Schick und Schäbig gehen in der Kunst der US-Musikerin Ezra Furman Hand in Hand. Das hindert sie nicht, sich an großen Gesten zu versuchen.

Buck Meek

Es hat sich ein bisschen was getan in Ezra Furmans Leben. Nachdem sich der in Chicago geborene Musiker in den letzten 15 Jahren einen Namen in den Independentzirkeln gemacht hat, ist er heute nachgerade berühmt – und eine Sie. Dementsprechend steht sie am Dienstag als Star auf der Bühne der Wiener Arena, tags darauf als ebensolcher auf jener des Dom im Berg in Graz. Aber das war ein Weg.

Begonnen hat Ezra Furman mit der Band The Harpoons, später spielte er unter eigenem Namen. Er produzierte zerrissenen Indierock, oft angesiedelt in der Nähe des Low Fidelity, aber mit großer Geste. Glamour im Rinnsal, drollige Pullover, Schmollmund, stets nah dran am Indierock-Klischee.

Heute ist sie am Indieklischee immer noch sehr nah dran – und ein großer Name. Das verdankt sie einerseits beständigem Produzieren und Touren, zum anderen zeichnete sie für die Musik in der so vergnüglichen wie erfolgreichen Netflix-Serie Sex Education verantwortlich, was ihre Bekanntheit entsprechend vergrößert hat. Das war im Jahr 2019, dann kam Corona und bremste, nicht aber ihre Entwicklung. Ezra bekannte sich als Transgenderfrau, wurde Mutter und begann angeblich eine Ausbildung als Rabbi. Das ist viel für einen Teller, aber noch nicht genug.

Furman dokumentierte die Zeit der Veränderung musikalisch, die Zeichen dafür waren schon auf ihren letzten Alben deutlich zu erkennen, mit dem aktuellen, im Frühjahr erschienenen All of Us Flames ist sie nun auf großer Fahrt.

Shabby Chic

Sie verarbeitet darauf Erlebnisse ihres häuslichen Lebens an der Ostküste, in Maine. Schließlich wohnte sie eine Zeitlang mit ihrer neu gegründeten Familie unter einem Dach mit einem Vermieter, dem die Zusammensetzung der Furmans an die Grenze seiner konfessionellen Toleranz ging.

Ezra Furman

Das manifest benannte All of Us Flames spricht aber deutlich aus, dass die Zeit des Versteckens für Furman vorbei ist, zudem bildet es mit seinen beiden Vorläufern den Schlusspunkt einer lose als Trilogie verknüpften Veröffentlichungsserie. Wenig verändert hat sich der Shabby Chic ihrer Musik.

Ihre Songs klingen immer noch alle, als hätte darin schon einmal jemand gewohnt, muten an wie Klamotten, deren Beulen von fremden Knien und Ellbogen stammen. Aber das macht nix. Mit etwas knalligem Lippenstift und eingeübter Grandezza – Flames! –, die natürlich ebenfalls vintage ist, macht sie sich all diese Versatzstücke zu eigen.

Dazu passt ihr stellenweise doch etwas neben der Schönheit zu liegen kommender Gesang, in dem sich die Frauwerdung noch hörbar spießt. Doch das verbucht sie unter Charme. Die Kritik ist hin und weg, dabei ist die Musik reichlich abgegriffen, werden viele Songs deutlich größer verkauft, als sie es eigentlich sind. Aber hey, es ist Entertainment. Nirgendwo werden Schablonen und Illusionen so schamlos verscherbelt wie dort. (Karl Fluch, 7.11.2022)