Mitte Oktober in Wien: Ein Fotograf wird bei der Räumung der Gegendemo zum rechtskonservativem "Marsch fürs Leben" abgeführt. Trotz Presseausweis wird er ohne Angabe von Gründen beamtshandelt.

Foto: Presseservice Wien

Österreich fällt seit Jahren im weltweiten Pressefreiheitsindex, für den die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) jährlich 180 Staaten und Territorien vergleicht, weiter nach hinten. Nicht nur fehlende Gesetze zum Absichern von Informationsfreiheit und Transparenz sorgen für das schlechte Abschneiden. Ein massiver Abfall kam zusätzlich mit dem Aufkommen der Corona-Demos.

Während durch jüngst veröffentlichte Chats von Chefredakteuren mit Politkern die gesamte Medienbranche in ein schiefes Licht gerät, machen nämlich andere Woche für Woche den Knochenjob der Demoberichterstattung. Nicht wenige werden dabei ständig an ihrer Arbeit behindert. Einerseits von Demonstrierenden, aber auch von der Polizei.

Knochenjob

"Ich habe im Frühjahr 2021 die ersten größeren Angriffe auf uns miterlebt", erzählt Fotoreporter Lorenzo Vincentini dem STANDARD, "eine Pfeffersprayattacke am Ring aus dem Umfeld einer rechtsextremen Gruppe. Außerdem wurden Kollegen geschlagen und getreten und sie hat uns bis zur Mariahilfer Straße verfolgt". Die Polizei habe nicht eingegriffen.

Vincentini berichtet seit fünf Jahren von politischen Veranstaltungen auf der Straße. Zu seinen Kunden zählt etwa der Spiegel. Der Fotograf hat in Eisenstadt einen Securitymann des bekannten Neonazis Gottfried Küssel fotografiert. Durch dieses Foto wurde im Bundespräsidentenwahlkampf publik, dass derselbe Mann auch an der Seite des FPÖ-Kandidaten Walter Rosenkranz sozusagen nach dem rechten sah.

"Wir machen die Grundlagenarbeit", sagt Vincentini, "wir besorgen den Rohstoff". Einen Rohstoff, mit dem auch große Medien im Land Einordnungen darüber anstellen, welche ideologischen Strömungen etwa auf Demos den Ton angeben. Doch die Polizei "sieht uns als Störenfriede", glaubt Vincentini.

Von Rechtsextremen nach Hause verfolgt

Er sei von Rechtsextremen nach Demos schon bis nach Hause verfolgt und in der U-Bahn verprügelt worden. Ein Prozess gegen die Angreifer findet in wenigen Tagen statt. Doch oft war es auch Vincentini der, der angezeigt wurde. Denn während immer wieder tausende sogenannte Maßnahmenkritiker und Impfgegnerinnen auch bei damals gültiger Maskenpflicht relativ unbehindert ohne Maske demonstrieren konnten, bekam der Fotograf eine Anzeige, als er zum Rauchen kurz die Maske abgenommen habe, erzählt er.

Besonders willkürlich wirkt das, wenn man an den Fall des Teams um den Journalisten Michael Bonvalot denkt. Dessen Mitglieder wurden von der Polizei angezeigt, weil man während einer Demo am gesperrten Ring in Wien den Gehsteig nicht verwendet hatte – DER STANDARD berichtete. In der Anzeige fand sich sogar der Hinweis, dass sie gegen das Anti-Gesichtsverhüllungs-Gesetz verstoßen hätten, weil sie FFP2-Masken trugen. Auf derselben Demo marschierten unbehelligt Rechtsextreme, die ihr ihre Gesichter mit Schals vermummt hatten. Bonvalot hat seit 2020 mindestens acht Maßnahmenbeschwerden gegen die Polizei eingebracht und schon fast alle gewonnen.

Zum Fall der "Gehsteig-Anzeige" gegen Bonvalot, seine Security-Leute und eine Fotografin liegt eine parlamentarische Anfrage der Grünen bei Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), die aber noch nicht beantwortet wurde.

Kollege Vincentini vermutet, dass die Polizei "nicht will, dass wir ihnen bei der Arbeit zuschauen." Doch genau diese Kontrollfunktion ist ureigenste Aufgabe von Medien. "Bei Coronademos herrscht eine ganz große Pressefeindlichkeit", sagt auch Samuel Winter, der aus Sicherheitsgründen nicht unter seinem bürgerlichen Namen arbeitet. Winter, ein freier Mitarbeiter des ORF, lieferte auch Puls 4, dem STANDARD, der Presse und dem WDR zu. "Wir wurden mit Bier angeschüttet, Eisbrocken beworfen, auf selbst gebastelten Schilder wurden Fotografen geoutet, wir werden geschupft, angehustet und angespuckt", sagt Winter, ohne Sicherheitsmaßnahmen geht nichts mehr.

