Zumindest eine Wahl ist noch nicht verloren: Bei den Midterms am Dienstag wird die Demokratische Partei mit großer Wahrscheinlichkeit zwar ihre Mehrheit im US-Repräsentantenhaus verlieren, im Senat könnte es aber knapp werden. Derzeit halten Demokraten und Republikaner in der zweiten Kammer jeweils 50 Mandate, wobei die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag gibt. In Pennsylvania und Wisconsin haben die Demokraten nun die Chance, einen Sitz zu gewinnen. In Georgia, Arizona und Nevada könnten sie umgekehrt ein Mandat verlieren.

Bei den Midterms am Dienstag entscheiden sich die Machtverhältnisse im US-Kongress.
Foto: AP Photo/J. Scott Applewhite

Ein Überblick über die wichtigsten Rennen:

Die besten Chancen für einen Erfolg scheinen die Demokraten derzeit in Pennsylvania zu haben, wo sich der bodenständige John Fetterman um einen bislang republikanischen Sitz bewirbt. Laut Umfragen liegt er gleichauf mit seinem Gegenkandidaten Mehmet Oz, einem umstrittenen Fernseharzt, der von Donald Trump unterstützt wird. Fetterman hatte im Mai einen Schlaganfall und leidet noch unter Sprachschwierigkeiten. Beim einzigen TV-Duell der beiden Kandidaten redete er langsamer und versprach sich, während Oz das Tempo hochhielt – allerdings beim Thema Abtreibung uneindeutig blieb: Ihm zufolge müssten Schwangerschaftsabbrüche unter "Frauen, Ärzten und lokalen politischen Führern" ausgemacht werden.

In Pennsylvania tritt Mehmet Oz (rechts) gegen John Fetterman (links) an.
Foto: EPA/Greg Nash

In Wisconsin liegt der republikanische Amtsinhaber Ron Johnson laut Umfragen knapp vorne, hat sich aber mit bizarren Äußerungen zur Corona-Pandemie, Klimawandel und den Präsidentschaftswahlen angreifbar gemacht. Er bewarb Mundspülung gegen das Coronavirus, bezeichnete den Klimawandel als "Blödsinn" und spielte den Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 herunter. Sein Konkurrent, der Demokrat Mandela Barnes, wird von den Linken Bernie Sanders und Elizabeth Warren unterstützt und wäre der erste schwarze Vertreter von Wisconsin im Senat.

Wie schon vor zwei Jahren stehen die Dinge in Georgia erneut Spitz auf Knopf. Der von Trump unterstützte Ex-Footballstar Herschel Walker will hier den Demokraten Raphael Warnock aus dem Amt jagen. Allerdings machte der rigide Abtreibungsgegner Walker zuletzt Schlagzeilen, weil er Ex-Freundinnen zu Abtreibungen gedrängt haben soll. Warnock war 2020 der erste Schwarze, den die Wähler Georgias in den US-Senat delegierten – in einem Bundesstaat, der bis in die 1960er-Jahre hinein offiziell (inoffiziell noch viel länger) im Zeichen der Rassentrennung stand. Diesmal schreibt Georgia erneut Geschichte: Denn zum ersten Mal sind es zwei Afroamerikaner, die sich dort um ein Senatsmandat in Washington duellieren. Verfehlen beide die absolute Mehrheit, gibt es eine Stichwahl am 6. Dezember.

In Georgia kämpfen Herschel Walker (rechts) und Raphael Warnock (links) um den Senatssitz.
Foto: AP

Ein Nervenkrimi wird auch in Arizona erwartet: Mit gerade einmal 11.000 Stimmen Vorsprung hat hier vor zwei Jahren Joe Biden über Donald Trump gesiegt. Bei der Senatswahl liegt der Demokrat und Ex-Astronaut Mark Kelly derzeit ganz knapp vor Wahlleugner Blake Masters. Der 58-jährige Kelly versuchte sich immer wieder von Präsident Joe Biden und seinen eher bescheidenen Beliebtheitswerten abzugrenzen, etwa mit Gegenmeinungen zum Thema Migration. Kellys konservativer Kontrahent Blake Masters ist ein Protegé Peter Thiels, des Hightech-Milliardärs, der heute zu den Großspendern der Republikanischen Partei zählt und in dessen Unternehmen Thiel Capital Sebastian Kurz nach seiner Zeit als Bundeskanzler einstieg.

