Menschen an Deck der Ocean Viking im Mittelmeer am Sonntag, 6. November.

Foto: AP / Vincenzo Circosta

Rom – Nach tagelangem Warten auf die Zuteilung eines Hafens auf Sizilien hat sich das Seenotrettungsschiff Ocean Viking mit 234 geretteten Migranten an Bord auf den Weg Richtung Frankreich gemacht. Wie die Organisation SOS Méditerranée am Dienstagabend mitteilte, wurden die französischen Behörden ersucht, einen Hafen ansteuern zu dürfen. Das Schiff werde voraussichtlich am Donnerstag internationale Gewässer nahe Korsika erreichen, hieß es. Einige Personen seien bereits seit mehr als zwei Wochen an Bord der Ocean Viking.

Der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini begrüßte am Dienstag die Entscheidung Frankreichs, Migranten an Bord des Rettungsschiffs Ocean Viking in Marseille landen zu lassen. "Endlich hat sich das Klima geändert", so Salvini. Die Ocean Viking hat 234 Menschen an Bord, darunter 55 Minderjährige, 43 davon unbegleitet. Aus Quellen des französischen Innenministeriums verlautete, dass alle im französischen Hafen anlanden dürfen.

Hungerstreik auf dem Schiff Humanity 1

Auf der deutschen Humanity 1 sind rund 30 der 35 Migranten im Hungerstreik, wie Petra Krischok von der Organisation SOS Humanity bestätigte. Die Männer teilten der Crew demnach mit, dass sie seit 40 Stunden nichts mehr gegessen haben und dass die Öffentlichkeit dies erfahren soll. Weitere Details des Protests und der generellen Lage wollen die Retter am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mitteilen.

Es werde "geltendes Recht mit Füßen getreten", sagte Kapitän Joachim Ebeling. "Wenn ich sehe, dass bei mir Menschen an Bord sind, die das Recht haben, an Land zu gehen, aber von den Behörden daran gehindert werden, dann bin ich einfach nur wütend." Er unterstrich, dass er das Schiff erst dann fortbewegen werde, wenn alle Migranten an Land sind.

Juristische Schritte

Die Crew versuche, den 35 Männern Mut zu machen und die Angst zu nehmen, dass sie nach Libyen gebracht werden könnten, wo sie ihre Überfahrt in Booten angetreten hatten. Viele sagten, dass sie lieber ertrinken würden, als in das Bürgerkriegsland zurückzumüssen.

SOS Humanity hat bereits juristische Schritte eingeleitet. Bei einem Gericht in Catania wurden Asyleilanträge für die 35 Migranten gestellt. Ein Anwalt reichte daneben beim Verwaltungsgericht in Rom Beschwerde gegen einen Erlass des Innenministeriums der neuen italienischen Rechtsregierung ein. Der Erlass sieht vor, dass die Humanity 1 die italienischen Gewässer wieder verlassen und alle Migranten mitnehmen muss, bei denen keine Notsituation vorliege. So eine Einschätzung sei bei einem "sehr oberflächlichen medizinischen Check" gemacht worden, kritisierte SOS-Humanity-Sprecherin Krischok.

Mehr als 200 Menschen an Bord der Geo Barents

Inzwischen wächst unter den NGOs die Hoffnung auf eine Landung der 212 Menschen an Bord des Rettungsschiffes Geo Barents, das seit Sonntag in Catania am Anker liegt. Fachleute der Gesundheitsbehörden von Catania sprachen mit 200 der 212 Menschen an Bord des von Ärzten ohne Grenzen betriebenen Schiffes. Alle würden "ein mittleres oder hohes psychologisches Risiko" aufweisen. Den Fachleuten zufolge würde sich ihr Gesundheitszustand durch den Aufenthalt in einem geschlossenen Raum verschlimmern.

Andere medizinische Untersuchungen werden von einem Infektiologen durchgeführt. Erwartet wird, dass die Menschen an Bord noch am Dienstagabend landen dürfen. Drei Männer sprangen am Montag ins Hafenbecken, um an Land zu schwimmen. Zwei weigerten sich danach, auf das Schiff zurückzukehren. Sie übernachteten deshalb in einem Kleintransporter auf der Mole.

Deutschland mit Rom im Austausch

Wie schon am Montag forderte Brüssel Italien erneut auf, alle Geretteten an Land zu lassen. Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte, dass die Migranten nach EU-Recht Zugang zum Asylverfahren in Italien haben müssten. Es gebe einen klaren Rechtsrahmen. "Natürlich können Drittstaatsangehörige, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates einschließlich der Hoheitsgewässer aufhalten, einen Asylantrag stellen, und in diesem Fall sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen effektiven Zugang zu Asylverfahren zu gewähren."

Auch Deutschland, unter dessen Flagge die Humanity 1 fährt, ist deshalb mit Rom im Austausch. Es sei "wichtig, dass alle geretteten Menschen von den Schiffen an Land gehen können und tatsächlich auch alle angemessen versorgt werden können", hatte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag gesagt. "Dafür setzen wir uns als Bundesregierung weiter ein." Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe in der Sache bereits mit ihrem italienischen Kollegen gesprochen.

Innenminister: Italien verhalte sich "menschlich, aber auch entschieden prinzipientreu"

Überraschend kam das Vorgehen aus Rom nicht. Die rechten Parteien hatten bereits im Wahlkampf angekündigt, Bootsmigranten und -migrantinnen stoppen zu wollen. Innenminister Matteo Piantedosi sagte am Montagabend, Italien verhalte sich "menschlich, aber auch entschieden prinzipientreu". Er hatte die Menschen, die auf dem Boot bleiben müssen, jüngst als "restliche Ladung" bezeichnet, die den Hafen verlassen soll. Von der Opposition und Hilfsorganisationen wurde er dafür scharf kritisiert.

Piantedosi hat Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit den auf See geretteten Flüchtlingen seitens der Regierung in Rom bestritten. "Wir akzeptieren keine Lehren von irgendjemandem unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte", sagte Piantedosi laut Medienangaben am Dienstag. In diesem Zusammenhang wies Piantedosi darauf hin, dass sich die Migranten "nicht auf dem Meer befinden, sondern in Sicherheit sind".

Piantedosi war im Jahr 2019 Bürochef im Innenministerium unter Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, der schon damals Booten mit Geflüchteten die Einfahrt in italienische Häfen verbot. Dabei kommt nur ein kleiner Teil der Migranten auf NGO-Schiffen nach Italien. Das Innenministerium in Rom zählte Stand Montag mehr als 88.000 Bootsmigranten, die das Land in diesem Jahr erreichten – die allermeisten schaffen es mit eigenen Booten in italienische Gewässer. (APA, red, 8.11.2022)