Das Claudio-Abbado-Konzert im Musikverein bei Wien Modern.

Foto: Wien Modern / Markus Sepperer

Wien – Die sogenannte Durchfahrt des Musikvereins eignet sich hervorragend als schmucke, publikumsverkehrsberuhigte Flaniermeile in Konzertpausen; von Führungskräften des Hauses wurde sie einst auch als büronaher Privatparkplatz benutzt. Als Konzertsaal fand der lange gerade Tunnel bisher kaum Verwendung. Schade eigentlich: Die Akustik dort hat ihre Vorteile.

Das konnte man bei der Aufführung von Georg Friedrich Haas’ Open Spaces II. In memory of James Tenney erfahren – beziehungsweise man konnte es flanierend ergehen. Zwölf streichende und zwei schlagende Mitglieder des Ensemble Resonanz waren in der Durchfahrt und im Parterrefoyer des Musikvereins positioniert und produzierten auf- und abschwellende Wellen en gros (kollektive Crescendi) und en détail (Triller).

Superman des Schlagzeugs

Oben im Großen Saal wurde das Claudio-Abbado-Konzert von Wien Modern dann mit einer Miniatur für Streichquartett von Mark André fortgesetzt: eine filigrane Ode an die Flüchtigkeit. Dann Isabel Mundrys Signaturen – nach Angaben der deutschen Komponistin Gesten, die sich linear entfalten und ins Offene bewegen, jedoch eingefügt in eine konstruierte Form. Zwei Klaviere, zwei Streichergruppen und ein Schlagwerk erschufen unter der Leitung von Enno Poppe prägnante, originelle Klangereignisse. Auch bei seinem eigenen Werk, Wald, fungierte der 52-Jährige als kundiger, fesselnder Ensembleleiter, der die akustischen Geschehnisse anschaulich, hochpräzise und energetisch darzustellen wusste.

In Wald hat Poppe ein Streichquartett vervierfacht und so das Diskurspop-Ensemble eines versunkenen Bürgertums zum vielzüngigen, feinnervigen und stimmungsstarken Erzeuger von Erregungslandschaften ausgebaut. Auch unglaublich gut: Milica Djordjevićs Jadarit für Schlagzeug und Streichorchester fesselte mit einer hohen Materialdichte, starker Innenspannung und prägnanter Außenwirkung. Ein Superman des Schlagzeugs: Dirk Rothbrust. Jubel im sonnendurchfluteten Saal für zeitgenössische Musik der Extraklasse. (Stefan Ender, 7.11.2022)