Der Kampf um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist auch in der Rechtsbranche angekommen. Kanzleien, die glaubwürdig soziale Verantwortung übernehmen, werden dabei als Sieger hervorgehen.

Foto: Marlene Rahmann

ESG steht als Abkürzung für "Environment" (Umwelt), "Social" (Soziales) und "Governance" (Unternehmensführung). Ab 2023 müssen Firmen im Rahmen der Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung über diese drei Themenbereiche berichten.

Soziale Faktoren schwer messbar

Informationen zu Umweltfaktoren wie etwa Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft sind oft objektiv messbar. In vielen Unternehmen lassen sich auch Informationen zur Unternehmensführung, wie etwa Unternehmensethik und Unternehmenskultur, anhand vorhandener Corporate Governance erheben.

Wesentlich schwieriger gestaltet sich dagegen die Erhebung der Informationen zu Sozialfaktoren. Neben den Themen, die bisher in vielen Unternehmen als Corporate Social Responsibility umgesetzt wurden, wie etwa die klassischen Bereiche des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Mitarbeiter, sind nun weitere Aspekte zu beachten.

Eindeutiger Trend

Berichterstattung zum Nachhaltigkeitsfaktor Soziales setzt sich damit auseinander, wie im Unternehmen Wertschöpfung generiert wird, wie sich Nachhaltigkeit auf das Unternehmen auswirkt und was die sozialen und unternehmerischen Konsequenzen daraus sind.

Zu den sozialen Themen zählen etwa Ausbildung, Work-Life-Balance, Chancengleichheit, Abschaffung der "gläsernen Decke" für Frauen, Inklusion von Menschen mit Behinderungen oder die Stärkung der psychischen Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Obwohl aktuell weder Rechtsanwaltskanzleien noch Rechtsabteilungen in Österreich eine Verpflichtung zur neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung trifft, kommt dieser Thematik in der Praxis bereits große Bedeutung zu.

Initiativen in Österreich geplant

Die Rechtsbranche beschäftigt sich nicht nur aufgrund der zukünftigen Berichtspflicht der Mandanten mit Nachhaltigkeit, diese ist auch intern in Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen ein brandaktuelles Thema. Einige größere Kanzleien haben bereits ESG-Berichte veröffentlicht oder arbeiten an deren Erstellung. Rechtsabteilungen internationaler Konzerne bzw. sonstiger künftiger berichtspflichtiger Unternehmen bereiten sich intensiv auf die ab kommendem Geschäftsjahr zwingend erforderliche Aufarbeitung von umfangreichen ESG-Daten und Informationen vor.

International ist der Trend schon klar, so haben Unternehmen wie Novartis oder die BASF eindeutige Genderkriterien für die Beauftragung von Anwaltskanzleien verpflichtend eingeführt. Auch in Österreich sind Initiativen geplant, als Rechtsabteilung zukünftig etwa auf die Genderbalance in Anwaltskanzleien auf allen Ebenen bis zur Partnerebene zu achten.

Partnerinnenanteil soll steigen

Das wird bei einem Partnerinnenanteil von durchschnittlich 13 Prozent in Österreichs Kanzleien jedenfalls rasch zu verbessern sein. So sind im Gegensatz zu Mint-Berufen mehr als 50 Prozent der Jus-Absolventen weiblich.

Auch in Österreich gibt es eine Bewusstseinskampagne, die von Rechtsabteilungen und Women in Law ausgeht. So fragen die teilnehmenden Rechtsabteilungen ihre beauftragten und potenzielle Anwaltskanzleien, wie es um die Genderdiversity auf sämtlichen Ebenen der Kanzlei bestellt ist und welche konkreten Pläne zur Erhöhung der Gendergleichheit in Planung sind. Teilnehmende Unternehmen sind zum Beispiel Bank Austria, Magenta, Schoellerbank und Mjam. Dies ist ein klares Zeichen dieser Unternehmen in Richtung ESG.

Anerkennung für soziale Verantwortung

Die künftigen Berichtspflichten zwingen Kanzleien dazu, sich mit ihrer eigenen sozialen Verantwortung intensiv auseinanderzusetzen und konkret über ihre Bemühungen und Erfolge bei zum Beispiel Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, Geschlechtergerechtigkeit sowie Lohngleichheit zu berichten. Diese werden oft erstmalig in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.

Vor einigen Jahren waren Frauen in Führungsrollen, Mentoringprogramme, Väterkarenz oder Teilzeitmodelle in Kanzleien noch vereinzelte Ausnahmeerscheinungen. ESG gibt diesen nun erweiterte Bedeutung und auch Anerkennung.

Gerade für Kanzleien ist die ernsthafte Auseinandersetzung mit sozialer Verantwortung eine große Chance, die aber auch ernste Veränderung gerade verlangt – also die konkrete Veränderung von liebgewonnenen Strukturen und etablierten Belohnungs- und Bonussystemen abseits von Marketingmessages.

"War for talents"

ESG gewinnt dabei nicht nur an Relevanz, weil Mandanten bereits den Einsatz nach Kriterien der Diversität aufgestellter Beraterteams verlangen; das Bewusstsein für Sozialfaktoren kommt auch immer mehr bei Bewerberinnen und Bewerbern auf: Rechtsanwaltskanzleien, die ungeschönte und glaubwürdige soziale Bestrebungen setzen, werden in Zukunft im "war for talents" als Sieger hervorgehen.

Einige Kanzleien forcieren bereits ganz gezielt diese Veränderung und sehen ESG nicht nur als Pflicht an. Die Beschäftigung mit dem Nachhaltigkeitsfaktor Soziales und die authentische und sozial verantwortliche Nutzung von Gestaltungsspielräumen bietet nämlich schon jetzt einen messbaren Mehrwert.
(Sophie Martinetz, Irene Meingast, Birgit Leb, 7.11.2022)