"Echte" Journalisten

Aber auch bei anderen Demos aus dem rechten Lager, wie zuletzt dem fundamentalistisch-christlichen Marsch fürs Leben, wurden Fotografen an der Arbeit gehindert – von der Polizei. Dabei hört man in Polizeikreisen oft, wie Freien trotz gültiger Presseausweise abgesprochen wird, überhaupt "echte Journalisten" zu sein. "Echte" Journalisten.

Seit Jahren rasselt Österreich im Ranking der Pressefreiheit international nach unten.
Foto: Der Standard/APA

Entscheidet in Österreich die Polizei, wer Journalist ist? "Aber wirklich nicht", beantwortet das der Jurist Walter Strobl, der den Rechtsdienst Journalismus der Concordia, der Vereinigung österreichischer Journalistinnen und Journalisten, leitet. "Es gibt dazu die klare Rechtsprechung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, daran gibt es nichts zu diskutieren", betont Strobl, "aber das Bewusstsein ist noch nicht überall angekommen, dass auch ein Blogger, wenn er eine journalistische Aufgabe wahrnimmt, ein Journalist ist".

Daniela Kraus, Generalsekretärin der Concordia, weist im gemeinsamen Gespräch mit dem STANDARD, auf die "harte Währung", die Presseausweise der Gewerkschaft, des Verbandes Österreichischer Zeitungen oder der Concordia hin: "Wenn die Polizei Probleme hat zu erkennen, wer journalistisch arbeitet, könnte sie ja auch einmal bei uns nachfragen", schlägt Kraus vor.

Vor einigen Tagen hat das Außenministerium in Wien eine wichtige internationale Konferenz zur Sicherheit von Journalisten veranstaltet. "Ich halte es für extrem wichtig, dass hier ein Schwerpunkt gesetzt wird – bloß sollte sich der auch national niederschlagen", sagt Kraus.

Öffentliches Interesse

Doch Berichterstattungsfreiheit bestehe natürlich auch ohne Presseausweis, der nur den Nachweis erleichtert, betont der Jurist Strobl, "letztlich geht es um die konkrete Berichterstattung und ob sie ein öffentliches Interesse und eine Kontrollfunktion erfüllt". Gerade in Zeiten, da sich die politische Debatte immer mehr auf die Straße verlagere, werde Demo-Berichterstattung immer wichtiger, sind sich Kraus und Strobl einig.

Und: "Fotografieren ist grundsätzlich erlaubt in der Öffentlichkeit, erst bei der Veröffentlichung könnten Persönlichkeitsrechte verletzt werden."

Doch etwa Vincentini wurde von identitären Gruppen im Sommer mit ausgespannten Schirmen die Sicht verstellt – er gewann erst kürzlich eine gerichtliche Auseinandersetzung darüber. "Der Sinn einer Demonstration ist es doch, Öffentlichkeit herzustellen. Normalerweise müsste man als Veranstalter über jede Berichterstattung froh sein", wundert sich Kraus. Wenn amtsbekannte Nazis mitmarschieren aber vielleicht eben nicht. Doch das ist nicht das Problem der Medienleute vor Ort. Es wird aber zu ihrem gemacht.

Karner und Raab

"Man kann nicht erwarten, dass jeder einzelne Polizist auf der Straße ein Verfassungsexperte ist", räumt Strobl ein, "aber die Beamten gehören vorbereitet". Der Rechtsdienst der Concordia ist auch für Nicht-Mitglieder "offen und gratis". "Das Demonstrationsrecht muss gewährleistet werden, die sorgfältige Berichterstattung über politische Entwicklungen aber ebenfalls", sagt auch RoG-Präsident Fritz Hausjell, der an die Verantwortung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) appelliert. Es könne nicht angehen, "dass Journalisten eigene Securitys mitnehmen müssen, um einigermaßen ungehindert berichten zu können", so der Medienhistoriker.

RoG erwägt eine Anfrage an die Landespolizeidirektion Wien dahingehend, ob man die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten derzeit überhaupt noch gewährleistet werden kann. Auch Journalist Michael Bonvalot wundert sich, wie "wenige Einsatzkräfte die Polizeiführung teils bei den diesen rechten Aufmärschen einsetzt. Manchmal könnte die Polizei vor Ort dann gar keinen Schutz mehr gewährleisten, selbst, wenn sie das wollte". (Colette M. Schmidt, 7.11.2022)