Diese Geschichte beginnt mit Mohamed H. Auf dessen Facebook-Account stoßen Verfassungsschützer im August 2019 auf ein fünf Jahre altes Video. Darauf sind Männer zu sehen, die orchestriert ihre rechten Arme von sich strecken. Die Ermittler denken zunächst an ein Nazitreffen in Wien. Aber es fällt auf, dass die Männer nur je vier Finger in die Luft halten, während mit heroischen Gesängen eine Revolution herbeigesehnt wird. Es ist der R4bia-Gruß, auch ein Symbol der islamistischen Muslimbruderschaft in Ägypten. Damals können die Behörden auf Anhieb aber nur einen Mann identifizieren. Er wird zum Verdächtigen Nummer eins in einer der größten Ermittlungsaktionen Österreichs werden, der "Operation Luxor".

Mehr als ein Jahr später steht Karl Nehammer in einem dicken schwarzen Mantel neben schwerbewaffneten Cobra-Beamten und posiert für Fotos. Als türkiser Innenminister inszeniert sich Nehammer damit, gerade einen großen Schlag gegen den politischen Islam gelandet zu haben. In jenen Morgenstunden des 9. November 2020 finden österreichweit dutzende Razzien gegen mutmaßliche Muslimbrüder und angebliche Mitglieder der terroristischen Hamas statt. Für die zuständige Staatsanwaltschaft gelten sie alle als Terroristen – in Haft kommt aber niemand. Und Nehammer steht unter Druck.

Vor zwei Jahren feierte Karl Nehammer die Ermittlungen als "entscheidenden Schlag" gegen den politischen Islam. In den Monaten nach den Luxor-Razzien wurde es dann immer ruhiger um die Operation.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Sieben Tage zuvor zieht nämlich der junge Jihadist K. F. durch die Wiener Innenstadt, erschießt vier Menschen und verletzt 23 weitere. Nach dem Terroranschlag wird schnell bekannt, dass der Attentäter Monate zuvor versucht hat, in der Slowakei Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen. Diese Information versandet im Staatsschutz, für den Nehammer damals als Minister politisch verantwortlich ist. Ein verheerender Fehler.

Nach und nach offenbart sich, auch durch den unabhängigen "Zerbes-Bericht" über das Versagen der Behörden nach dem Terroranschlag, dass für die fehlenden Ressourcen bei der Jihadismusbekämpfung auch die Operation Luxor verantwortlich war.

In großem Stil wurden Beschuldigte observiert, Telefongespräche abgehört und Nachrichten abgefangen, während sich der spätere Attentäter K. F., damals schon amtsbekannt und vorbestraft, in Wien völlig unbehelligt bewaffnen konnte. Nicht zuletzt wird wegen der schon länger geplanten Razzien eine Gefährderansprache mit dem Jihadisten verschoben.

Heute ist Nehammer Bundeskanzler und die Operation Luxor ein politisch totgeschwiegenes Relikt, über dem zwei Jahre später die ganz große Frage steht, ob es am Ende zu einem Desaster wird.

Kapitel 1
Jede Menge Chaos

Wie es um die Ermittlungen steht, wird allein schon durch den Zustand des viele tausende Seiten dicken Akts deutlich. Er ist, überspitzt gesagt, ein Irrgarten aus Verfassungsschutzdokumenten, teils meterlangen Wikipedia-Artikeln und unzähligen aufgerissenen Fährten, die überall- und nirgendwohin führen. Es wirkt, als wären Justiz und Verfassungsschutz, denen in der Regel Personal fehlt, mit der Größe und Komplexität des Verfahrens überfordert. Dass jemand von den noch verbliebenen etwa 80 Beschuldigten bald vor Gericht Thema sein wird, erscheint unwahrscheinlich – bei 25 mussten die Ermittlungen mittlerweile eingestellt werden, wie das Ö1-"Journal" berichtete.

Bisher setzte es vor allem peinliche Rückschläge, weil das Oberlandesgericht Graz den Behörden als Kontrollinstanz laufend den Spiegel vorhält.

Das Gericht befand einige der Razzien für rechtswidrig und rügte die Staatsanwaltschaft gewissermaßen, als es anmerkte, dass sich Verdachtsannahmen nicht in "Mutmaßungen und Spekulationen" erschöpfen dürfen.

Viel schwerer mit Blick auf eine potenzielle Anklage wiegt aber der Umstand, dass das Gericht die zentrale These der Ermittler, wonach jeder Muslimbruder automatisch ein Terrorist sei, massiv infrage stellt. Von der Bewegung gehe insgesamt keine vergleichbare terroristische Gefahr aus wie von den jihadistischen Schlächtern des "Islamischen Staats", hieß es in einem Entscheid.

Zwischendurch wurde einer der zweifelhaften Hinweisgeber der Ermittler auf offener Straße verprügelt, nachdem er von den Behörden selbst im Akt enttarnt worden war. Einen anderen Einflüsterer verurteilte ein Gericht in erster Instanz wegen übler Nachrede, weil er Beschuldigte in einem Interview in die Nähe der Muslimbruderschaft gerückt hatte.

