Julia liebt das Stöbern, sich durch die Regale und Kleiderstangen zu wühlen. Sie kauft und verkauft seit über zehn Jahren Kleidung aus zweiter Hand. Sie mag alle ihre Errungenschaften. Auch weil sie Geschichte haben. Konstantin ist ebenso ein Fan der Secondhandmode. Er ist dabei viel auf Flohmärkten, aber immer häufiger auch online unterwegs. Für ihn entscheiden der Preis und die Nachhaltigkeit. "Eine vegane Winterjacke um 25 Euro. Die ist richtig cool", schwärmt er von seinem neuesten Fund. Gebrauchte Kleidung hat ihr Schmuddel-Image längst abgelegt.

Sie erfreut sich großer Beliebtheit bei immer mehr Menschen, vor allem in der nach 1995 geborenen Generation Z. Und das macht sich auch in Zahlen bemerkbar: Der Secondhandmarkt ist einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige innerhalb der Modeindustrie, Studien gehen davon aus, dass der Resale-Markt in den kommenden fünf Jahren um 15 bis 20 Prozent wachsen wird. Das sei auch gut so, findet Nunu Kaller. Sie ist Nachhaltigkeitsexpertin und Autorin mehrerer Bücher über bewusstes Konsumverhalten: "Die Fast-Fashion-Industrie ist schmutzig. Nach der Ölindustrie ist sie der zweitgrößte Klimaverschmutzer der Welt."

Das Geschäft mit den Altkleidern wird immer populärer – und verschiebt sich vom stationären in den Online-Bereich.
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Secondhand als relevanter Faktor

Können Online-Secondhand-Plattformen Abhilfe schaffen, die Modeindustrie nachhaltiger machen? Das komme drauf an, meint Kaller. Denn das Angebot sei vielfältig und wachse ständig. Manche Anbieter würden nachhaltiger als andere agieren. Vinted ist die größte Secondhand-Plattform im Internet. Sie wird von 75 Millionen Menschen genutzt. Auf dem Online-Marktplatz kann aussortierte Kleidung gekauft und verkauft werden, gebührenfrei. Dafür muss von Fotografie bis Verkauf und Versand alles selbst gemacht werden. Daneben gibt es Reseller wie Rebelle oder Vestiaire Collective, die sich auf Luxusmode spezialisiert haben und auch Concierge-Services anbieten.

Kritisch sieht Kaller die Secondhand-Angebote milliardenschwerer Modekonzerne. Diese seien in den letzten Jahren geradezu aus dem Boden geschossen. Zalando launchte 2020 seine Reseller-Plattform Zircle, bei About You heißt dasselbe Konzept Second Love. H&Ms Secondhand-Tochter Sellpy expandierte 2021 nach Österreich. Hinter den Angeboten steckten meist ein rein wirtschaftliches Kalkül und der Versuch, sich ein grünes Image zu erwirtschaften. "Die großen Modefirmen haben Secondhand als relevanten Faktor entdeckt und wollen als Textilproduzent mitmischen. Die Gen Z geht gerade sehr stark Richtung Secondhand, natürlich will man die abholen", erklärt Kaller.

Nachhaltig und individuell

Das Konzept hinter den meisten Online-Shops großer Modefirmen: Kundinnen und Kunden können ihre Kleidung über die Plattform zum Verkauf anbieten oder sie im Rahmen eines Concierge-Services von der Plattform verkaufen lassen. Im Gegenzug zahlen sie eine Gebühr. Klingt einfach und unkompliziert. Einziger Haken: Vom Verkaufspreis bleibt mitunter nicht viel übrig. Verkauft man beispielsweise auf der Plattform Sellpy Schuhe um 100 Euro, bekommt man 54 davon. Den Rest behält sich das Unternehmen ein.

Konstantin nimmt diese Abschläge gern in Kauf: "Ich habe vor Jahren versucht, über Willhaben zu verkaufen. Das war mir dann aber zu viel Stress, weil ich alles selbst organisieren musste." Jetzt verschicke der 27-Jährige aussortierte Kleidung an Sellpy. Davor sei diese oft in der Altkleidertonne oder im Müll gelandet. Für Julia ist der Mehraufwand auf Plattformen wie Willhaben oder Vinted kein Problem. "Vor allem als ich jung war und wenig Taschengeld bekommen habe, war das Geld mein Hauptbeweggrund, um Vinted zu nutzen. Mittlerweile mach ich’s eher aus einem Nachhaltigkeitsgedanken heraus", erzählt die 25-jährige Studentin.

"Kaufen mit gutem Gewissen"

Damit ist sie nicht allein. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit im Konsumverhalten bestärkt den Secondhand-Boom: "Es ist ein Kaufen mit gutem Gewissen. Über den Weg von Secondhand ist man – wenn man ökologisch konsumieren will – nicht an das Thema Verzicht gebunden", sagt Kaller. Weiterer Grund: Die Leute wollen Ballast loswerden, ihre Fehlkäufe zu Geld machen. Zudem würden besonders Millennials und die Gen Z secondhand kaufen, um außergewöhnliche Vintage-Pieces und Einzelstücke zu ergattern. So wollen sie ihre Individualität durch Secondhandmode ausleben.

Der Trend in Richtung nachhaltiger Mode wird sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen – und zunehmend kommerzialisiert werden, glaubt Kaller. Auch wenn sie die Secondhand-Plattformen großer Konzerne kritisch sieht: Sie beklatsche jede Person, die secondhand einkaufe, egal über welche Plattform. Denn das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Um die Modeindustrie langfristig nachhaltig zu gestalten, wird es allerdings mehr brauchen als immer neue Secondhand-Plattformen. Es braucht eine Verlangsamung der gesamten Textilproduktion und die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. (RONDO, Judith Steinkellner, 12.11.2022)