Zehn Zentimeter länger: links die Männerhosentasche, rechts jene des Mom-Jeans-Modells.
Foto: Lukas Friesenbichler

Es ist bereits Routine. Sehe ich in einem Shop eine Jeans an einem Bügel hängen, schiebe ich die Hände in ihre Hosentaschen. Aus Recherchegründen natürlich. Meist muss ich sie zur Faust ballen, um sie überhaupt in den baumwollenen Beuteln versenken zu können. Manche Taschen enttarne ich auch als Fake: Hoseneingriffe entpuppen sich als ein Stilelement ohne Funktion.

Überrascht bin ich nicht, ich kenne das schon. Die meisten Hosentaschen in meinem Kleiderkasten, von der lose geschnittenen Mom-Jeans bis zur Baggy, sind unpraktisch. Man könnte sie auch als Problemzonen bezeichnen. Einen Schlüsselbund und ein Tampon schlucken sie zwar ohne weiteres, mit meinem Handy aber sind sie überfordert: Es ragt etliche Zentimeter aus den Jeans hervor, dabei ist es wesentlich kleiner als die gigantischen neuen Smartphones. Das iPhone 14, fast 15 Zentimeter lang, würde wahrscheinlich kopfüber aus den Taschen kippen. Doch sind die mickrigen Hosenbeutel in meinem Kleiderschrank ein Einzelfall?

Fake-Taschen und Kühlschränke

Alles andere als das, im Netz werden die ungleich bemessenen Hosentaschen schon seit einiger Zeit diskutiert. "Put some real fucking pockets on my pants", forderte die amerikanische Youtuberin "Hollishillis" in einem eineinhalb Minuten kurzen Video. Das war 2012, vor einem Jahrzehnt. Bis heute ist die Kritik nicht verstummt. Nur findet sie jetzt woanders statt, auf Plattformen wie Tiktok, Instagram oder Twitter. Dort sind Forderungen wie "Give us pockets!" sichtbar gemacht geworden, ein Hashtag lautet #WeWantPockets. Unter ihm schildern unzählige Nutzerinnen ihre Alltagserfahrungen: "Was zur Hölle ist los mit den ‚neuen‘ Hosentaschen in euren Jeans? Nicht einmal ein Autoschlüssel findet in ihnen Platz, ihr habt sie halbiert", klagt eine Twitter-Userin den Denimhersteller Levi’s vor einigen Monaten an. Auf dem Account @LustigeTweets! erntete der Sager "Ich hasse es, dass Frauen-Hosen meistens Fake-Taschen haben, während in Männer-Hosentaschen zwei Kühlschränke und das ganze Rewe-Sortiment passt" hunderte Likes.

Je häufiger ich im Alltag die kleinen Hosentaschen thematisiere, desto offener schildern Kolleginnen ähnliche Beobachtungen. Eine von ihnen schwört auf Jeans des nachhaltigen Labels Armedangels, sie misst nun einfach mal nach: Ihre Eingriffstaschen sind mit sieben bis zehn Zentimeter Tiefe durchschnittlich halb so lang wie die der Esprit-Jeans ihres Freundes – trotz vergleichbarer Körper- und Kleidergröße. Die Konsequenz: Sie transportiert ihr Smartphone an einer Handykette, er seines selbstverständlich in der Hose. Eine andere Kollegin trägt hautenge Skinnies von H&M, deren Eingriffstaschen eine einzige Illusion sind: Sie sind einfach nur aufgenäht.

In diese Jeans, die als Frauenmodell gilt, passt im Gegensatz zum männlichen Gegenstück kein Smartphone.
Foto: Lukas Friesenbichler

Warum ist das so? Anruf bei der Modehistorikerin Gundula Wolter. Die Deutsche muss es wissen, sie hat sich bereits Mitte der 1990er- Jahre mit der Kulturgeschichte der Frauenhose auseinandergesetzt. Ausschlaggebend für den Umgang mit den Gewandtaschen seien die modische Silhouette und der Stoff eines Kleidungsstücks, erklärt sie: "Ihre Größe richtet sich danach, wie eng anliegend und transparent das Kleidungsstück ist." Überzeugt bin ich noch nicht. Wäre in meiner luftigen Mom-Jeans nicht ausreichend Platz für größere Taschen?

Vermessung der Taschen

Die US-amerikanischen Journalistinnen Amber Thomas und Jan Diehm haben ähnliche Beobachtungen gemacht und die gefühlte Ungleichheit der Taschen systematisch untersucht. 2018 analysierten sie für das digitale Datenportal The Pudding 80 Hosenpaare der 20 populärsten Jeansmarken der USA, von Gap, H&M, 7 for all Mankind, Levi’s bis Wrangler: Sie maßen die Taschen von Frauen- und Männerhosen in vergleichbarer Größe, steckten Stifte, Smartphones, Frauen- und Männerhände in die baumwollenen Hosensäcke. Das Ergebnis der Auswertung ist für alle, die in den "Damen"abteilungen einkaufen, frustrierend: Die meisten Hosentaschen für Frauen waren absurd klein. In Zahlen heißt das: Sie waren durchschnittlich um 48 Prozent kürzer und 6,5 Prozent enger geschnitten. Nur 40 Prozent der Frauentaschen fassten damals ein iPhone X, bei den Hosen aus den Männerabteilungen verschwand dasselbe Smartphone in allen Taschen. Und nur zehn Prozent hatten genügend Platz für eine Frauenhand, wohingegen alle Männerjeans eine Männerhand verschluckten.

