Das 2002 beschlossene Universitätsgesetz (UG) bedeutete eine Zäsur in der österreichischen Uni-Politik. Die Hoffnungen der Regierung, aber auch die Widerstände waren groß. Im Bild: eine Protestversammlung an der Uni Wien.

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Das Jahr 2002 bedeutete für die österreichischen Universitäten eine historische Zäsur. Das damals von der schwarz-blauen Koalition beschlossene Universitätsgesetz – vulgo UG 2002 – löste die Unis aus der staatlichen Verwaltung heraus und brachte ihnen die vielzitierte Autonomie. Die Unis sollten fortan unternehmerischer gemanagt werden, die demokratische Mitbestimmung in den Gremien wurde dafür zur Empörung vieler Uni-Angehöriger zurückgedreht. Neue Institutionen wie die Universitätsräte wurden ins Leben gerufen, ihr Geld bekamen die Unis nun durch Leistungsvereinbarungen, die durch spätere Novellen dann an ECTS-Punkte gekoppelt wurden.

Doch welche Versprechen der großen Uni-Reform wurden erfüllt, und was wurde aus den Befürchtungen der Kritikerinnen und Kritiker? Im Gespräch mit dem STANDARD ziehen die Hochschulexperten Thomas König und Martin Unger vom Institut für Höhere Studien (IHS) Bilanz über zwei Jahrzehnte Universitätsgesetz.

STANDARD: Das Universitätsgesetz (UG), das den Unis die Autonomie gebracht hat, ist Anfang des Jahrtausends von den Hochschulpolitikern mit sehr hohen Erwartungen bedacht worden. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) sprach gar von künftigen "Weltklasse-Universitäten", die mit der Reform ermöglicht würden. Eine zentrale Idee dahinter war, dass jede Uni durch ihre Autonomie ein stärkeres Profil und eine Marke entwickeln kann. Wurde das erfüllt?

Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) pries 2002 das neue Universitätsgesetz an und weckte Hoffnungen auf künftige "Weltkasse-Universitäten".
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Unger: Zu einer Markenbildung hat das UG sicherlich viel beigetragen. Die Uni Wien etwa hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten durch eine deutliche Präsenz im öffentlichen Raum als Marke etabliert und sich dabei auch an internationalen Vorbildern wie Zürich orientiert. Bei der WU war diese Markenentwicklung ebenso offensichtlich. Auch auf der Ebene des Studienangebots ist es zu einer schärferen Profilbildung der Unis gekommen.

König: Bei dem Punkt sehe ich die Bilanz etwas skeptischer. Das UG ist mit dem Versprechen verknüpft worden, dass die Autonomie zu einer Diversifizierung führt. Sprich: dass die Reputation einer Uni bei ihren Schwerpunkten dann größer ist als bei anderen. Das hat zwar teilweise stattgefunden, aber ich sehe kaum Versuche, das systemisch im Blick zu behalten. Das liegt freilich auch an den organisatorischen Rahmenbedingungen. Die Niederlande haben doppelt so viel Einwohner und zehn öffentliche Unis, die alle eine Studierendenzahl zwischen 10.000 und 20.000 haben. In Österreich haben wir 22 öffentliche Unis, und die Studierendenzahl reicht von wenigen Hundert bis zu 100.000. Das macht es für eine vernünftige Governance schwierig.

STANDARD: Wie sieht es bei der Forschungsleistung der Unis aus, was hat das UG da aus Ihrer Sicht bewirkt?

Thomas König, Experte für Wissenschaftspolitik, hält die relativ geringe Forschungsleistung vieler Unis für bemerkenswert.
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König: In Österreich sind die forschungsstärksten Einrichtungen eigentlich nicht wirklich die Unis. Das erkennt man, wenn man sich die Indikatoren wie die eingeworbenen ERC-Grants anschaut. Die verteilen sich in Österreich grob in drei Blöcke: Ein Teil geht an die Institute der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ein weiterer Teil ausschließlich an das Institute of Science and Technology (IST) in Klosterneuburg. Und circa die Hälfte aller Grants verteilt sich auf die Unis. Wobei die Uni Wien hier mit Abstand den größten Anteil hat. Die TU Wien und die Uni Innsbruck haben zumindest noch eine zweistellige Anzahl; und alle anderen bewegen sich im einstelligen Bereich. Das ist im europäischen Vergleich schon bemerkenswert wenig.

STANDARD: Das erwähnte IST wurde 2007 mit einem eigenen Gesetz gegründet, und auch sonst werden von der Politik immer wieder Uni-ähnliche Dinge außerhalb des UG erschaffen. Das war bei der Donau-Uni Krems so, und jetzt soll es für die TU Linz wieder ein eigenes Gesetz geben. Wie passt das mit den ursprünglichen Ankündigungen zusammen, wonach das UG selbst mehr individuelle Innovationen im öffentlichen Uni-Sektor ermöglichen sollte?

