So stellt sich Rolls-Royce seinen Minireaktor vor. Der unter dem Dach befindliche Reaktor steht aber wegen der größeren Menge anfallenden Atommülls in der Kritik.
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Atomkraft gerät aufgrund der Klimakrise zunehmend in den Fokus. Die Idee, bei der Energieproduktion den anfallenden gefährlichen Abfall CO2 gegen Atommüll einzutauschen, erscheint vielen verlockend. Zuletzt plädierte sogar die Klimaaktivistin Greta Thunberg für eine kurzfristige Laufzeitverlängerung von deutschen Atomreaktoren, wenn dafür nur die Aktivierung von Kohlekraftwerken ausbliebe.

Länder wie Großbritannien und kürzlich auch Tschechien setzen allerdings auf neue Atomkraftwerke. Dabei soll eine Technologie zum Einsatz kommen, die es eigentlich seit den Fünfzigern gibt: miniaturisierte Kernreaktoren. Sie treiben heute vor allem U-Boote und Flugzeugträger an, sollen aber künftig eine Rolle in der zivilen Energieversorgung spielen. Das Konzept nennt sich Small Modular Reactor, kurz SMR. Damit sind Reaktoren mit einer Leistung unter 300 Megawatt gemeint, wobei immer wieder auch Reaktortypen mit bis zu 500 Megawatt dazugezählt werden. Zum Vergleich: Das Atomkraftwerk Temelín hat eine Leistung von über zwei Gigawatt. Ganz neu ist die Idee nicht, bereits 1964 gab es im US-amerikanischen Minnesota einen kleinen Kernreaktor mit 22 Megawatt Leistung, der dort vier Jahre in Betrieb war, bevor ein Leck im Kühlsystem nicht mehr repariert werden konnte.

Geförderte Rolls-Royce-Reaktoren

Die britische Regierung fördert seit kurzem ein Investitionsprogramm des Turbinenbauers Rolls-Royce mit 405 Millionen Pfund (474 Millionen Euro) zum Bau von SMR. Auch in Frankreich ist eine Milliarde Euro für den Konzern EDF zur Entwicklung von Miniaturreaktoren in Aussicht gestellt, ähnliche Pläne gibt es in den USA und Kanada. Tschechien ist 2020 Kooperationen mit einer Reihe von SMR-Anbietern eingegangen und will den ersten Reaktor dieses Typs in Temelín errichten.

Die Vorteile laut Verfechtern der Technologie: Sie arbeite bei niedrigeren Drücken und sei "passiv" in dem Sinn, dass gewisse Prozesse, etwa die Zirkulation von Kühlwasser, autonom abliefen und daher ein Abschalten leichter möglich sei. Außerdem könnten diese Reaktoren gezielt an Knotenpunkten des Stromnetzes platziert werden und ließen sich leichter hoch- und herunterfahren als große Kernkraftwerke.

Mobile Atomkraft

Ein entscheidendes Argument ist auch ihre Mobilität: Sie sollen in Massenfertigung entstehen und dann per Lkw an den Bestimmungsort gebracht werden. Ein russisches Reaktorschiff wurde 2020 in Betrieb genommen, auch in Kanada und China gibt es vergleichbare Projekte. Schließlich soll auch ein einfacherer Rückbau für die neuen kleinen Kraftwerke sprechen.

Es gibt eine Reihe völlig unterschiedlicher Konzepte von miniaturisierten Kernreaktoren. Die meisten sind im Prinzip Leichtwasserreaktoren (wie auch der überwiegende Teil der derzeit im Einsatz befindlichen Reaktoren), bei denen gewöhnliches Wasser als Kühlmittel und zugleich zum Abbremsen der bei der Kernreaktion entstehenden Neutronen verwendet wird. Dazu zählt etwa auch der von Rolls-Royce entwickelte Reaktor.

