In einer dramatischen Rede warnte US-Präsident Joe Biden am Samstag in Philadelphia davor, dass bei den Zwischenwahlen am 8. November die Demokratie an sich auf dem Spiel steht. Ähnliche Warnungen gab es in den letzten Tagen auch von Ex-Präsident Barack Obama. Die Berichte der internationalen Medien bestätigen, dass die "große Lüge" Donald Trumps von der "gestohlenen" Präsidentenwahl zur Parteilinie der Republikaner geworden ist. Mehr als die Hälfte der republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten haben sich zu Trumps Lüge bekannt, und eine deutliche Mehrheit der republikanischen Wählerinnen und Wähler lehnt Biden als illegitimen Präsidenten ab.

US-Präsident Joe Biden warnt vor einer Untergrabung der Demokratie.
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Es geht zum ersten Mal nicht nur um die Wahl von 435 Abgeordneten, 35 (von 100) Senatoren und Gouverneuren von 36 Bundesstaaten, sondern um die Wahlen selbst. Die Republikaner wollen nämlich die Bedingungen verändern, unter denen gewählt wird, wie die Stimmen gezählt werden und wer über das Ergebnis entscheidet. Das Ziel ist, ein unerwünschtes Wahlergebnis besser infrage stellen zu können. Sie wollen das "wahre, weiß-christliche Amerika" gegen "unamerikanische radikale linke Kräfte" durch die Änderung der Wahlgesetze vornehmlich in den republikanisch geführten Einzelstaaten verteidigen. Da spielen auch die gewählten Wahlleiter in jedem Bundesstaat, die als "Staatssekretäre" das Ergebnis bestätigen müssen, eine Schlüsselrolle. In Arizona zum Beispiel ist der republikanische Kandidat für diesen Posten ein Anhänger der "großen Lüge" über die gestohlene Präsidentenwahl im Jahr 2020. Auch die Gouverneurskandidatin Kari Lake lehnt Biden als Präsidenten ab und akzeptiert das Ergebnis der Gouverneurswahl in Arizona nur dann, wenn sie selbst gewählt wird.

Trumps Wiederkandidatur

Wenn die Zwischenwahlen zu einer republikanischen Mehrheit des Kongresses und möglicherweise sogar des Senats führen, dann könnte Trump seine Wiederkandidatur schon im November ankündigen. Wenn auch die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung durch das überwiegend konservative Oberste Gericht die Wahlchancen der Demokraten etwas verbessert hat, bleiben trotzdem die Inflation, vor allem die hohen Benzinpreise und die Kriminalität laut den letzten Umfragen die wahlentscheidenden Faktoren. Darüber hinaus ist Biden trotz wichtiger Weichenstellungen in der Gesundheits-, Sozial- und Klimapolitik unpopulär; 58 Prozent der Befragten sind unzufrieden mit seiner Arbeit.

Nach einer Niederlage der Biden-Regierung könnte sich auch die Haltung der USA im Ukraine-Krieg ändern. Bisher wurden die 65 Milliarden Dollar an Krediten für die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine zwar von beiden Parteien gestützt. Der potenzielle neue Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, kündigte jedoch an, bei einem Sieg den Ukrainern keine "Blankoschecks" mehr auszustellen. Auch 30 linke Demokraten im Kongress hatten in einem inzwischen zurückgezogenen Brief an Biden die massive Militärhilfe für die Ukraine infrage gestellt. Ungeklärt ist noch die Haltung Trumps, dessen Bewunderung für Wladimir Putin seine widersprüchliche Außenpolitik überschattet hat. (Paul Lendvai, 7.11.2022)