Ein Smartphone in kurzer Zeit aufladen zu können ist ohne Zweifel in einigen Situationen vorteilhaft. Diesen Komfort muss man allerdings mit der Langlebigkeit des Akkus abwägen.

Foto: Xiaomi

Neben dem Wettlauf in Sachen Kameraausstattung hat sich in den letzten Jahren auch ein anderer Wettstreit zwischen manchen Herstellern von Highend-Smartphones entzündet. Nämlich bei der Akkuladezeit. Und wo auf der einen Seite oft mit Megapixel-Zahlen um sich geworfen wird – auch wenn diese nur einen beschränkten Rückschluss auf Fotoqualität erlauben –, wird hier nach immer höherer Leistung gestrebt.

Heuer durchbrach der chinesische Hersteller Iqoo erstmals die 200-Watt-Schranke. Das im Juli vorgestellte Iqoo 10 Pro kam mit Unterstützung für das Aufladen mit einer solchen Leistung. Der 4.700-mAh-Akku kann so binnen zehn Minuten vollständig geladen werden. Im Oktober unterbot der ebenfalls aus China stammende Elektronik-Multi Xiaomi den Rekord nach eigenen Angaben auf zeitlicher Ebene mit dem Redmi 12 "Discovery Edition", das für den chinesischen Markt vorgestellt wurde.

200-Watt-Grenze durchbrochen

Hier ist ein 210-Watt-Ladegerät im Lieferumfang und das Handy soll in neun Minuten komplett aufgeladen werden können. Um das zu erreichen, operiert der Charger mit einer Stromstärke von bis zu 10,5 Ampere. Es gibt jedoch einen Wermutstropfen: Mit 4.300 mAh ist die Akkukapazität im Vergleich zum Iqoo-Gerät rund neun Prozent geringer.

Damit dürfte aber noch nicht Schluss sein. Letztes Jahr zeigte Xiaomi in einem Experiment mit einer eigens angefertigten Version des Mi 11 Pro, dass auch vollständiges Aufladen in weniger als acht Minuten bei 200 Watt erzielbar ist. Ob bei der Adaption des Handys für das Experiment die Akkukapazität geändert wurde, ist nicht bekannt. In seiner kommerziellen Ausführung werden 5.000 mAh geboten.

Xiaomi

Andere Hersteller sind allerdings dicht dran. Oppo, OnePlus und Realme, die wie Iqoo auch zur BBK Electronics-Gruppe gehört, sind mittlerweile bei 150 Watt angekommen, wobei das Schnellladeverfahren von Oppo entwickelt und an die anderen Unternehmen unter verschiedenen Namen lizenziert wird.

Eigene Lösungen und Quickcharge 5

Konkurrent Huawei entwickelt mit SuperCharge ebenfalls ein eigenes Verfahren. Hier scheint höherer Ladeleistung allerdings kleinere Priorität zuzukommen. Derzeit werden bis zu 66 Watt unterstützt, etwa beim Mate 50 Pro, das so in einer halben Stunde geladen werden können soll. Bei Samsung nennt sich das Verfahren Adaptive Fast Charge, die Obergrenze liegt aktuell bei 45 Watt.

Hersteller müssen aber nicht unbedingt eigene Standards entwickeln, denn auch Qualcomm bietet als wichtigster Chiplieferant im Smartphone-Segment selbst eine Lösung an. Quickcharge 5 bringt es immerhin auf bis zu 100 Watt. Konkurrent Mediatek scheint hingegen die Weiterentwicklung der eigenen Lösung Pump Express nach Version 4 im Jahr 2018 aufgegeben zu haben. Dementsprechend müssen hier dann doch wieder eigene Lösungen eingesetzt werden, um höhere Ladeleistung zu ermöglichen.

Mogelpackungen

Die Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn die Hersteller nehmen es mit der Wahrheit nicht unbedingt genau. Die versprochene Ladeleistung bezieht sich in der Regel auf das Ladegerät und nicht das Smartphone. Verluste während der Übertragung sorgen dafür, dass der tatsächliche Output klar niedriger liegt, wie Messungen zeigen. Xiaomis 120-Watt-Charger liefert etwa nur maximal 97 Watt an das Mi 11T Pro. Das Google Pixel 6 Pro kommt mit dem offiziellen 30-Watt-Ladegerät auf maximal 23 Watt.

Die maximale Ladeleistung wird zudem nicht dauerhaft erreicht, sondern in der Regel nur während eines kleinen Teils der Ladedauer, was freilich elektrochemische Gründe hat und auch der Wahrung der Sicherheit dient. Daraus ergibt sich, dass die Steigerung der Ladeleistung sich nicht 1:1 auf die Ladedauer überträgt, also ein Smartphone, das 120-Watt-Aufladung unterstützt, deswegen nicht doppelt so schnell aufgeladen werden kann, wie eines, das nur bis zu 60 Watt erlaubt.

Die Leistungsangaben der Anbieter haben demnach oft einen irreführenden Charakter. Daher sollten Kunden auf die praktisch ohnehin relevantere Ladezeit schauen und Messergebnisse aus der Praxis bzw. Rezensionen sichten.

Aber auch das ist leider keine Garantie für akkurate Auskunft, da manche Hersteller schummeln und das Gerät einen Akkustand von 100 Prozent vermelden lassen, obwohl er noch nicht aufgeladen ist. Einen besonders dreisten Fall zeigte etwa Andrej Frumusanu von Anandtech beim ZTE Axon 30 Ultra auf. Dieses war laut Bildschirmangabe nach 34 Minuten vollständig geladen, obwohl die tatsächlich aufgeladene Kapazität noch bei unter 90 Prozent lag und der Ladezyklus in der Praxis noch rund 20 Minuten länger dauerte.

Nicht immer sinnvoll

Das Aufladen mit hoher Leistung ist sinnvoll, wenn man etwa ein Handy mit niedrigem Akkustand in kurzer Zeit für einen längeren Einsatz bereitmachen möchte. Es wirkt sich auf Dauer aber negativ auf den Akku aus, was womöglich ein Grund dafür ist, dass etwa Samsung und Google im Watt-Wettlauf nicht mitziehen. Um eine schnelle Degeneration der Batterie zu vermeiden, lässt sich auf manchen Geräten auch die Ladeleistung in den Nachtstunden automatisch drosseln oder die Aufladung vorzeitig beenden.

Laut Experten sollte man es sowohl vermeiden, Handyakkus komplett zu entladen, sondern sie idealerweise bei einem Ladestand von etwa 40 Prozent wieder an den Strom hängen. Abgeraten wird auch davon, sie ständig voll aufgeladen zu lassen, wobei dies mittlerweile von der Ladeelektronik der meisten Geräte ohnehin unterbunden wird. (gpi, 8.11.22)