2018: Wladimir Putin und Fifa-Chef Gianni Infantino haben Spaß.

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1978: Argentiniens Juntageneral Jorge Videla gratuliert.

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Die großen Weltsportverbände, allen voran das IOC und die Fifa, können gut mit Autokraten. Das hat vielerlei Gründe, die sich freilich allesamt zurückführen lassen auf diesen einen: Geld. Das verdirbt nicht nur den Charakter. Es bündelt auch gemeinsame Interessen. Hier die Marie, dort das Bad in der Sonne der weltweiten, unverfänglichen Aufmerksamkeit. Ein fairer Deal, quasi.

Diese Nähe zwischen Selbstherrschern und Selbstherrlichen ist nichts Neues. 1934 gockelte schon der Duce in die italienischen WM-Stadien. Zwei Jahre später stechschritt der Führer ins Berliner Olympiastadion. Noch 1978 fand die Fifa nichts dabei, die argentinischen Juntageneräle mit einer WM zu schmücken. Zuletzt aber hat die Frequenz merkbar zugenommen.

Höhe-, vielleicht Endpunkt

Nach Olympia in Peking (2008, 2022) und Sotschi (2014) und der Fußball-WM in Russland (2018) ist Katar nun so was wie ein Höhe-, vielleicht sogar Endpunkt. Denn mit der Verschiebung der Endrunde in den europäischen Winter hat die Fifa sich ins Sportliche selbst hineinreden lassen. Wegen des Turniers am Persischen Golf hat der stärkste Kontinentalverband, die Uefa, die Winterpause im November schon beginnen müssen. Eine Kraftprobe zwischen diesen zwei Verbänden; nicht die erste und nicht die einzige.

Autokratisch verfasste Staaten haben ziemliche Vorteile für Organisationen wie die Fifa. Das Volk – der große Lümmel – kann leichter auf die ihm zugeschriebene Rolle als Applausmechanismus zugestutzt werden. Die Versprechungen, welche die Fifa ihren Sponsoren um teures Geld zugesagt hat, können einfacher durchgesetzt werden. Die Exklusivität der Sponsorprodukte – Bier, Fleischlaberln, Sportgewänder et cetera – lässt sich auf kurzem Weg garantieren.

Handschlagregeln

Zuletzt ist es ja doch immer wieder ins demokratische Gerede gekommen, dass sogar im weiten Stadionumfeld nur eine Biermarke angepriesen werden darf. Dass selbst die Fanbekleidung kontrolliert werden darf, um sogenannte Ambush-Werbungen hintanzuhalten. Dass Public-Viewing-Zonen eingerichtet werden können, die den öffentlichen Raum einfach kapern für den privaten Profit. In autoritären Regimen lässt sich so was mit Handschlag regeln.

Dabei wäscht eine Hand die andere. Für die Fifa ein lukratives Geschäft. Mit der katarischen WM nimmt die Fifa knapp vier Milliarden Euro ein. Steuerfrei, denn das ist auch in demokratisch verfassten Austragungsorten der Deal. Die Fifa – so erläutert es die Fifa – versteuere eh an ihrem Sitz. In Zürich gilt der Weltverband allerdings als gemeinnütziger Verein. Und profitiert als solcher vom günstigen Steuersatz von zwölf statt 21 Prozent.

Vorstöße, daran etwas zu ändern, kontert die Fifa mit Abzugsmunkeleien. Gerne auch mittels dementierbarer Gerüchte. 2019 galt Paris als heißer Tipp. Heuer sogar Katar. Fifa-Chef Gianni Infantino sei schon dort steuerschonend wohnhaft. Der freilich stellte beides heftig in Abrede. "Ich weiß nicht, woher diese Gerüchte kommen."

Die Geldmaschine Fifa braucht fürs Geldmachen prächtige Kulissen. Autokraten tun sich hierbei deutlich leichter als schwerfällig demokratische Länder. Die notwendigen Baumaßnahmen bedürfen nicht dieser elendslangen und noch dazu ergebnisoffenen Genehmigungsverfahren. Arbeitsrechtliche Vorschriften, schlichte MenschrechtsStandards, umweltschützerische Einwände – all diese üblichen Bedenklichkeiten lassen sich leicht als Marginalien behandeln. Amnesty International hat Katar gar vorgeworfen, "sklavenähnliche" Zustände auf den WM-Baustellen in Kauf genommen zu haben. Auch die Fifa habe weggeschaut. Aus Eigennutz.

Der Brief des Chefs

Darauf ist Gianni Infantino nicht eingegangen in dem Brief, den er unlängst an alle 36 Teilnehmerverbände geschickt hat. Darin heißt es unter anderem: "Wir wissen, dass Fußball nicht in einem Vakuum lebt, und wir sind uns ebenso bewusst, dass es überall auf der Welt viele Herausforderungen und Schwierigkeiten politischer Art gibt. Aber lassen Sie bitte nicht zu, dass der Fußball in jeden ideologischen oder politischen Kampf hineingezogen wird, den es gibt." Und weiter: "Bei der Fifa versuchen wir, alle Meinungen und Überzeugungen zu respektieren, ohne dem Rest der Welt moralische Lektionen zu erteilen."

Das wäre schon recht so, würde sich der Weltverband nicht andauernd selber aufblasen mit der heißen Luft aus seinen leeren Phrasen. Denn natürlich kann der Fußball nicht die Welt retten vor sich selber. Dafür ist diese schon selber zuständig. Dann aber sollte sich die Fifa – und spiegelgleich das IOC und alle anderen – auch wirklich alle marketingschmähartigen Statements verkneifen. Den Black-Lives-Matter-Kniefall, die Regenbogen-Kapitänsschleife, die treuherzigen Anti-Rassismus-Schwüre vorm Anpfiff. Dem Hohlen kann nichts hohl genug sein.

Slava Ukrajini

Erinnert sich noch jemand an Domagoj Vida? Der Kroate hatte während der vergangenen WM den Viertelfinalsieg seinen einstigen ukrainischen Kollegen – Vida spielte vier Jahre lang für Dynamo Kiew – per Video gewidmet. "Slava Ukrajini", grüßte er die Kiewer Freunde. WM-Gastgeber Russland war darob empört. Ein hoher russischer Parlamentarier sagte: "Politische, nationalistische und rassistische Slogans haben bei der WM nichts zu suchen." Und forderte: "Solche Handlungen sollten bestraft werden."

Die Fifa verwarnte den kroatischen WM-Finalisten. Das war 2018. Seit vier Jahren war die Krim besetzt. Und im ukrainischen Osten tobte bereits der Krieg. Doch die Fifa weiß, was sie wem schuldig ist. (Wolfgang Weisgram, 9.11.2022)