Video: Trump vor Midterms: "Kommunisten an den Wahlurnen zerstören"
DER STANDARD

Eine ähnliche Figur wie Masters tritt für die Republikaner auch in Ohio an. Der 38-jährige J. D. Vance ist ebenfalls Tech-Investor, konservativ und Vertrauter von Thiel. Er ist auch Autor von "Hillbilly Elegy", in dem er das Leben der oft als Hinterwäldler verspotteten Bewohner der Appalachen beschrieb. Das Buch machte ihn berühmt, er wurde zu Talkshows eingeladen, und was er dort sagte, war oft mit prägnanter Kritik an Trump verbunden, den er als "moralisch verwerflich" charakterisierte. Als Vance selbst in die Politik strebte, ließ er einen Kniefall vor Trump folgen, der ihn im Gegenzug in Ohio zur Wahl empfahl. Vances Kontrahent ist der ehemalige Footballspieler Tim Ryan. Er will beweisen, dass ein Demokrat im Rust Belt keineswegs auf verlorenem Posten steht, sofern er den richtigen Ton trifft.

In Ohio stehen Tim Ryan (links) und J. D. Vance (rechts) zur Wahl.
Foto: AP Photo/Paul Vernon

Die größte Gefahr dürfte den Demokraten in Nevada drohen. Dort scheint Catherine Cortez Masto, die erste Frau mit hispanischen Wurzeln im Senat, ausgerechnet die Unterstützung der wichtigen Latino-Wähler zu verlieren. Grund ist der Frust über die Corona-Politik, die den Tourismus in Las Vegas zeitweise hart traf und Jobs kostete. Darauf setzt der Republikaner Adam Laxalt, der derzeit in den Umfragen vorne liegt.

Noch vor Wochen waren die Demoskopen überzeugt, dass die Demokratin Maggie Hassan ihren Senatssitz in New Hampshire problemlos verteidigen würde, mit klarem Vorsprung gegenüber ihrem Herausforderer Don Bolduc. Das hat sich geändert. Nach dem Durchschnitt mehrerer Umfragen, wie ihn die Website Real Clear Politics ermittelt, liegt sie nur noch einen Prozentpunkt vor dem Republikaner. Bolduc, der es beim Militär bis zum Brigadegeneral brachte, gehörte im Mai 2021 zu einer Gruppe von Armeeveteranen, die in einem offenen Brief Donald Trumps Behauptung von der gestohlenen Wahl des Jahres 2020 wiederholte. Ein Super-PAC der Demokraten, ein Komitee zur Verteilung von Spenden, gab über drei Millionen Dollar für Wahlwerbung aus, um Bolduc während der Primaries seiner Partei zu unterstützen. Das Kalkül: Ein moderaterer Kandidat sollte ausgebremst werden, weil man in ihm einen schwereren Gegner für Hassan sah.

In New Hampshire tritt Maggie Hassan gegen Don Bolduc an.
Foto: AP/Mary Schwalm

Bei den Rennen um das Amt der Gouverneurin oder des Gouverneurs stehen "Fivethirtyeight" zufolge knappe Wahlen in Nevada, Oregon und Wisconsin bevor. Leicht voran lag in Arizona noch Rechts-außen-Kandidatin Kari Lake. Die von Donald Trump unterstützte Republikanerin führte in der Corona-Krise Proteste gegen Vorgaben zum Tragen von Masken an und warf den Demokraten eine "dämonische Agenda" vor. Als TV-Moderatorin war sie einst beim liberalen Sender NBC tätig, nun lässt sie sich gern als "Donald Trump im Kleid" bezeichnen. Ihre Konkurrentin Katie Hobbs war in der Regierung Arizonas für die von Trump und seinen Anhängern angefochtene Auszählung der Stimmen bei der Präsidentenwahl 2020 zuständig.

Die von Donald Trump unterstützt Kari Lake will Gouverneurin in Arizona werden.
Foto: APA/AFP/ROBYN BECK

In Michigan stellt sich die Demokratin Gretchen Whitmer erneut zur Wahl. Gegen sie tritt die 45-jährige Tudor Dixon an, die von Trump unterstützt wird und dessen Positionen teilt. Die Republikaner werfen Whitmer unter anderem vor, mit Corona-Maßnahmen der Wirtschaft geschadet zu haben. Am Dienstag wird in Michigan zudem über einen Verfassungszusatz zum Schutz der Abtreibungsrechte abgestimmt – die Demokratische Partei hofft, dadurch mehr Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, die auch gleich bei Whitmer ihr Kreuz machen.

In Georgia lag zuletzt Amtsinhaber Brian Kemp in Führung, der – wie bereits 2018 – gegen die demokratische Wahlrechtsaktivistin Stacey Abrams antritt. Sie wäre die erste schwarze Gouverneurin in der Geschichte der USA. Kemp profitierte in den Umfragen aber zuletzt von der stabilen Wirtschaftslage in dem Bundesstaat. (Karl Doemens aus Washington, Frank Herrmann, Noura Maan, 8.11.2022)