Genau hinschauen lohnt sich: In vielen nachhaltigen Fonds finden sich auch Kohle- und Ölunternehmen.

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Mit Aktien konnten die meisten Menschen in Österreich lange nichts anfangen. Das Sparbuch ist immer noch die beliebteste Geldanlage – und das, obwohl die Sparform dank jahrelangem Niedrigzins keine Rendite abwarf. Die Sparbuchzinsen steigen zwar wieder, sie werden aber derzeit von der galoppierenden Inflation aufgefressen.

Viele wagen sich nun also, vielleicht auch notgedrungen, doch an die Börse – und wollen ihr Geld dabei möglichst auch noch Gutes tun lassen. Wer nachhaltig investieren will, kommt um drei Buchstaben nicht herum: ESG. Die Abkürzung steht für Environment, Social and Governance, was so viel heißt wie Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung.

Keine Einbußen bei Rendite

Immer mehr Investmentfonds tragen das Kürzel in ihrem Namen. Sie sollen Unternehmen vereinen, die als besonders nachhaltig gelten. 61 Milliarden Euro waren 2021 in in Österreich aufgelegten ESG-Fonds bereits investiert – ein Plus von 61 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im internationalen Vergleich sind Anlegerinnen und Anleger in Österreich besonders nachhaltig unterwegs.

Die Rendite fällt dabei meist gleich gut oder sogar besser aus als bei konventionellen Fonds. Der Vorteil könnte daher rühren, dass ESG-Unternehmen langfristiger planen, Trends antizipieren und somit stabiler sind, sagt Wolfang Pinner von Raffeisen Capital Management zum STANDARD. Doch ähnlich wichtig wie der Ertrag dürfte vielen Anlegenden auch der Impact sein, den sie mit ihrem Investment schaffen.

Anleger können Kurs beeinflussen

Das angelegte Geld kommt zwar nicht direkt dem Unternehmen zugute, in das investiert wird – schließlich kauft man die Wertpapiere in der Regel einem anderen Investor an der Börse ab. "Aber ich kann als nachhaltiger Investor ein Unternehmen besserstellen, indem ich durch meinen Kauf den Kurs erhöhe", erklärt Pinner. Durch einen guten Börsenkurs gelangen Unternehmen etwa an günstigere Kredite, die eigene Bewertung sei außerdem für Übernahmen relevant, bei denen oft Aktien getauscht werden.

Immer relevanter werde zudem "Engagement and Voting". Dabei beeinflussen Investoren durch ihr Stimmrecht in der Aktionärsversammlung ein Unternehmen aktiv in Richtung Nachhaltigkeit. "Das ist eine doppelte Dividende: gute finanzielle Entwicklung und eine positive Wirkung auf die Gesellschaft", sagt Pinner.

Wildwuchs an Ratings

Doch am ESG-Begriff gibt es auch Kritik. Denn welche Unternehmen als nachhaltig gelten, bestimmen Investmentgesellschaften selbst – oder lassen es durch Analysefirmen bestimmen. Beim Best-in-Class-Ansatz werden etwa in jeder Branche die angeblich nachhaltigsten Unternehmen ausgewählt. Deshalb finden sich in vielen grünen Fonds auch große Öl- oder Fleischkonzerne.

"Da muss ich kein Experte sein, um zu sehen, dass etwas nicht stimmt", sagt Ursula Bittner, Wirtschaftsexpertin bei Greenpeace Österreich. Das wachsende Interesse an nachhaltigen Investments sei zwar erfreulich. "Aber so, wie das derzeit gemacht wird, bringt das nicht viel", sagt Bittner. Laut einer Analyse sind sieben von zehn nachhaltigen Fonds nicht mit dem Pariser Klimaziel vereinbar. Weil Ratingfirmen verschiedene Maßstäbe anlegen, kommen sie bei der Nachhaltigkeitsbewertung zudem oft auf unterschiedliche Ergebnisse.

Ausschluss von Branchen

Das liegt auch daran, dass sie die drei Buchstaben ESG oft unterschiedlich gewichten. Das Elektroauto-Unternehmen Tesla ist aus Perspektive des E, also aus Umweltsicht, wohl ein vergleichsweise nachhaltiges Unternehmen. Trotzdem flog die Aktie im Frühjahr aus einem wichtigen Nachhaltigkeitsindex, da Tesla mit seinem exzentrischen Gründer Elon Musk auf der G-Seite, also führungsethisch, kein Vorbild ist.

Viele Fonds schließen bestimmte Branchen von vornherein aus, neben Öl und Kohle sind es oft auch Atomenergie, Alkohol, Tabak, Glücksspiel oder Waffen, in die nicht investiert werden darf. Doch nicht alle klimabewussten Anlegenden wollen per se auch Brauereien und Wettbüros aus ihrem Portfolio ausschließen. Manche fordern, die Bewertung von Fragen der Umwelt, Sozialem und Führung deshalb stärker zu trennen.

Eine Sicht, mit der Pinner nicht viel anfangen kann. "Das eine kann nicht ohne das andere bestehen", sagt der Fondsexperte. Er nennt das Beispiel Kobalt: Wenn Akkuhersteller dieses unter menschenrechtswidrigen Bedingungen fördern, sei das auch nicht nachhaltig. Auch Bittner von Greenpeace plädiert dafür, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu sehen. Sie wünscht sich gesetzliche, Standardisierte Nachhaltigkeitskriterien sowie Konsequenzen bei Verstößen. "Greenwashing ist kein Kavaliersdelikt", sagt Bittner. (Philip Pramer, 9.11.2022)