Schnell sind ein paar Scheine weg: Die Mindestsicherung beträgt für Alleinstehende knapp 978 Euro pro Monat. Doch Beziehern unter 25 Jahren wird die Leistung in Wien unter bestimmten Umständen gekürzt.

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Was die Wiener Stadtregierung einen wichtigen Anreiz zum Arbeiten nennt, ist in den Augen von Kritikern eine diskriminierende Schikane: Beim Verfassungsgerichtshof liegt eine Beschwerde gegen die Wiener Mindestsicherung vor. Im Fokus steht ein Passus, der für Bezieher unter 25 Jahren unter bestimmten Umständen eine Leistungskürzung von 25 Prozent vorsieht. Nur wer in Ausbildung, einer Schulung des Arbeitsmarktservice (AMS) oder in (gering entlohnter) Beschäftigung steht, bekommt den vollen Betrag der Mindestsicherung.

Der Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz macht die Beschwerde an einer jungen Frau mit einer intellektuellen Beeinträchtigung fest. Obwohl voll zum Arbeiten motiviert, sei der heute 25-Jährigen die Mindestsicherung gekürzt worden, weil sich zwischen zwei Ausbildungsaktivitäten eine zeitliche Lücke aufgetan habe. Die Regelung benachteilige Menschen mit Behinderung, zumal diese schwerer zu Jobs und Kursangeboten des AMS kämen, so die Argumentation: Eine Gesetz dürfe niemanden dafür bestrafen, schlechtere Chancen zu haben.

Kritik an Bestrafungspolitik

Die Regelung führe dazu, dass jungen Menschen die Mindestsicherung auch dann gekürzt werde, wenn das AMS gar kein Angebot gemacht habe, pflichtet Viktoria Spielmann, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, bei: "Hier wird die Verantwortung von Systemversagen an Individuen übertragen."

Die nunmehrige Oppositionspartei, bis 2020 noch in Koalition mit der Bürgermeisterpartei SPÖ, weist darauf hin, dass diese "Bestrafungspolitik" nicht nur Bezieherinnen und Bezieher mit Beeinträchtigung betrifft. Im Verein mit ihrem Koalitionspartner Neos fielen die Sozialdemokraten jungen Menschen ausgerechnet in Krisenzeiten in den Rücken, in denen sich die Armut ohnehin verschärft habe: "Das ist entweder blanker Zynismus oder pure Ignoranz."

Zwist um Orientierungsphase

Die Grünen fordern eine Verpflichtung für AMS und Stadt, arbeitslosen jugendlichen passende Angebote zu machen, und ein Comeback der viermonatigen Orientierungsphase, wie sie es unter Rot-Grün gab: In dieser mussten die Bezieher keine Kürzung der Mindestsicherung befürchten. Schließlich mahlten "die Mühlen der Behörden" oft zu langsam, um von Beginn an mit Sanktionen zu drohen, argumentiert Spielmann.

Gerade diese Atempause hält man im Büro des zuständigen Sozialstadtrats Peter Hacker (SPÖ) aber für kontraproduktiv: Der Erfahrung nach hätten die meisten Jugendlichen die Orientierungsphase ungenutzt verstreichen lassen – und sich an die Arbeitslosigkeit eher noch gewöhnt. (Gerald John, 8.11.2022)