Die Welt um uns wird immer mehr zu einer digitalen. Europäische, nationale und regionale Digitalisierungsstrategien wie etwa die "Digitale Agenda Wien 2025" arbeiten daran, unsere analoge Welt im digitalen Raum zu spiegeln. Alltägliche Abläufe sollen zukünftig digital erledigt werden. Vieles davon ist bereits Realität: Durch die Pandemie konnten wir erfahren, wie ein solcher sozial distanzierter und doch digital vernetzter Alltag aussehen könnte. Diese neue Situation hat uns aber auch gezeigt, dass Digitalisierung uns allen Lernprozesse abverlangt und Ressourcen fordert.

Die durch die Digitalisierung angestrebte Effizienzsteigerung, die mithilfe einer Einsparung von Ressourcen, Arbeitskraft und Zeit vorangetrieben werden soll, bedeutet nicht für alle gleichermaßen eine Vereinfachung. Vielmehr kommt es zu einer Auslagerung bestimmter Prozesse auf die Nutzerinnen und Nutzer, die nicht alle über die notwendigen Mittel verfügen, um auf diese neuen digitalen Herausforderungen zu reagieren.

Viele durch Expertinnen, Experten und Stakeholder entwickelte Digitalisierungsprogramme und -agenden stellen Inklusion an erste Stelle, jedoch werden in der Konzeption und Umsetzung benachteiligte Gruppen häufig nicht mitgedacht, wie etwa Menschen in herausfordernden ökonomischen Situationen, ältere Menschen, Menschen mit wenig Deutschkenntnissen, bildungsbenachteiligte Menschen, Menschen mit Behinderungen, chronisch kranke Menschen und in all diesen Gruppen vor allem Frauen – besonders jene mit Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen. Bisher ausgeblendete Erfahrungen und nicht berücksichtigtes Wissen marginalisierter Menschen müssen als gestaltender und entscheidungstragender Teil zentral eingebunden werden. Sonst fördert Digitalisierung den sozialen Ausschluss großer Gruppen der Bevölkerung.

Niederschwellige Lern- und Begegnungsräume, in denen miteinander und voneinander gelernt wird, müssen offen und zugänglich sein.
Foto: Podcastwerkstätte

Durch den Digifonds der AK Wien wurde uns als Vereinen, die seit Jahrzehnten direkt vor allem mit Migrantinnen in prekären Lebenssituationen arbeiten, erstmals die Möglichkeit gegeben, gemeinsam mit ihnen Angebote zu erarbeiten, um Digitalisierung zugänglicher und inklusiver zu gestalten.

Digitalisierung braucht echte Inklusion und Partizipation

Ein Ausgangspunkt unserer Projekte war die Erkenntnis, dass niederschwellige Angebote, die nahe an den Bedürfnissen marginalisierter Menschen angelegt sind, fehlen. Eine angestrebte und versprochene Teilhabe gelingt oft nicht, da digitale Literalität, also ein bestimmtes digitales Verständnis und Wissen, vorausgesetzt wird. In einer digitalen Welt zu leben bedeutet nicht automatisch, "digital literate" zu sein. "Digital Literacy" wird erlernt, und wir als Gesellschaft stehen vor der Herausforderung, Möglichkeiten für dieses Lernen zu schaffen. Der Aufbau digitaler Literalität ist, wie der Aufbau jeder Form von Literalität, ein komplexer und langwieriger Prozess, welcher nicht im Rahmen von ein paar Weiterbildungsstunden oder Kursen erledigt ist. Er braucht Zeit und auf Lernende zentrierte Angebote.

Der Digital Gap kann nicht digital gelöst werden, es braucht auch analoge Lernräume.
Bild: Lym Moreno, http://www.conmostaza.com

Niederschwellige Lern- und Begegnungsräume, in denen miteinander und voneinander gelernt wird, müssen offen und zugänglich sein. Für die Arbeit besonders mit Migrantinnen in prekären Lebenssituationen setzt das unter anderem folgende Bedingungen voraus: technische Ausstattung, professionelles Personal, kostenlose Angebote, im öffentlichen Raum sichtbar, leicht zugänglich und zentral erreichbar, ohne Termine und Voranmeldungen, einfache Sprache und diese auch mehrsprachig, eine wertschätzende Atmosphäre sowie begleitende Kinderbetreuung.

Um digitale Inklusion und Partizipation für alle zu ermöglichen, braucht es eine Veränderung in der Form, wie Digitalisierung gestaltet wird. Dafür müssen Konzepte und Methoden dialogisch entwickelt, marginalisiertes Wissen anerkannt und Nutzerinnen und Nutzer als Expertinnen und Experten betrachtet werden, und nicht als Personen, denen Wissen oder Ressourcen fehlen. Bestehende Vereine und Einrichtungen, die durch ihre langjährige Arbeit mit den Communities verwachsen sind, und nicht profitorientierte, zentralisierte Bildungsinstitute, sollten dafür erste Ansprechpartner sein. (Julija Stranner, Selma Mujić, 11.11.2022)