ORF-Chefredakteur Matthias Schrom ist am Mittwoch zurückgetreten.

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Wien – Nach den publik gewordenen Chats mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache legt Matthias Schrom seine Funktion als ORF-TV-News-Chefredakteur mit sofortiger Wirkung zurück.

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat am Mittwoch das entsprechende Angebot von Schrom angenommen. Der Vertrag mit der stellvertretenden Chefredakteurin Eva Karabeg, bereits interimistisch mit der Redaktionsleitung beauftragt, wird bis auf weiteres verlängert.

Weißmann: "Zolle Matthias Schrom Respekt für seine Entscheidung"

"Ich nehme das Angebot von Matthias Schrom, seine Funktion als Chefredakteur zurückzulegen und damit die persönliche Konsequenz aus den veröffentlichten Chats zu tragen, an. Auch wenn die bisherige Amtsführung von Matthias Schrom untadelig und die ORF-TV-Information in den vergangenen vier Jahren bei Millionen Menschen in Österreich sehr erfolgreich war, sind es gerade das große Vertrauen in unsere Berichterstattung und die kompromisslose Glaubwürdigkeit unserer Journalistinnen und Journalisten, die einen Schritt wie diesen unausweichlich erscheinen lassen", sagt ORF-Generaldirektor Weißmann. "Ich zolle Matthias Schrom Respekt für seine Entscheidung, weil er damit beweist, dass ihm das Interesse der Redaktion wichtiger ist als seine Funktion, und danke ihm für die hervorragenden Leistungen der ORF-TV-Information unter seiner Führung."

Schrom sei in seiner Funktion als TV-News-Chefredakteur "mit einer Sonderzahl an nationalen und internationalen Krisen und Ereignissen konfrontiert" gewesen. Im Rahmen von diversen Berichterstattungs-Schwerpunkten hätten sich auch Journalisten bewährt, die Schrom ergänzend zum "ZiB"-Team holte und förderte – etwa Tobias Pötzelsberger, Margit Laufer, Martin Thür und Simone Stribl.

Ob und welche Funktion Schrom künftig im ORF übernimmt, ist noch unklar. Auf den langen, abwechslungsarmen Gängen des ORF-Zentrums wird etwa über die Funktion des Sportchefs spekuliert. Vorerst soll Schrom für ein paar Monate auf Urlaub gehen.

Redaktionsversammlung am Donnerstag

Nach seinen Chats mit Strache musste Schrom am Donnerstag mit einem Misstrauensvotum der "ZiB"-Redaktion rechnen, jetzt hat er selbst seinen Rücktritt als Chefredakteur angeboten. Die geplante Redaktionsversammlung findet dennoch statt. Es gebe genug Gesprächsbedarf, auf eine Vertrauensabstimmung über Schrom verzichte man aber, sagte Dieter Bornemann, der Vorsitzende des ORF-Redakteursrats. Er geht davon aus, dass der Job als ORF-TV-News-Chefredakteur ausgeschrieben wird und eine Abstimmung über Schroms Nachfolger stattfindet.

Diversere Chefredaktion

Schon am Montag übernahm Schroms Stellvertreterin Eva Karabeg interimistisch die Chefredaktion TV. Bisher war die Dreierchefredaktion für TV, Radio, Online rein männlich besetzt – und ohne Ausschreibung von den bis 2021 getrennten Redaktionen übernommen worden.

Nun könnten Schroms Job, aber auch alle drei Chefredaktionsjobs ausgeschrieben werden. Das könnte eine diversere Besetzung der Newsroom-Führung bringen.

Die Vorgeschichte: Chats im Bericht der WKStA

Ein Bericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft über Chats von und Vorwürfe gegen Rainer Nowak ("Presse") enthielt auch einen Chat Schroms mit dem damaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Strache. DER STANDARD und andere Medien berichteten über die Chats von Schrom, der im Frühjahr 2018, wenige Monate nach Amtsantritt der ÖVP-FPÖ-Regierung, vom "ZiB"-Redakteur zum ORF-2-Chefredakteur avanciert war.

"Natürlich unmöglich"

Strache beschwerte sich am 14. Februar 2019 kurz vor Mitternacht über eine "ZiB 24" auf ORF 1. Anlass dürften ein Beitrag zu einer von Strache veranstalteten Antisemitismuskonferenz und Aussagen des Schriftstellers Doron Rabinovici über die FPÖ gewesen sein.

bildungskanal

Schrom nennt die per TVthek-Link geschickte "ZiB 24"-Sendung "natürlich unmöglich". ORF 1 sei "noch viel linker" als seine ORF-2-Information, wo jene weniger würden, "die glauben, die SPÖ retten zu müssen". Schrom gibt Strache Tipps für Interventionen bei ORF 1 und für Jobbesetzungen über Stiftungsratschef Norbert Steger (FPÖ). Den laut Gesetz weisungsfreien Stiftungsratschef ersucht Strache gleich danach wortgleich mit Schroms Tipps um diese Interventionen.