Die Auswertung schlug Wellen, seither ist kaum ein einschlägiger Artikel zu dem Thema erschienen, der um die Rechercheergebnisse der beiden US-Amerikanerinnen herumkommt. Aber haben auch die untersuchten Großunternehmen reagiert, frage ich mich. Ich kontaktiere Jan Diehm. Fehlanzeige, lautet ihre Antwort, von den involvierten Marken habe man nie etwas gehört.

Historischer Hintergrund

Das Desinteresse der großen Textilkonzerne verwundert nicht. Funktionslose oder nicht vorhandene Gewandtaschen haben in der Frauenmode Tradition. Während Männer bereits in der Renaissance weite Pluderhosen mit Schlitzen trugen, um deren Futterhosen als Gewandtaschen zu benutzten, sei es bei den Frauen mit den Taschen erst hundert Jahre später mit den steifen Unterröcken, die in den Reifrock übergingen, losgegangen, erklärt Gundula Wolter. Frauen trugen lange Beutel um die Hüften – unter ihren Röcken.

Diese Hose wurde in einer Männerabteilung gekauft.
Foto: Lukas Friesenbichler

Die Frauenhose wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts ein Thema. "In der Sport-, Funktions- und Arbeitskleidung setzt die Akzeptanz der Frauenhose in den 1920er-Jahren ein", erklärt die Modehistorikerin. Damals habe es beispielsweise Gärtnerinnenhosen mit großen aufgesetzten Taschen, in die Schere und Schaufel hineinpassten, gegeben. In der Skibekleidung stopfte man Schlüssel und Handschuhe in Reißverschlusstaschen. Doch selbst Jahrzehnte später wurden Männer- und Frauentaschen in der Modeindustrie ungleich behandelt. "Männer haben Taschen, um Dinge darin aufzubewahren, Frauen zur Dekoration." Das Zitat des französischen Designers Christian Dior aus dem Jahre 1954 mag überholt klingen, erledigt hat es sich bis heute nicht.

Selbst die Modehistorikerin klingt einigermaßen resigniert: "Wenn man als Frau nicht auf Baggy- oder Cargohosen umstellt, muss man sich, um Wagenpapiere, Schlüssel, Handy mitzuführen, wohl oder übel eine Handtasche zulegen." Das sei, seufzt sie, schließlich ganz im Sinne der Luxusmodeindustrie: Es gelte, den lukrativen Taschenmarkt aufrechtzuerhalten. Tatsächlich wurden allein im vergangenen Jahr in den USA 13 Milliarden Dollar Umsatz mit Handtaschen gemacht.

Sparen, sparen, sparen

Auch Fast Fashion hat die praktikablen Hosentaschen möglicherweise mit auf dem Gewissen. Bei Konzernen wie Inditex oder Primark ist es üblich, Produktionskosten zu sparen. Wenn nicht auf Knöpfe, Knopfleisten, Gürtelschlaufen oder Reißverschlüsse verzichtet wird, müssen die Hosentaschen dran glauben.

Trendgetriebene Mode, die sich allen Genderdebatten zum Trotz noch immer in erster Linie an eine weibliche Zielgruppe richtet, soll visuell ansprechen: heute Baggy-Pants, in drei Monaten ein Bootcut-Modell, die Kauflaune der Konsumentinnen wird auf den Social-Media-Kanälen permanent stimuliert. Praktische Designlösungen für die Ewigkeit sind irrelevant. Ein weiterer Grund, auf Taschen zu verzichten: Für günstigere Kleidungsstücke werden dünnere Stoffe verwendet. Bevor die Hosentaschen sich unschön auf den Oberschenkeln abzeichnen, wird lieber auf sie verzichtet. Außerdem, erklärte die New Yorker Designerin Emily Keller schon vor vier Jahren auf Youtube, würden Jeanshosen für Frauen oft mit Lycra dehnbar gemacht, deshalb leierten die Taschen schneller aus, auch das ein unschöner Nebeneffekt.

Seit Jahren versprechen diverse Textilhersteller größere Taschen.

Große Versprechen, kleine Taschen

Und dann wären da noch die Handys. 2007 zauberte Steve Jobs das erste iPhone vollkommen selbstverständlich aus der Hosentasche seiner Levi’s. Jahre später überschlugen sich die Jeanshersteller mit Lippenbekenntnissen, die Hosentaschen den immer sperrigeren Handymodellen anzupassen. Marken wie Levi’s oder Lee kündigten vor acht Jahren an, auf das iPhone 6 reagieren zu wollen. Im Großen und Ganzen blieb es bei Versprechungen. Die Entwicklung der Smartphones hat die Hosentaschen für Frauen in den vergangenen 15 Jahren nicht entscheidend größer werden lassen. Stattdessen wurden modische Gags verkauft: 2021 brachte Samsung mit Dr Denim in Australien eine Jeans in den Handel, deren Taschen für das Galaxy Z Flip 3 auf den oberen Oberschenkel ausgelagert wurden. Echte Lösungen für den Alltag sehen anders aus. (Anne Feldkamp, 10.11.2022)