Arbeitszeitverkürzungen helfen gegen den Fachkräftemangel und steigern die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Produktivität – zumindest wenn es nach der Arbeiterkammer geht. Fallbeispiele aus der Praxis zeigen, dass sich weniger Stunden rentieren können. Dazu herrscht an allen Ecken und Enden akuter Fachkräftemangel, die Zahl der offenen Stellen ist am Höchststand. Das obwohl Ende Oktober nur knapp 320.000 Menschen arbeitslos oder in Schulung waren, das ist der niedrigste Wert seit 14 Jahren.

Aber wo sind alle? Immer mehr Menschen haben während oder nach der Corona-Krise das Modell "Teilzeitarbeit" für sich entdeckt. Unternehmen wie die Online-Marketing-Agentur E-Magnetix oder der Linzer Stahlkonzern Voestalpine zeigen, dass (geförderte) reduzierte Arbeitszeit funktionieren kann. Zudem entwickelt sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgebermarkt immer mehr hin zu einem Arbeitnehmermarkt.

Fallbeispiele aus der Praxis zeigen, dass es sich für Unternehmen rentieren kann, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger Stunden arbeiten. Der Teufel steckt aber wie so oft im Detail.
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Für

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten 30 Stunden die Woche. Manche kommen vier Tage, andere teilen die Stunden auf fünf Tage auf. Die Online-Marketing-Agentur E-Magnetix war vor vier Jahren hierzulande unter den Pionieren, was dieses Modell betrifft: Weniger arbeiten bei gleichem Gehalt. Mittlerweile sind vereinzelt andere Betriebe gefolgt. E-Magnetix-Chef Klaus Hochreiter hat es eingeführt, weil sich zu wenige Leute für die ausgeschriebenen Stellen interessierten. Da half es auch nicht, dass man über dem Branchenschnitt zahlte. Heute mangelt es nicht an Bewerbungen, sagt Hochreiter bei einem Pressegespräch mit der Arbeiterkammer, die das Projekt begleitete.

Das Modell von E-Magnetix sei nicht eins zu eins auf andere Branchen zu übertragen, aber es habe gezeigt, dass es eine Möglichkeit sei, mehr Arbeitskräfte anzuziehen, sagt AK-Präsidentin Renate Anderl. Sie spricht wie Hochreiter von einer Win-win-Situation. Auch die Mitarbeitenden dürften das so sehen.

Die Evaluierung habe gezeigt, dass diese motivierter und gesünder in die Arbeit gingen, sagt Anna Arlinghaus vom Arbeitszeitberatungsunternehmen Ximes, das das Projekt evaluierte. Demnach nutzen die Beschäftigten die Zeit für private Angelegenheiten – und sie geben an, mehr zu schlafen und sich privat weiterzubilden. Die AK fordert, dass die geförderte Arbeitszeitverkürzung mit Soli-Prämie, wie sie die Voest nützt, beworben wird, will aber grundsätzlich eine Arbeitszeitverkürzung erreichen.

Für Unternehmen lautet die Frage, ob sich die Wünsche nach weniger Stunden wirtschaftlich rechnen. Ein paar Stunden weniger bei gleichem Lohn können für eine Firma profitabel sein, für eine andere nicht. Immer wieder schaffen es aber Betriebe in die Schlagzeilen, die ohne Einbußen ihre Arbeitszeit verkürzen. E-Magnetix erspare sich durch die geringe Personalfluktuation viel Geld, sagt Hochreiter. Die Produktivität sei in seiner Firma um gut ein Drittel gestiegen. Dazu komme ein bemerkenswerter Effekt: "Bei uns ist der Gender-Pay-Gap null."

Wider

Wenn bei weniger Wochenstunden die Produktivität steigt, wären Unternehmen schlecht beraten, diese Option nicht anzudenken. Braucht es für eine Arbeitszeitverkürzung aber eine gesetzliche Vorschrift? Nein, sagt der Ökonom Dénes Kucsera vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria: "Unternehmen sollen sich mit ihren Mitarbeitern selbst ausmachen, ob eine Vier-Tage-Woche durchgeführt werden kann." Das seien individuelle Entscheidungen.

Dass Arbeitnehmer bei geringerem Arbeitsumfang produktiver werden, belegen einige Beispiele aus der Praxis. Die entscheidende Frage für Unternehmen ist aber, ob dieser Produktivitätsgewinn den höheren Lohnkosten entspricht. Was sich ein finanzstarker Konzern wie die Voestalpine mit geförderter Arbeitszeitverkürzung und Soli-Prämie leisten kann, muss nicht automatisch auch bei kleinen Betrieben funktionieren. Im Handel zum Beispiel beträgt die Umsatzrentabilität laut Wirtschaftskammer zwischen drei und vier Prozent. In der Gastronomie ist es noch weniger. Hier die Arbeitsstunden pauschal zu reduzieren sei kaum leistbar, heißt es in Fachkreisen. Das gilt zu einem gewissen Grad auch für Konzerne im internationalen Wettbewerb.

Dazu kommen die hohen Lohnnebenkosten. "Österreich ist ein Hochsteuerland. Vor allem Arbeit ist so hoch besteuert wie sonst kaum wo im Euroraum", sagt Kucsera. Mehr Personal einzustellen ist demnach eine Maßnahme, die sich viele nicht leisten könnten. Außerdem bedeuten zusätzliche Stellen nicht unbedingt, dass diese auch besetzt werden können, wie das Beispiel Frankreich zeigt.

Als dort die 35-Stunden-Woche eingeführt wurde, erhofften sich Befürworter steigende Beschäftigungszahlen. Die Praxis zeigte jedoch: Es gab beim Jobwachstum kaum einen Unterschied, verglichen zu Regionen ohne gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeitreduktion. In Lohnverhandlungen muss also die Entscheidung her, ob Produktivitätswachstum in mehr Lohn oder weniger Arbeitszeit gehen soll.

(Regina Bruckner, Andreas Danzer, 8.11.2022)