Unger: Das wird zwar von den handelnden Hochschulpolitikern nicht so ausgesprochen, aber eigentlich sind diese Sondergesetze ja eine massive Kritik am UG, wenn man ständig Wege abseits davon einschlägt. Zumal Österreich ohnehin schon sehr viele Regelungssysteme für Hochschulen hat, das gibt es in keinem anderen Land. International üblich sind zwei, höchstens drei Sektoren. Wir hingegen haben öffentliche Unis, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen, die Privatunis, zu denen im selben Gesetz neuerdings auch die Privathochschulen gekommen sind, und bald gibt es dann noch eine TU Linz mit eigenem Gesetz. Wenn dann zwischen Hochschulen verschiedenen Typs kooperiert werden soll, muss immens viel Energie in die Koordination der Systeme gesteckt werden, weil etwa das Studienrecht hinten und vorne nicht zusammenpasst.

STANDARD: Ein wichtiges neues Gremium, das mit dem UG Einzug gehalten hat, waren die Universitätsräte. Kritiker haben damals befürchtet, dass die Regierung über die Uni-Räte, die sie ja selbst nominiert, stark in die Unis hineinregieren will. Was ist daraus geworden?

Unger: Ich glaube nicht, dass die Regierung die Uni-Räte für ihren Einfluss braucht. Sie hat ja ohnehin das Instrument der Leistungsvereinbarungen, und dann gibt es dazu noch die informellen Kanäle. Selbstverständlich bietet jedes neue Gremium einen Andockpunkt für Lobbymaßnahmen, aber eine problematische Rolle der Uni-Räte sehe ich hier nicht.

König: Ich glaube auch nicht, dass die Uni-Räte für die Bundesregierung so bedeutsam sind. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Länder mittels Uni-Räten versuchen, die landespolitischen Standortinteressen bei den Unis ihres Gebiets geltend zu machen. Ob das sinnvoll ist, lasse ich dahingestellt. Aber was jedenfalls fehlt, sind Compliance-Vorgaben für diese Gremien.

IHS-Hochschulforscher Martin Unger sieht im UG rückblickend einen Katalysator für die Modernisierung der Uni-Verwaltungen.
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Unger: Was man jedoch historisch anerkennen sollte: Gerade am Anfang der Autonomie war es hilfreich, dass in den Uni-Räten Leute gesessen sind, die selbst nicht aus dem Hochschulbereich kamen – eine Distanz, die bei heutigen Nominierungen oft kritisch beäugt wird. Aber die Unis mussten mit dem UG erstmals einen effizienten Umgang mit ihren Beteiligungen und Finanzen entwickeln. Ein unternehmerisch erfahrener Blick von außen hat da oft gutgetan. Allein die Einführung von SAP (Unternehmenssoftware, Anm.) an den österreichischen Unis war eine Erfolgsgeschichte bei der Modernisierung ihrer Verwaltungen.

STANDARD: Mit dem UG war das wesentliche Ansinnen verbunden, die Unis sollten unternehmerisch gemanagt werden. Das hat auch viel Gegenwind an den Unis erzeugt, weil die neue Art der Führung zu einer Abwertung etablierter Gremien der Mitbestimmung von Uni-Angehörigen geführt hat. Letztere war den Vordenkern des UG – wie Sigurd Höllinger – ein Dorn im Auge, weil sie die operative Steuerung der Unis erschwert habe. Hat das UG in seinen zwei Jahrzehnten nun tatsächlich zu einer Entdemokratisierung geführt, wie die Kritiker damals monierten?

Die Proteste gegen die große Uni-Reform entzündeten sich auch am Abbau von demokratischen Mitbestimmungsrechten, der mit dem UG vollzogen wurde.
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König: Es gab rund um die Einführung des UG und noch ein paar Jahre danach eine gewisse Nostalgie nach der sogenannten Gruppenuniversität, die in Österreich 1975 verankert worden war und die auf der Drittelparität von Professoren, Mittelbau und Studierenden beruhte. Die retrospektive Glorifizierung dieser Art der Mitbestimmung nehme ich heute nicht mehr wahr …

Unger: Na ja, aber die Frage, ob es zu einem Abbau von Demokratie kam, würde ich schon mit einem klaren Ja beantworten. Es können die Uni-Angehörigen heute weniger mitsprechen als vor dem UG, das sieht man schwarz auf weiß.

König: Das schon. Das jetzige Gesetz ist halt ehrlicher, weil es klar sagt: Diejenigen, die etwas entscheiden dürfen, sitzen im Rektorat, weil dort auch die Ressourcen sind. Die Demokratie in den Gremien der Ära vor dem UG war oft mehr ein Pseudospiel, weil die Entscheidungen hat am Ende sowieso das Ministerium getroffen. Die sogenannte Mitbestimmung war ja kaum mit materiellen Ressourcen hinterlegt.

