Das St. Petersburger Hauptgebäude der verdeckten russischen Trollfabrik Internet Research Agency.

Foto: AP/Dmitri Lovetsky

Eine im Netz herumschwirrende Karikatur zeigt den schwarzen US-Senator Raphael Warnock als radikalen Wokeness-Prediger: In der linken Hand hält er eine Schusswaffe, während er in einer Sprechblase predigt, dass stolze weiße Amerikaner angesichts ihrer Hautfarbe Reue empfinden sollten. Unter der Zeichnung des Demokraten, der derzeit im Bundesstaat Georgia um seine Wiederwahl kämpft, steht: "Wählt ihn ab."

Was auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist: Die vor Rassismus strotzende Karikatur ist Teil einer neuerlichen russischen Desinformationskampagne, die auf demokratische Wahlen in den USA abzielt. Im Visier dieser Schmutzkübelkampagne steht wieder einmal die Präsidentenpartei von Joe Biden: die Demokraten, denen ein herber Rückschlag bei den Kongresswahlen, die nach hiesiger Uhrzeit von Dienstag auf Mittwoch stattfinden, droht.

Onlineparadies für Hetzkampagnen

Nachweise für eine entsprechende Desinformationskampagne lieferten nun Fachleute diverser US-Firmen, die auf Social-Media-Recherche spezialisiert sind – etwa Recorded Future und Graphika. Diesen zufolge sind mehrere hetzerische Cartoon-Zeichnungen in den vergangenen Tagen – pünktlich vor den Midterms – auf einschlägigen sozialen Netzwerken aufgetaucht: etwa auf Gab (das sogenannte Twitter für Rassisten), Gettr, Parler oder patriots.win. Alles Plattformen, die im Hinblick auf aufhetzende Beiträge nicht moderiert werden – mit "Redefreiheit" als Begründung. Zur Erinnerung: Parler wurde etwa von Unterstützern von Ex-US-Präsident Donald Trump zur Planung der Kapitol-Erstürmung genutzt.

Die Karikaturen tragen die Signatur "Schmitz" – ein Pseudonym, das in Desinformationsfachkreisen bekannt ist. Schließlich wurden hetzerische Zeichnungen dieses anonymen Urhebers schon früher von Fake-Social-Media-Profilen geteilt. Deren Spur führte nach Moskau. Nämlich über ein Netzwerk, das sich als das rechte Medium "Newsroom for American and European Based Citizens" tarnte.

Dahinter steht laut US-Medienberichten, die sich auf FBI-Angaben berufen, die russische Trollfarm IRA: Die sogenannte Internet Research Agency wurde als zentraler Akteur im Bericht von Sonderermittler Robert Mueller angeführt, der darin die russische Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 nachzeichnete, als sich Trump gegen die Demokratin Hillary Clinton durchsetzte. Auch 2020 hat sie versucht, die Präsidentschaftswahlen zugunsten von Trump zu beeinflussen – vergeblich. Dann verstummten die Accounts.

Reaktivierung der Kreml-Bots

Im Spätsommer dieses Jahres, just zweieinhalb Monate vor den Midterms, wurden diesem Netzwerk zugeordnete Accounts wieder aktiv: etwa ein von Recorded Future und Graphika als unauthentisch eingestuftes Userprofil namens "Nora Berka", das sich nach langem Stillschweigen am 23. August wieder auf der Gab-Plattform zu Wort meldete und seither in regelmäßigen Abständen die Biden-Regierung verunglimpft: Öffentliche Gelder, die der amerikanischen Arbeiterklasse zustünden, würden demnach für Ukraine-Hilfen verschwendet. Ein Standpunkt, den auch so mancher Republikaner vertritt und jedenfalls Kreml-Interessen entspricht. Über weitere Fake-Profile werden laut den Fachleuten von Recorded Future und Graphika ebenjene hetzerischen Karikaturen und die einschlägige Website "Election Truth" (Wahl-Wahrheit), die nach jüngsten Medienberichten offline ist, geteilt.

Dass die Sorge darüber in den USA groß ist, zeigt eine vom FBI und der US-Cybersicherheitsagentur im Oktober ausgesprochene Warnung vor ausländischer Einflussnahme vor den Wahlen – ohne konkrete staatliche Akteure zu nennen. Der Kreml streitet entsprechende Bemühungen jedenfalls weiterhin ab, zuletzt am Montag. Doch ein enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin, Jewgeni Prigoschin, dem der Mueller-Report vorwirft, die Desinformationskampagnen der IRA zu finanzieren, hat die russische Einflussnahme nun erstmals bestätigt. "Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein, und wir werden uns weiterhin einmischen. Sorgfältig, genau, chirurgisch und auf unsere eigene Weise, da wir wissen, wie es geht", schrieb Prigoschin, der als Chef der Söldnergruppe Wagner bekannt ist, am Montag in einem Eintrag auf V-Kontakte, dem russischen Äquivalent zu Facebook.

Welchen Einfluss solche Desinformationskampagnen haben, ist schwer auszumachen. Nach Angaben von Brian Liston, einem Experten bei Recorded Future, geht es russischen Akteuren heute weniger darum, Andersdenkende zu überzeugen, sondern darum, weit rechts stehende Konservative in ihren Standpunkten zu bestärken.

Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Polarisierung innerhalb der amerikanische Gesellschaft ohnehin seit Jahren zunimmt, mutmaßt Edward P. Perez vom OSET Institute, dass sich in den USA für Transparenz bei den Wahlen einsetzt, gegenüber der "New York Times". Ein anderer könnte sein, dass Russland mit seinen Desinformationskampagnen, die seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine verharmlosen sollen, alle Hände voll zu tun hat, heißt es bei Recorded Future. Zumindest korreliere der Krieg mit der Tatsache, dass im ersten Halbjahr dieses Jahres keine Troll-Aktivität verzeichnet worden sei, mutmaßt auch Graphika in seinem Bericht.

Neu ist allerdings in dem Zusammenhang, dass die Troll-Accounts in den USA das Thema Ukraine verstärkt aufgreifen, um den Rückhalt für das angegriffene Land in der US-Bevölkerung zu schmälern. So tauchten über die Netzwerke etwa Fotos auf, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Poledancer zeigen, der auf US-Dollar tanzt. (Flora Mory, 7.11.2022)