Mini-Kernreaktoren können mobil sein. In Russland wurde ein schwimmendes Kernkraftwerk mit zwei Reaktoren entwickelt, das eine Leistung von 70 Megawatt erreicht und 2020 in Dienst gestellt wurde. Ursprünglich war ein Export der Technologie geplant.
Foto: AFP PHOTO / ROSATOM

Mehr Atommüll

Die Minireaktoren sollen einen Beitrag zur Energiewende weg von fossilen Brennstoffen leisten, doch es gibt vor allem zwei Kritikpunkte. Einer betrifft die Produktion von Atommüll. Eine Studie von Forschenden der Universitäten Stanford und British Columbia, die dieses Jahr im Fachjournal "PNAS" veröffentlicht wurde, hat drei verschiedene Typen von SMR-Reaktoren mit Leistungen unter 300 Megawatt mit Atomkraftwerken mit Leistungen im Gigawattbereich verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Menge des allein durch ausgebrannten Brennstoff verursachten Atommülls fünfmal höher liegen würde, gemessen an der erzeugten Leistung.

Bei kurz- und langlebigem, weniger stark verstrahltem Material wird sogar eine Verdreißigfachung erwartet. Das stünde im Gegensatz zu den Zielen der Atomindustrie, neue Reaktoren sauberer zu machen. Außerdem verändere sich die Art des Atommülls, berichten die Autorinnen und Autoren. Der neue Atommüll sei zum Teil sehr anfällig für Korrosion, was Probleme bei der Lagerung mit sich bringe. So sei die Frage einer sicheren Zwischenlagerung dieses Atommülls ungelöst. Das gilt allerdings nicht für den gängigen Leichtwassertyp.

Das Hauptproblem liege aber im größeren Verlust an Neutronen im Vergleich zu größeren Reaktoren. Die Neutronenstrahlung hält die Kernreaktion am Laufen. Dazu ist es nötig, dass möglichst viele der erzeugten Neutronen wieder auf spaltbares Material treffen. Treffen sie auf die Außenhülle, erzeugen sie dort radioaktive Isotope. Kleine Reaktoren, wie sie in der Studie untersucht wurden, erzeugen mindestens neunmal mehr radioaktiv kontaminierten Stahl als große Kernreaktoren, berichtet das Forschungsteam in der Studie. Das schlage sich wieder in den Kosten nieder.

Wirtschaftlichkeit fraglich

Der Preis ist ein weiterer Kritikpunkt. Kleine Reaktoren werden als günstig beworben. Eine 2020 im Fachjournal "Energy Policy" erschienene Studie hat allerdings am Beispiel Kanadas vorgerechnet, dass die Kosten für miniaturisierte Kernkraftwerke deutlich höher lägen als die für Kraftwerke mit vergleichbarer Leistung, die Wind oder Solarenergie nutzen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Untersuchung des deutschen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. In Summe seien Mini-AKWs teurer, auch ein einfacherer Rückbau wird in dem Bericht bezweifelt.

Miniaturisierte Atomreaktoren kommen seit den Fünfzigerjahren in Atom-U-Booten und großen Kriegsschiffen zum Einsatz. Heute lagern einige der ausrangierten Reaktoren als tickende Zeitbomben in der Nordsee.
Foto: AFP PHOTO / South Korean Defence Ministry

Dass dennoch so viele Staaten auf die kleinen Kraftwerke setzen, liegt an der langen Vorlaufzeit für große Kernkraftwerke. Die kleinen Anlagen könnten, so die Hoffnung, bis zum Ende des Jahrzehnts im Einsatz sein. Sie sollen nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch zum Schmelzen von Eisen in der Stahlindustrie zum Einsatz kommen, wo sie Gas oder Kohle ersetzen. Im Gegensatz zu erneuerbaren Energieträgern liefern sie Energie, wenn diese benötigt wird, und verringern die Abhängigkeit von Speichertechnologien.

Wie klimafreundlich Kernkraft überhaupt ist, ist allerdings umstritten. Die Förderung von Uran ist selbst klimaintensiv. Gegenüber der besonders klimaschädlichen Kohle ist Atomkraft jedenfalls im Vorteil. In Großbritannien soll der erste SMR in weniger als zehn Jahren ans Netz gehen. (Reinhard Kleindl, 9.11.2022)