Seit 2004 in der Öffentlichkeit unsichtbar, aber trotzdem da: Elfriede Jelinek ist ein 96-minütiges Filmporträt gewidmet.

Foto: Polyfilm

Im Filmporträt kommt ausschließlich Jelinek selbst zu Wort. In Archivaufnahmen sowie einem aktuellen Interview setzt sie ihre schriftstellerische Arbeit in Bezug zur österreichischen Wirklichkeit.

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Hat Elfriede Jelinek porträtiert: Regisseurin Claudia Müller.

Foto: Milena Schlösser

Bis zur Nobelpreis-Verleihung 2004 hat Elfriede Jelinek viele Male und offen über ihr literarisches Schaffen Auskunft gegeben. Davon zeugt und lebt Claudia Müllers Filmporträt Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen, das sich vorwiegend aus Archivmaterial speist. Die Schriftstellerin hat sich zwar der Sichtbarkeit entzogen, nicht aber dem Schreiben – ihr neues Buch Angabe der Person erscheint in wenigen Tagen –, und sie hat auch ihre Stimme nicht aufgegeben. Diese wirkt im Film inklusive eines neuen Interviews wie eine zweite Hauptfigur. Regisseurin Müller macht Jelinek selbst zur Sprecherin über ihr in sechs Jahrzehnten entstandenes Werk und seine nabelschnurartige Anbindung an die österreichische Nachkriegsgeschichte.

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STANDARD: Wie fand Ihre persönliche Annäherung an Elfriede Jelinek statt?

Müller: Das war ein Prozess. Ich hatte durch einen anderen Film bereits einmal Kontakt zu ihr, dann aber ganz normal über den Verlag angefragt und auch vorweggenommen, dass ich einen Archivfilm machen möchte. Dem hat sie zugestimmt. Wir haben uns in München getroffen, und ich habe ihr zwischendurch immer Fragen gestellt. Sie war inhaltlich also beteiligt, hat aber keine Vorgaben gemacht.

STANDARD: Also Faktencheck durch Jelinek?

Müller: Sozusagen. Ich arbeite ja immer mit Secondhand-Quellen, recherchiere in Archiven und hinterfrage stets, ob das, was da steht, bereits eine interpretierte Sache ist.

STANDARD: Haben Sie das Konzept des Films mit ihr besprochen?

Müller: Ich wusste, sie gibt keine Interviews, dass aber in den Archiven viel Material existiert. So hat sich das Konzept, Jelinek zur Sprecherin zu machen, entwickelt. Da wusste ich noch nicht, dass ich am Ende doch ein Interview bekommen werde. Ich habe den Erzählfluss aus ihren O-Tönen aus Radio- und Fernsehinterviews montiert, stets angelehnt an die österreichische Geschichte. Es gab ja markante Wendepunkte, etwa das vieldiskutierte Burgtheater-Stück oder das Plakat der Haider-FPÖ. Die Bildebene sollte sich dazu nicht illustrativ verhalten, sondern emotional etwas auslösen und der Sprache Raum geben.

STANDARD: Können Sie noch mehr über die Art der Montage erzählen, etwa das Weiterziehen des Ramsau-Films bis zu Ischgl in der Pandemie?

Müller: Meine Absicht war, die Zeitebenen unklar zu halten, sodass man nicht weiß, ist man in der Gegenwart oder der Vergangenheit – weil sich auch gar nicht so viel geändert hat, etwa im Tourismus und in der Naturausbeutung oder auch in der Politik. Es ging mir darum, die Aktualität ihrer Texte herauszuarbeiten. Ich habe mit meiner Kamerafrau Christine A. Maier selbst an diesen Orten mit Super-8-Film gedreht, sodass das auch formal ineinandergreift.

STANDARD: Österreich ist für Außenstehende oft ein Rätsel. Haben Sie durch die Arbeit am Film, der sich ja an ein internationales Publikum richtet, dieses klären können?