"Intervention von Strache nicht entsprochen"

Schrom erklärte die Tonalität und Inhalte der Chats in einer Rundmail an die "ZiB"-Redaktion als Anpassung an Strache in Zeiten massiver Angriffe der FPÖ auf den ORF, seine Berichterstattung und seine Finanzierung. "Faktum ist, dass der Intervention von Strache weder inhaltlich noch in Bezug auf personelle Postenbesetzungen entsprochen wurde. Der Redaktion wurde immer der Rücken freigehalten." Der ORF-Redakteursratsvorsitzende bestätigte ebenfalls in einer Rundmail, es gebe über Schroms "Amtsführung keine inhaltlichen Beschwerden".

Am Montag kündigte Schrom in der "ZiB"-Redaktionssitzung noch an, er trete nun einen Urlaub an.

Redaktionsrat forderte "entsetzt" Konsequenzen

Noch vor Schroms Rücktritt zeigte sich der Redaktionsrat sich "entsetzt" über Schroms Chats mit Strache. Dieses Verhalten sei "völlig inakzeptabel" und bedeute "massiven Schaden für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk". Der Eindruck von Absprachen zwischen TV-Chefredakteur und FPÖ-Chef sei "nicht nur in der Öffentlichkeit verheerend, sondern auch innerhalb des Unternehmens". Um weiteren Schaden von der journalistischen Glaubwürdigkeit des ORF abzuwenden, fordert der Redaktionsrat die Geschäftsführung auf, "deutliche Konsequenzen zu ziehen". "Viele Kolleg:innen sind fuchsteufelswild, weil sie hier in eine Sache hineingezogen werden, mit der sie absolut nichts zu tun haben", sagte Dieter Bornemann, Vorsitzender des ORF-Redakteursrats, noch vor Schroms Rückritt.

Was das Redaktionsstatut vorsieht

Nach dem neuen Redaktionsstatut des ORF können Redaktionen – nach drei Beschwerden über einen Chef oder eine Chefin – dieser Führungskraft das Misstrauen aussprechen.

Daraufhin tagt der ORF-interne Ethikrat – das Gremium wacht schon jetzt über die Einhaltung des internen Verhaltenskodex für ORF-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen (der etwa Unvereinbarkeiten mit Nebentätigkeiten regelt).

Dieser Ethikrat spricht nun zu Verbleib oder Ablöse der jeweiligen Führungskraft nach einem Misstrauensvotum der jeweiligen Redaktion eine Empfehlung aus. Danach entscheidet der ORF-Generaldirektor, ob diese Führungskraft von ihrer Funktion abgezogen wird.

ORF-General befasste selbst den Ethikrat

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat den Ethikrat des ORF aber schon von sich aus am Montag mit der Chataffäre seines Chefredakteurs befasst. Das Gremium besetzen der ORF-General und der Redakteursrat mit jeweils vier Mitgliedern, die mit einfacher Mehrheit im Ethikrat entscheiden – insbesondere über Empfehlungen an den General.

Matthias Schrom ist seit Frühjahr 2018 Chefredakteur, zunächst von ORF 2, für das ohnehin der größte Teil der TV-Information arbeitet. Die Teilung der Fernsehinformation wurde schrittweise rückgängig gemacht.

Drei Chefredakteure, ein Newsroom

Im Sommer 2021 bezogen die bisher getrennt arbeitenden Redaktionen von TV, Radio und Online den neuen, gemeinsamen Newsroom im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg. Schrom wurde damit einer von drei formal gleichberechtigten, gemeinsam führenden Chefredakteuren für die vereinigte, aber noch immer sehr eigenständig arbeitende ORF-Information. Radiochefredakteur blieb Hannes Aigelsreiter, Onlinechefredakteur Christian Staudinger. Der kam aus der von Schrom geführten "ZiB"-Mannschaft zu ORF On.

Schrom ließ schon im Vorfeld des Newsrooms durchklingen, ein solcher Newsroom brauche einen federführenden Chefredakteur – den er im Dreierteam wohl am ehesten in sich selbst erkannte. Es wurde eine gleichberechtigte Dreierführung. Kolportiert wurden recht forsche Diskussionen etwa mit Radiochefredakteur Aigelsreiter vor den Korrespondentinnen und Korrespondenten des ORF; Schrom habe von ihnen künftig mehr Fernsehbeiträge untertags verlangt, berichteten Sitzungsteilnehmer. (fid, 9.11.2022, Update mit Rücktritt von Schrom)