In den Ministerien von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) wird die Übergewinnsteuer ausgearbeitet.

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Wie sich in der tiefsten Energiekrise seit Jahrzehnten die Standards verschieben und vormals fast undenkbare Maßnahmen zunehmend realistisch erscheinen, das demonstriert das Beispiel der sogenannten Übergewinnsteuer. In ihrem Rahmen sollen die Profite von Energiekonzernen, die wegen des Ukraine-Kriegs exorbitant gestiegen sind, abgeschöpft werden. Noch vor wenigen Monaten hieß es von den meisten Politikern und Ökonomen, diese Idee sei eine Gefahr für Arbeitsplätze, Investitionen und den Wirtschaftsstandort.

Inzwischen ist die Übergewinnsteuer offizielle EU-Politik – beschlossen von den EU-Staaten Anfang Oktober, um mit den Einnahmen von grob hundert Milliarden Euro die Bürgerinnen und Bürger in der Krise finanziell zu unterstützen. Gerade werden in den Mitgliedsstaaten die Details ausgearbeitet.

Eigentlich sind es zwei Steuern

Genau genommen handelt es sich um zwei Steuern. Da wäre einmal ein "Solidaritätsbeitrag", gedacht für fossile Erzeuger und etwa Ölraffinerien: Wenn deren Gewinne 2022 und 2023 zu 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre liegen, werden sie zu 33 Prozent abgeschöpft. Das Zweite wäre die sogenannte "Erlösobergrenze" für Stromerzeuger. Sie betrifft erneuerbare Energien: Wenn deren Produzenten im ersten Halbjahr 2023 mehr als 180 Euro pro Megawattstunde verkauftem Strom lukrieren, wird alles darüber abgeschöpft.

Klingt kompliziert, ist es auch. In Österreich, wo das Klimaschutz- und das Finanzministerium für die Ausgestaltung der Steuer zuständig sind, rauchen dem Vernehmen nach gerade die Köpfe. Dabei geht es etwa um Fragen, wie sich die neuen Regeln mit bereits bestehenden Regularien für den Energiemarkt vereinbaren lassen. Noch dazu drängt die Zeit: Bis Jahresende muss die EU-Verordnung umgesetzt sein.

Laut Greenpeace "ein erster Schritt"

Kritik gibt es vor allem daran, dass die EU-Übergewinnsteuer zu wenig ambitioniert ausgefallen ist. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace etwa sieht sie als einen "ersten Schritt", drängt aber auf höhere Besteuerung. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam sekundiert: Während in der EU genauso wie in den meisten Entwicklungsstaaten die Armut steigt, "kann es nicht sein, dass große Unternehmen von der Krise profitieren".

Die Kritik bezieht sich darauf, dass die derzeitigen Übergewinne in der EU deutlich höher ausfallen als die Summen, die voraussichtlich aus der Übergewinnsteuer kommen werden. Die Internationale Energieagentur taxiert die Übergewinne im europäischen Stromsektor heuer auf mindestens 200 Milliarden Euro – die Steuer wird laut Schätzungen nur die Hälfte dessen einbringen.

Eine Art Untergrenze

Wie ließen sich höhere Einnahmen lukrieren? Das zeigt eine neue Studie dreier Rechtsexperten von der Linzer Kepler-Universität und der Wiener Wirtschaftsuni, die dem STANDARD vorliegt. Sie wurde im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) und des Gewerkschaftsbunds (ÖGB) verfasst, die seit Monaten für striktere Übergewinnsteuern eintreten.

Was die EU beschlossen hat, so das Fazit der Studie, stellt lediglich eine Art Untergrenze dar. Verfassungs- und europarechtlich wäre es durchaus möglich, die österreichische Ausgestaltung der EU-Übergewinnsteuer strenger zu machen, ohne dabei mit den EU-Vorgaben in Konflikt zu kommen: "Bei der inneren Ausgestaltung der Steuer kommen dem Gesetzgeber erhebliche Gestaltungsspielräume zu."

So ließe sich beispielsweise der Zeitraum erweitern, in dem die Steuer eingehoben wird – man könnte etwa auch das Jahr 2024 einbeziehen. Weiters ließe sich der Steuersatz von 33 Prozent für Fossilbetreiber ohne Bedenken auf ein höheres Niveau anheben. Dasselbe gilt für das Spektrum der betroffenen Branchen, das sich erweitern lässt. Einzige Limitation: "Konfiskatorisch", wie es in der juristischen Diktion heißt, darf die Steuer nicht wirken: Gewinne zur Gänze abzuschöpfen wäre verfassungswidrig.

Ist man im Finanzministerium bereit, eine Übergewinnsteuer zu erarbeiten, die strenger ausfällt als die Vorgaben aus Brüssel? Eher nicht, lässt Minister Magnus Brunner (ÖVP) in einer Stellungnahme an den STANDARD durchklingen. Bei der Steuer gelte es vor allem "die Investitionsfähigkeit der Energieunternehmen zu erhalten", so Brunner. Daher prüfe das Finanzministerium, ob es Möglichkeiten gibt, "ökologische Investitionen steuerlich zu begünstigen". Es wirkt also eher so, also wollte Österreichs Regierung die Übergewinnsteuer möglichst herunterschrauben – statt sie zu erhöhen. (Joseph Gepp, 9.11.2022)