Müller: Ich schaue nach wie vor mit Verwunderung auf die extremen Reaktionen, zu denen Österreicherinnen und Österreicher fähig sind, etwa die Buh-Orgien einst gegen Claus Peymann. Zugleich wollte ich zeigen, welche großartige Künstlerin Österreich an ihr hat und wie ekelhaft manchmal mit ihr umgegangen wurde und wird. Ich selbst habe hier jedoch beglückende Erfahrungen gemacht, weil Kunst in Österreich einen hohen Stellenwert hat.

STANDARD: Jelinek hat die Rolle einer öffentlichen Intellektuellen eingenommen, zugleich laboriert sie an den Reaktionen.

Müller: Sie wird oft missverstanden. Jelinek beschimpft Österreich nicht, ihre Texte sind ja zum Teil aus vorhandenem Material gebaut. Nicht immer ist sie es, die da spricht. Sie arbeitet sich an einem Bergwerk der Sprache ab. Bezogen auf den Pornografieroman Lust sagt sie ja: "Ich stopfe den Leuten ihre eigene Sprache zurück ins Maul."

STANDARD: Viel Gewicht in Ihrem Film liegt auf den früheren Jahren, der Klosterschule, der strengen Mutter et cetera. Warum?

Müller: Ich habe diese jungen, prägenden Jahre wie eine Rampe genützt, um in das Werk hineinzukommen. Dafür musste ich emotional erzählen, was etwa die Beklemmung in der Klosterschule bedeutet. Jelinek spricht ja oft über die quälende Erziehung zum Wunderkind. Der jüdische Vater, die harte Mutter – diese Generation war kriegsgeschädigt und hat den Druck, die Kälte auch weitergegeben.

STANDARD: Wollten Sie Jelineks Arbeit an den Verdrängungsmechanismen der "Opfer-Nation" hervorheben?

Müller: Ich wollte einerseits künstlerische Einflüsse betonen, aber auch eine Antwort darauf suchen, warum Österreich so viele radikale Künstler hervorgebracht hat: Thomas Bernhard, die Aktionisten. Sie spricht in dem neu gedrehten Interview sehr pointiert davon, dass es bei zu großem Druck irgendwann zu einer Explosion kommt und der Deckel vom Topf fliegt.

STANDARD: Man sieht Jelinek 2021 erst in der Schlussszene. Wollten Sie sie nicht öfter zeigen?

Müller: Es sollte keine Sensation sein. Der Rohschnitt war fertig, da hatte ich noch fünf, sechs Fragen an sie. Ihr Mann hat dann in der Münchner Küche Mikros aufgebaut, und wir haben uns da hingesetzt und es aufgenommen. Ich wollte nicht, dass die Leute sagen, die Jelinek geht also wieder vor eine Kamera. Aber ich dachte, ein zurückhaltendes Bild wäre schön. Das entstand im Englischen Garten bei ihrer Lieblingsbrücke.

STANDARD: Man sieht nun, Jelinek ist noch Jelinek.

Müller: Man erkennt sie gleich an der Frisur! Sie stand da an der Brücke, und plötzlich gesellte sich eine dieser seltenen Wasseramseln zu ihr und saß da minutenlang. Diese Szene war fast unheimlich.

STANDARD: Wie haben Sie die Textpassagen ausgewählt? Das muss bei der Textfülle mühevoll gewesen sein.

Müller: Es war der absolute Wahnsinn. Vieles kannte ich, vieles habe ich anhand des Archivmaterials zusammengesucht – Text und Bild sind ja eng verwoben. Es gab bestimmte Bruchstücke, zu denen eine Interviewszene, manchmal auch eine Textstelle besser passte.

STANDARD: Es gilt ja auch bei Jelinek das Prinzip Überforderung.

Müller: Ich hätte einen viel längeren Film machen können, aber das wollte ich nicht. Ich bin selbst äußerst ungeduldig und achte immer darauf, wie lang ein Film ist. Es ist besser, wenn das Publikum hungrig aus dem Film geht. (Margarete Affenzeller, Dominik Kamalzadeh, 9.11.2022)