Und dann wurden vor einigen Wochen auch noch die Gutachter in der Causa wegen des Anscheins der Befangenheit enthoben.

An ihre Stelle könnte Guido Steinberg treten. Der deutsche Islamwissenschafter machte sich in Wien als Gerichtsgutachter in Jihadistenprozessen einen Namen. Er bezeichnete den Einsatz gegen die Bruderschaft im Terrorkontext einmal als zweitrangig. Gegen die Bestellung des Grazer Straflandesgerichts, die dem STANDARD vorliegt, kann die Staatsanwaltschaft noch Beschwerde einlegen.

Kapitel 2
Reaktionäre Kreise

Aber mit wem hat man es hier überhaupt tun? Der Staatsschutz glaubt daran, ein klandestines Netzwerk von Extremisten aufgedeckt zu haben, die einen Staat nach islamistischen Prinzipien durchzusetzen versuchen. Viel mehr als zwei Dokumente, aus denen Ermittler im Fall einer europäischen Organisation einen Aufbauplan eines "Parallelstaats" herauslesen, der mitunter ein eigenes "Ministerium für Staatsbürgerschaften" vorsehe, scheint man bisher aber nicht gefunden zu haben.

Was der Akt eher gewährt, sind isolierte Einblicke in reaktionär-islamistische Kreise, in denen Antizionismus bis Antisemitismus keine Fremdwörter sein dürften. Da taucht in einem Verein schon einmal ein Leitfaden für Schüler auf, in dem die "große Begeisterung" für Taten "zur Befreiung des Heiligen Landes und seiner Säuberung vom zionistischen Schmutz" als Ziel definiert ist. Auch die terroristische Hamas, die einst aus der Muslimbruderschaft hervorging, wird darin glorifiziert.

Schläge als "letzte Medizin"

An anderer Stelle fand man ein ähnliches Papier. Um Schüler zu "reizen", könnte man demnach einen Film zeigen, "in dem Kinder in Anwesenheit ihrer Eltern von Juden getötet werden", heißt es da. Ein weiterer Beschuldigter macht aus seinen einschlägigen Kontakten keinen Hehl. Er ließ sich mit Hamas-Anführer Ismail Haniyya abbilden, der ihm einen hohen Orden überreicht haben dürfte.

Sichtbar wird auch ein antimodernes Weltbild. Bei einem Religionslehrer fand man eine CD, auf der das Schlagen von Kindern als "letzte Medizin" in der Erziehung empfohlen wird. Dieser scheint auch einen Ex-Muslimbruder zu schätzen, der Homosexualität als Krankheit empfindet und sich für eine Festnahme von Touristinnen in Badeanzügen ausspricht.

Kapitel 3
Die Spur des Geldes und ein Ausblick

Ins Bild der Unordnung passt auch, dass die Ermittlungsdatei der Operation Luxor über mutmaßliche Terrorismusfinanzierung mit einem bereits angestaubten Artikel aus dem Magazin "Trend" beginnt, der im Jahr 2015 erschienen ist. Demnach soll die Hamas bei jedem Import im Gazastreifen einige Prozent mitschneiden.

Ab da kommt aus Sicht der Verfassungsschützer ein Spendenverein in Österreich ins Spiel. Im Raum steht der Vorwurf, dass dieser über unterschiedliche Wege Hamas-Terroristen unterstützt haben könnte – was der Verein vehement bestreitet. Die Indizienkette dafür wirkt auch noch sehr zerfahren.

Reichlich Inszenierung: Am Tag der Razzien setzte sich Nehammer neben schwerbewaffneten Cobra-Beamten für Pressefotos ins Szene.
Foto: APA/BMI

Abgesehen von mutmaßlicher Terrorfinanzierung interessieren die Ermittler Geldflüsse von Saudi-Arabien nach Österreich. Im Fokus steht ein reicher saudischer Geschäftsmann, dessen Firmengeflecht auch in den "Paradise Papers" auftaucht, einem Datenleck zu Briefkastenkonstruktionen. Jener Mann sowie dessen Ehefrau stehen im Verdacht, mehrere Beschuldigte der Operation Luxor großzügig finanziell unterstützt zu haben.

Der große Bogen der Politik

Und was bleibt nun von all dem? Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass auch in naher Zukunft weitere Ermittlungen gegen Beschuldigte eingestellt werden könnten und das Fundament der Operation Luxor weiter bröckelt.

Und es bleibt der Eindruck, dass vor allem die Politik einen großen Bogen um die Kontrolle dieser riesigen Aktion macht, die seit Monaten in der Luft zu hängen scheint. Aus Nehammers alter Arbeitsstätte, dem Innenministerium, hört man längst nichts mehr von der Operation Luxor. Auch sonst ist sie politisch schwer vermittelbar. Die Neos blieben mit ihrem Versuch, sie im ÖVP-U-Ausschuss zum Thema zu machen, eine kleine Ausnahme.

Ein Ende der Ermittlungen ist jedenfalls nicht in Sicht. Obwohl davon auszugehen ist, dass sie weiter wichtige Ressourcen in Justiz und Staatsschutz "fressen" werden, die man dort an anderer Stelle womöglich gut brauchten könnte. (Jan Michael Marchart, 9.11.2022)