei einem Femizid-Prozess, das sagt viel über das System aus.

STANDARD: Inwiefern?

Widler: Die Verteidigungsstrategie geht oft in Richtung Totschlag, und dafür müssen Entschuldigungen für die Tat gefunden werden. Medien stellen oft schon vorab die Perspektive des Täters in den Mittelpunkt, daran kann die Verteidigung dann gut anknüpfen. Als ein in Wien lebender Mann seine Frau mit einem Messer angegriffen hat, wurde medial stark darauf hingewiesen, dass der Tat ein Streit vorausgegangen war.

Yvonne Widler, "Heimat bist du toter Töchter", € 24,– / 256 Seiten. Kremayr & Scheriau, Wien 2022
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STANDARD: Was macht das mit Angehörigen?

Widler: Das ist unterschiedlich, aber den meisten gibt so eine Berichterstattung einen Stich, und sie reagieren sehr sensibel darauf. Sie beobachten die Berichterstattung nach tödlicher Gewalttat an einer Angehörigen meistens ganz genau und erkennen, was falsch läuft. Es ist wichtig, diese Menschen im Hinterkopf zu haben, wenn man über Femizide schreibt.

STANDARD: Der Begriff Femizid ist nicht unumstritten. Manche sagen, er habe zu unscharfe Grenzen, andere, dass er als politischer Begriff unerlässlich ist. Was meinen Sie?

Widler: Ich habe im Buch schon früh den Begriff Intimizid eingeführt – damit kann ich am besten leben. Er beschreibt Delikte, wenn Partner oder Ex-Partner die Täter sind. Es stimmt, dass "Femizid", so wie er in der Istanbul-Konvention definiert wird, sehr breit gefasst ist. Aber ich habe kein Problem damit, dass es ein politischer Begriff ist – denn es muss endlich benannt werden. Femizid wird seit ein paar Jahren vermehrt in den Medien verwendet, und viele verstehen inzwischen, dass Femizide ein strukturelles Problem sind und wo der Unterschied zu anderen Arten von Tötungen liegt. Ich finde es seltsam, ewig über diesen Begriff zu diskutieren anstatt über die Gewalt selbst.

STANDARD: Wie schätzten Sie die aktuelle Politik für den Gewaltschutz ein?

Widler: Ich habe beim Frauenministerium mehrmals um ein Interview gebeten, ich wurde immer wieder vertröstet oder bekam gar keine Antwort. Wenn eine Frauenministerin nicht bereit ist, ein Interview für ein Buch über Femizide in Österreich zu geben, dann sagt das schon einiges aus. Wir brauchen im Frauenministerium eine Person, die die vielen Zusammenhänge mit Gewalt thematisiert, die vielen Ebenen der Ungleichheit, die dazu führen. Wir brauchen eine feministische Frauenpolitik.

STANDARD: Wo sehen Sie das größte Manko in Österreich beim Gewaltschutz?

Widler: Dass es kein österreichisches Gesamtkonzept zu Gewaltschutz gibt. Es gibt einen Flickenteppich, aber keinen gut durchdachten Gesamtplan für das ganze Land. Auch die Förderungen sind in jedem Bundesland anders geregelt. Erstaunt hat mich auch die Reaktion von manchen Richter:innen und Staatsanwält:innen zum Thema Sensibilisierung: Sie seien schon genug sensibilisiert, und man fühlt sich schnell angegriffen. Wenn man genauer nachfragt, heißt es, sie hätten eine eintägige Schulung gemacht. Ich glaube nicht, dass jede Berufsgruppe, die in Österreich mit Gewaltschutz zu tun hat, genug sensibilisiert ist.

STANDARD: Die Zahlen der Femizide sind seit längerem auf einem ähnlichen Niveau und im EU-Vergleich relativ hoch. Manchmal scheint es so, als wäre daran kaum etwas zu ändern. Warum ist das so?

Widler: Diese Frage habe ich all meinen Interviewpartner:innen gestellt. Eine klare Antwort konnte keine:r finden. Es ist wohl eine Mischung aus mehreren Aspekten. Mir wurde aber klar, dass in Österreich Gewalt generell noch sehr verharmlost wird. Sie wird oft in den häuslichen Bereich verdrängt und so weggeschoben, als ob wir nichts damit zu tun hätten. "Nur" eine Watsche ist in vielen Familien noch immer normal. Viele Familien konnten sich nie aus der Gewaltspirale befreien – und die Institutionen schafften das auch nicht.

Das andere ist das Thema der Verantwortung, die Schuldfrage: Viele übernehmen überhaupt keine Verantwortung, es gibt auch oft dieses strikte Nein von Männern zu einer Therapie. Und bei der Zusammenarbeit von Institutionen, Einrichtungen und Behörden gibt es auch Aufholbedarf, ebenso bei einer genauen Aufarbeitung von Femiziden. Ich bin auf Beispiele gestoßen, die zeigen: Da hätte vieles verhindert werden können, wenn der Informationsaustausch besser gewesen wäre. (Beate Hausbichler, 8.11.2022)