Unger: Was ich bedauerlich finde, ist, dass heute die Studierenden oft zu wenig gehört werden, obwohl die ÖH formell eine außergewöhnlich starke Verankerung hat. Wenn es um den Entwurf eines neuen Curriculums geht, hätten die Studierenden aus meiner Sicht schon einiges zu sagen, und es wäre schön, wenn man ihre Perspektive vonseiten der Institute mehr berücksichtigen und sie motivieren würde, sich einzubringen. Generell ist es nur leider so, dass es für junge Leute – egal ob Studierende oder Mittelbau – wenig Anreize gibt, sich in den noch bestehenden Formen der Mitbestimmung zu betätigen. Das hat aber gar nicht so viel mit dem UG per se zu tun, sondern mit den Anreizen des Wissenschaftsbetriebs. In der Karriere schadet es einer Nachwuchswissenschafterin de facto, wenn sie ihre Freizeit dafür verwendet, sich im Senat zu engagieren und deshalb weniger Zeit zum Publizieren hat. Am akademischen Arbeitsmarkt interessiert dieses wertvolle Engagement im Endeffekt niemanden, da zählen nur die Publikationen.

STANDARD: Der wichtigste Austausch zwischen Ministerium und Unis findet seit dem UG via Leistungsvereinbarungen statt, über die das Budget für je drei Jahre verteilt wird. Wie hat sich das System bewährt?

König: Wenn man sich die österreichischen Leistungsvereinbarungen anschaut, wird man von der Fülle an Text erschlagen. Der Wissenschaftsrat hat in einer Analyse zuletzt festgestellt, dass die vorgesehene Maximalseitenzahl von 60 Seiten von der Mehrheit der Unis nicht eingehalten wird, und fügt dann trocken an: "Dies ist bei einer leeren Musterversion von bereits 32 Seiten kaum überraschend." Was in den Leistungsvereinbarungen dann zu lesen ist, mag als Standortbestimmung interessant sein, aber als Strategiedokumente taugen die Papiere nicht. Auch hier sind Unis in anderen Ländern weiter, indem sie sich mit wenigen Seiten begnügen.

Unger: Wobei es für die strategische Ausrichtung in Österreich ja noch andere Dokumente wie die Entwicklungspläne gibt – es wird viel Text produziert. Wir haben am IHS vor ein paar Jahren einmal empirisch angeschaut, wie sich die Budgetanteile der Unis im Zeitablauf verändern, und da zeigt sich: Die Anteile bleiben sehr stabil, es gibt keine großen Verlierer oder Gewinner. Selbst wenn die Indikatoren allein eine Verschiebung bewirken würden, wird das in der Leistungsvereinbarung ausgeglichen, sodass die Budgetverteilung über die Jahre fortgeschrieben wird.

König: Da muss man sich dann die Frage stellen, wozu es so einen Apparat mit Leistungsvereinbarungen und Co braucht, wenn im Ergebnis die Budgetstruktur so konstant bleibt.

STANDARD: Die Wettbewerbsindikatoren spielen in den Leistungsvereinbarungen nur eine untergeordnete Rolle …

König: Ja, in der letzten Periode, bis 2021, haben sie rund sechs Prozent des indikatorbezogenen Budgetanteils ausgemacht. Im internationalen Vergleich ist das wenig, vor allem wenn man bedenkt, dass der eigentliche Förderer der projektbasierten, kompetitiven Grundlagenforschung in Österreich der FWF ist, der selbst vergleichsweise unterdotiert ist. Um es nüchtern zu formulieren: Die mit dem UG verbundene Absicht, mehr wettbewerbliche Anreize zu exzellenter Forschung und Lehre zu setzen, bildet sich in der Budgetzuteilung bisher nicht ab.

STANDARD: Vor fünf Jahren wurden die Indikatoren der Leistungsvereinbarungen in Bezug auf die Lehre durch die Studienplatzfinanzierung einschneidend verändert. Pro Person, die mehr als 16 ECTS pro Jahr macht, bekommen die Unis jetzt Geld; für besonders schnelle Studierende gibt's noch eine Portion obendrauf. Durchaus ein Anreiz für die Unis, Studierende durchs Studium zu schleusen. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Unger: Dieser finanzielle Anreiz ist sicher da, aber wir sehen in den Daten derzeit nicht, dass die Unis das Sammeln von ECTS-Punkten erleichtert hätten. In Deutschland ist diese Debatte bereits um einiges präsenter. Interessant ist die Wirkung der neuen Indikatoren aber schon: Früher haben die Unis immer über zu viele Studierende gejammert und waren froh, wenn es weniger wurden. Jetzt zählt jeder Studierende, der Prüfungen macht, positiv hinzu. Zugleich gibt es indessen die nachvollziehbare politische Devise, dass verhältnismäßig mehr Studierende an die FHs sollen und weniger an die Unis. Doch für die Erreichung dieses Ziels stellt man sich mit der Studienplatzfinanzierung jetzt selbst ein Bein. (Theo Anders, 18.11.2022)