Ulf Kristersson will in Ankara Recep Tayyip Erdoğan für sich gewinnen.

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Alles hängt daran, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Daumen doch noch nach oben dreht: Die Türkei ist nämlich neben Ungarn das einzige Land, das den Beitritt Schwedens zur Nato noch nicht unterstützt. Premierminister Ulf Kristersson reiste deshalb am Dienstag nach Ankara, um Erdoğan für sich zu gewinnen. Es wäre ein erster außenpolitischer Erfolg für den neuen Regierungschef von der Moderaten-Partei.

Doch die Türkei ziert sich und die Frage ist, welchen Preis Schweden für das Ja aus Ankara zu zahlen bereit ist. Denn Erdoğan begründet seine Ablehnung mit der angeblichen schwedischen – und auch finnischen – Unterstützung der syrischen Kurdenmiliz YPG, die Ankara als Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit als Terrororganisation ansieht.

Türkei: Schweden ist "Terror-Brutstätte"

Die Regierungen in Schweden – und auch Finnland – haben deshalb bereits im Juni ein Memorandum unterzeichnet, in dem sie der Türkei ihre "volle Unterstützung" zusichern, sollte deren nationale Sicherheit bedroht sein. Damit einhergehend versprachen die beiden Länder, noch schärfer gegen die PKK vorzugehen und mit der türkischen Justiz besser zusammenzuarbeiten.

Doch der Türkei hat das nicht gereicht. Vergangene Woche bezeichnete Erdoğan Schweden als "Brutstätte für den Terror".

Kurswechsel in Stockholm

Außenminister Tobias Billström beeilte sich im Interview mit Sveriges Radio am Samstag, die Wogen wieder zu glätten. In der alten Regierung noch Migrationsminister, distanzierte er sich in seiner neuen Rolle von der YPG, der kurdischen Miliz in Syrien, und ihrem politischen Arm, der PYD-Partei. Beide sind seit langem Nato- und US-Verbündete im Kampf gegen den IS in Syrien.

Billström bezeichnete die YPG und die PYD als "zweifelhaft" und "problematisch", da sie die Beziehungen Schwedens zur Türkei beschädigen würden. Das wichtigste Thema sei der Nato-Beitritt seines Landes. Es werde deshalb keine humanitäre Hilfe mehr für die kurdische Miliz und ihre Partei geben.

Ankara zeigte sich erfreut, die abgewählten Sozialdemokraten in Schweden sprachen von "Verrat". Und auch die YPG reagierte: Ihr Sprecher in Schweden, Shiyar Ali, will nun, dass die Regierung "ihre IS-Schweden" zurückholt. Kappt Schweden die Unterstützung, sehe man nicht mehr ein, dass man sich im kurdisch kontrollierten Teil Nordsyriens noch um die Inhaftierung von IS-Gefangenen mit schwedischer Staatsbürgerschaft kümmern soll.

Angebliche Terroristen

Doch Erdoğan reicht die Distanzierung aus Stockholm nicht. Im Zusammenhang mit dem Abkommen beim Nato-Gipfel in Madrid hatte Ankara eine lange Liste angeblicher Terroristen eingereicht, die nach Schweden und Finnland geflohen sind und dort teilweise bereits seit Jahren leben. Diese so genannten Terroristen will Erdoğan ausgeliefert haben.

Dabei handelt es sich vor allem um Personen die dem Umfeld der PKK oder der Gülen-Sekte, die für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird, angehören sollen. Der türkische Präsident, der es gewohnt ist, dass die Justiz macht was er erwartet, will nicht akzeptieren, dass auch die neue schwedische Regierung wohl kaum Flüchtlinge ausliefern kann, die längst Asyl oder einen anderen Schutzstatus erhalten haben.

Hinhalten vor der Wahl

Auch wenn ihn die Proteste der schwedischen Zivilgesellschaft kaum kümmern werden, die bereits heftig gegen mögliche Auslieferungen mobil macht, wird es für Kristersson dennoch schwer werden, die "konkreten Schritte" die Erdoğan fordert, nun umzusetzen. Entsprechend wird die Türkei die Skandinavier hinhalten.

Erdoğan hat im kommenden Frühjahr eine Wahl zu bestehen, die für ihn die schwierigste seit seinem Amtsantritt werden dürfte. Die Inflation liegt in der Türkei bei über 100 Prozent, die Menschen kämpfen gegen steigende Preise bei Lebensmitteln und Energie. Entsprechend im Keller sind die Zustimmungswerte für den Präsidenten und seine AKP. Der Kampf gegen die PKK, den Erdoğan nun mit Schweden auskämpft, ist populär und lenkt von der wirtschaftlichen Misere ab. Es spricht alles dafür, ihn noch weiter zu verlängern.

Außerdem ist aus der Sicht der Präsidenten die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland teil eines größeren Paketes, das insbesondere die Nato-Vormacht USA erfüllen soll. Die Türkei fühlt sich von den USA seit längerem schlecht behandelt. Sie wurde aus dem Programm für den Bau-und Erwerb des modernsten Kampfflugzeuges F-35 herausgedrängt und will nun wenigstens eine Modernisierung ihrer F-16 Kampffliegertruppe durchsetzen. Die Zustimmung dafür hängt im US-Kongress und dürfte nach den Midterms in den USA nicht leichter werden. Auch deshalb behält Erdoğan die Zustimmung für Schweden und Finnland noch in der Hinterhand.

Türkei ziert sich

Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass noch vor der offiziellen Pressekonferenz in Ankara der türkische Parlamentspräsident Mustafa Şentop der Nachrichtenagentur AP sagt, dass Schweden noch "einige Schritte vor sich habe", damit die Türkei dem Beitritt zustimme. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, Bianca Blei, 8.11.2022)