Bild nicht mehr verfügbar.

Im Homeoffice verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Regelmäßige Überstunden sind für viele Beschäftigte keine Seltenheit.

Foto: Getty Images

Unzählige Überstunden, E-Mails und Anrufe nach Feierabend: Das gehört für viele Beschäftigte zum Arbeitsalltag. Die Grenze zwischen Job und Freizeit ist in den letzten Jahren immer stärker verschwommen. Sowohl der Einsatz digitaler Technologien als auch das Corona-bedingte Arbeiten in den eigenen vier Wänden haben zu dieser Entwicklung beigetragen.

Am Donnerstag präsentiere das Wissenschaftsnetzwerk Diskurs passend dazu die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Eurofound, der europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ein zentrales Ergebnis: Arbeitnehmerinnen im Homeoffice leisten mehr Überstunden als Arbeitnehmer im Büro bzw. am Arbeitsplatz. Unter Heimarbeitenden liegt der Anteil jener, die regelmäßig länger arbeiten, bei 43 Prozent. Im Vergleich dazu macht dieser Wert bei Beschäftigten am Arbeitsplatz nur rund ein Drittel aus.

Ein Fünftel der Beschäftigten, die ausschließlich oder hauptsächlich von zu Hause aus arbeiten, gaben an, wöchentlich zwischen 41 und 48 Stunden zu arbeiten. Weitere zehn Prozent nannten sogar über 48 Stunden pro Woche. Auch dieser Anteil ist unter Bürogängern mit 16 Prozent und neun Prozent geringer. Dabei sind die negativen Auswirkungen längerer Arbeitszeiten auf Gesundheit und Wohlbefinden gut dokumentiert. Im Rahmen der Eurofound-Umfrage war die Zahl der Arbeitnehmenden, die angaben, regelmäßig unter Kopfschmerzen zu leiden, im Homeoffice um sechs Prozent größer. "Ebenso sind muskuloskelettale Probleme sowie Stress und Burn-out unter ihnen weiter verbreitet", ergänzt Studienautorin Tina Weber.

Konkretere Maßnahmen

Gleichzeitig schätzen viele Beschäftigte Vorteile wie mehr Flexibilität und Autonomie durch mobiles Arbeiten und gaben an, auch künftig mehrmals pro Woche von zu Hause aus arbeiten zu wollen. Um regelmäßigen Überstunden in der neuen Arbeitswelt entgegenzuwirken, wurden im Europäischen Parlament bereits Anfang 2021 Rufe nach einem EU-weiten Grundrecht auf Nichterreichbarkeit laut. Definiert wird dieses als das Recht von Beschäftigten, in der arbeitsfreien Zeit von der Arbeit abzuschalten und von elektronischer Kommunikation wie E-Mails und anderen Formen von Nachrichten mit Bezug zur Arbeit absehen zu können.

Im Herbst 2022 haben die europäischen branchenübergreifenden Sozialpartner beschlossen, über dieses Thema zu verhandeln. "Diese Verhandlungen dauern normalerweise etwa neun Monate an", sagt Weber. Auf Ebene der Mitgliedsstaaten haben bislang lediglich sieben Länder ein solches Recht gesetzlich verankert: Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, die Slowakei, Portugal und Spanien. In Österreich sind Ruhezeiten sowie eine Höchstarbeitszeit gesetzlich definiert. Befolge man als Arbeitgeber dieses Arbeitszeitrecht, bedarf es eigentlich keines Rechts auf Nichterreichbarkeit, sagt Martin Gruber-Risak, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.

Der Experte sieht jedoch in der Praxis ein großes Problem: Zusätzliche Flexibilität in einem ungleichen Machtverhältnis führe dazu, dass diese von einer Seite stärker genutzt wird – in diesem Fall den Unternehmen, die ständige Erreichbarkeit von ihren Mitarbeitenden erwarten. Der Arbeitsrechtler hält deshalb vor allem konkrete Maßnahmen zur Sicherung der Ruhezeiten für erforderlich.

Kultureller Wandel

Von Eurofound durchgeführte Fallstudien zeigen, dass es zwei Hauptansätze gibt, ein Recht auf Abschalten auf Firmenebene durchzusetzen: "Weiche" Ansätze beruhen darauf, dass Mitarbeitende und Vorgesetzte gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, dass Beschäftigte nicht dauerhaft auf allen Kanälen erreichbar sind. Bei "harten" Ansätzen wird die arbeitsbezogene Kommunikation in bestimmten Zeiten unterbrochen, und die Entscheidung, abzuschalten oder nicht, wird den Arbeitenden abgenommen.

"In der Regel wird ein weicher Ansatz einem harten Ansatz vorgezogen", sagt Weber. Und das, ihrer Ansicht nach, auch zu Recht: Zu den wichtigsten Umsetzungsmaßnahmen gehöre die Sensibilisierung für die Risiken einer ständigen Online-Präsenz und der Umgang mit Kommunikation außerhalb der Arbeitszeit. Damit Beschäftigte also wirklich abschalten können, brauche es neben einem rechtlichen Rahmen vor allem einen Kulturwandel in den Unternehmen. (Anika Dang, 10.11.2022)