So wie in Österreich jede Bundesregierung einen Denkzettel bei Landtagswahlen fürchtet, so geben einem US-Präsidenten die "midterm elections" zur Halbzeit seiner vierjährigen Amtsperiode stets Anlass zur Sorge: Deutlicher und unmittelbarer kann die Wählerschaft ihre Meinung nicht äußern.

Die USA gehören zu jenen Nationen, in denen Patriotismus einen ganz besonderen Stellenwert hat. Doch an einem Strang ziehen wollen die wenigsten.
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Mit einem Schuss vor den Bug – oder gar einem zerstörerischen Treffer – musste auch der aktuelle Präsident der USA rechnen: Joe Biden blieb vieles schuldig, was er 2020 versprochen hatte; so blieb es bei seinem Versprechen, die Gräben zwischen den Lagern zu überwinden und die Nation wieder zu einen, nur bei gutgemeinten Worten.

Doch Biden trägt nicht an allem die Schuld. Wenn er in der zweiten Halbzeit zur "lame duck" – zur lahmen Ente – wird und aus eigener Kraft keine Gesetze mehr durchsetzen kann, dann auch deshalb, weil der politische Gegner so destruktiv wie noch nie agiert hat und zudem auffallend oft am Narrativ festhält, dass Bidens Vorgänger Donald Trump 2020 die Wahl gestohlen wurde.

Demokratie auf dem Prüfstand

Neu gewählt wurden am Dienstag (Ortszeit) alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses sowie 35 der 100 Senatorinnen und Senatoren der 50 Bundesstaaten; außerdem auch 36 Gouverneursposten. Es war dies aber nicht nur eine herkömmliche, routinemäßige Wahl, sondern sie wurde im Besonderen auch als Überprüfung der Standhaftigkeit des demokratischen Systems der USA gedeutet. Der erste große Urnengang nach der Präsidentenwahl, infolge derer Donald Trump nach nur einer Amtszeit schon wieder gehen musste, war emotional stark aufgeladen.

Nach Informationen der New York Times stellen acht republikanische Senatoren und 139 Abgeordnete im Repräsentantenhaus das Wahlergebnis von 2020 in Zweifel. Diese Zahl dürfte sich demnächst signifikant vergrößern, je nachdem, wie die Einzelergebnisse bei den Zwischenwahlen ausfallen. Biden wird es dann nicht nur mit einer republikanischen Mehrheit in womöglich beiden Kongresskammern zu tun haben: Auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene werden diese siegreichen Politikerinnen und Politiker als Wahlleitende ihrer Bereiche großen Einfluss auf die Durchführung – und womöglich Manipulation – der kommenden Präsidentschaftswahl 2024 haben.

Donnergrollen für 2024

Ob für die Demokraten dann Biden (zu diesem Zeitpunkt knapp 82 Jahre alt) oder jemand anders ins Rennen gehen wird, ist in der Partei de facto noch völlig offen; bisher drängt jedenfalls niemand ins Rampenlicht.

Bei den Republikanern scheint das Rennen um die Kandidatur 2024 hingegen fast schon gelaufen zu sein: Mit einem Erfolg seines Lagers bei diesen Zwischenwahlen wird es fast unmöglich sein, sich parteiintern gegen Donald Trump durchzusetzen. Dieser scheint es kaum erwarten zu können, sein erneutes Antreten ganz offiziell zu machen. Schon bisher hat er mehrmals davon gesprochen, es "sehr, sehr, sehr" wahrscheinlich noch einmal versuchen zu wollen – trotz aller juristischen Kalamitäten.

Die eigene Partei hatte alle Hände voll zu tun, Trump daran zu hindern, diese Zwischenwahlen für seinen Egotrip zu missbrauchen: Denn eine verfrühte Ankündigung, sich an Biden und den Demokraten rächen zu wollen, hätte auch viele treue, wenngleich gemäßigte Republikanerinnen und Republikaner verschrecken können – der Schuss hätte nach hinten losgehen können.

Unmittelbare Probleme

Auch wenn Trump am liebsten schon jetzt Wahlkampf in eigener Sache machen würde: Jene Wahl ist noch zwei Jahre weit entfernt – und bei allem Ehrgeiz wird dann Trump mit 78 Jahren auch nicht mehr der Jüngste sein. Viel direkter – nämlich hier und jetzt – macht Abermillionen von Bürgerinnen und Bürgern in den USA die akute persönliche Lage betroffen: Die massiv steigenden Lebenshaltungskosten und die Wirtschaftskrise sind Probleme, die Überlegungen über Demokratiegefährdung und Revanchedenken zweit- oder drittrangig erscheinen lassen.

Konstruktiv oder destruktiv?

Es galt daher, im ureigensten Interesse, jenseits aller Partei- oder Personenpräferenz, eine Entscheidung zu treffen: Sollen die USA es Biden ermöglichen, gestalterisch politisch tätig zu sein – oder soll ihm diese Macht durch einen Mehrheitswechsel im Kongress ab Jänner 2023 (wenn dieser konstituiert wird) de facto entzogen werden?

Die Republikaner würden, so haben sie schon vor der Wahl klargemacht, alles daransetzen, um sogar die wenigen echten Errungenschaften der Biden-Regierung rückgängig zu machen. Nicht unbedingt, weil es sich um schlechte Politik gehandelt hätte; sondern vielmehr, weil diese vom Gegner umgesetzt wurde. (Gianluca Wallisch, 8.11.2022)