Und plötzlich ist Stillstand, nichts fährt mehr. Drei junge Menschen setzen sich am Montagmorgen mitten in der Rushhour auf den Zebrastreifen auf dem üblicherweise extrem befahrenen Joanneumring in der Grazer Innenstadt. Sie entrollen ein Banner, auf dem sie eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 100 km/h fordern. Auch ein Name steht darauf: Letzte Generation.

In Graz blockierten Mitglieder der Letzten Generation eine zentrale Straße.
Foto: Alexander Danner

Aber das interessiert im Moment kaum jemanden. Zu groß ist der Ärger über den morgendlichen Stau, der den Großteil der City lahmlegt. Einen Autofahrer aus dem Grazer Umland packt der Zorn, er bleibt nur wenige Zentimeter vor den Demonstrierenden stehen. Auch der Linienbus fährt auf Tuchfühlung vor. Empörung, hupen, Schreie. Auch Passanten am Straßenrand fühlen sich betroffen und solidarisch mit den im Stau Stehenden. "Das ist eine Frechheit, man derf es ja net sagen, aber die gehören weg", bricht es aus einer älteren Dame hervor.

Ein Mann kämpft sich mit wutrotem Kopf vor: "Ihr Volldeppen, Trotteln blede", verschafft sich der businessmäßig modisch Gekleidete Luft. Und von "niederführen" ist da noch die laute Rede. Ein alter, weißhaariger Mann auf dem Rad fährt vorbei, hebt den erhobenen Daumen und ruft den zahlreich Umstehenden, die gebannt auf die drei Sitzenden blicken, lachend zu: "Hey, I bin a dafür."

Sie verursachen Stau.
Foto: Alexander Danner

Die drei der Letzten Generation, zwei junge Männer, eine junge Frau, nehmen die Beschimpfungen ruhig hin. Sie kennen mittlerweile das ganze Spektrum an Aggressionen, die sie mit diesen Verkehrsblockaden in den Städten auslösen.

Mit der Aktion in Graz hat die Letzte Generation diese Form von Protest jedenfalls erstmals in die Bundesländer getragen. In Wien hatte man sie zuletzt nahezu jeden Montagmorgen gesehen: Woche um Woche klebten sich Aktivistinnen und Aktivisten in der Bundeshauptstadt auf eine Straße, um in zentraler Lage den Verkehr zu blockieren. Damit wird in Wien vorerst für einige Zeit Schluss sein. Bis Anfang Jänner will die Letzte Generation in den Bundesländern Fuß fassen, wie zwei ihrer Gründungsmitglieder, Martha Krumpeck und David Sonnenbaum, kürzlich ankündigten. Nicht nur in Graz, auch in Linz und Innsbruck "stehen die Gruppen schon in den Startlöchern", sagt Krumpeck. In den anderen Bundesländern "hoffen wir noch auf weitere Unterstützung".

Kleben und Werfen im Museum

Die jüngste Klebeaktion in Graz war die insgesamt 24. dieser Art. Sie haben der Umweltbewegung gehörige Aufmerksamkeit verschafft. Nicht nur in Österreich, weltweit greifen Gruppierungen, die sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel einsetzen, vermehrt zum Mittel des zivilen Ungehorsams.

Sie sorgen für Ärger.
Foto: Alexander Danner

Sie kleben sich auf die Straße oder neben Kunstwerke, blockieren Autobahnausfahrten und Landebahnen auf Flughäfen, bewerfen Gemälde mit Suppe, Öl oder Farbe – beziehungsweise genau genommen immer nur das Sicherheitsglas davor. "Wir wollen keinen Schaden anrichten", erklärt Krumpeck. Überhaupt sei diese Form des Widerstandes "das letzte Mittel". Es sei nicht angenehm, "sich bei jedem Wetter an die Straße zu kleben", führt die hagere, großgewachsene 30-Jährige aus. Es tue ihnen auch leid, dass die Menschen in ihren Autos warten müssten, es mache auch keinen Spaß, sich der Wut zu stellen. Allerdings, so formuliert es Krumpeck, sei die Klimakrise inzwischen "ein absoluter Notfall", und der verlange eben nach extremen Mitteln.

Krumpeck ist das wohl bekannteste Mitglied der Letzten Generation. Erst kürzlich saß sie nach einer Straßenblockade eine Freiheitsstrafe ab, nachdem sie nach dem Versammlungsgesetz und nach der Straßenverkehrsordnung angezeigt worden war. Bekannt ist die Molekularbiologin außerdem für ihren 44 Tage und Nächte anhaltenden Hungerstreik vor der Wiener SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße. Demonstrieren zu gehen, Petitionen zu unterschreiben, mit politisch Verantwortlichen zu sprechen, all das habe bisher nicht gefruchtet. Deshalb "müssen wir so lästig und nervig sein mit unseren Aktionen".

Krumpeck sagt, ihre Generation sei die erste, die den beginnenden Klimakollaps spüre, und gleichzeitig sei sie die letzte, die ihn noch aufhalten könne – was auch den Namen der Bewegung erkläre. Deshalb hätten sie, ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter "nichts mehr zu verlieren". In Berlin ist aktuell eine Diskussion entbrannt über eine mögliche Mitschuld der Aktivistinnen und Aktivisten an einer möglicherweise verzögerten Bergung einer nach einem Unfall verstorbenen Radfahrerin.

Der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, vergleicht die Letzte Generation gar mit der linken Terrorgruppe RAF. Doch so radikal wie ihre Methoden erscheinen, so wenig extrem lesen sich ihre Forderungen.

Und sie erhalten Zuspruch.
Foto: Alexander Danner

In Österreich fordern sie Tempo 100 und dass die Regierung keine neuen Gas- und Ölprojekte mehr in Auftrag gibt. In Deutschland forderten sie Geschwindigkeitsbeschränkungen und leistbare Bahntickets. In Großbritannien und Frankreich traten sie für eine breitangelegte Wohnungssanierung ein – was die Regierungen in Paris und in London kürzlich auch beschlossen haben.

Zuspruch und Hass

Ihren Ursprung nahm die Bewegung in Berlin. Ihr Ableger in Wien ist ein Kind der Proteste, die im August des Vorjahres als Reaktion auf die Bauprojekte Lobautunnel und Stadtstraße entstanden sind. Eine feste Anzahl an Mitgliedern gibt es bei der Letzten Generation nicht, zwei Dutzend gehören zu jenem Kern, der die Aktionen in Wien durchführt. Sie sind mit anderen gleichgesinnten Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion vernetzt. Ihr Symbol ist ein Löwenzahn, der sich durch den Asphalt durchgekämpft hat.

In Graz, etliche Meter entfernt vom Stauwirbel und knapp vor Ende der Klimaaktion der Letzten Generation unterhalten sich zwei alte Männer. Der eine ist überzeugt: "Die Wöd steht nimmer lang." Der andere schüttelt zustimmend und ein wenig ratlos den Kopf: "I frog mich jo, wos ist do los mit dera Wöd." Sie verabschieden sich und gehen ihre Wege. (Anna Giulia Fink, Walter Müller, 7.11.2022)